Axel Milberg und Lang Lang © Daniel Friedrichs
Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals
mit Lang Lang
Holstenhallen Neumünster, 19. Juli 2024
Werke von Dvořák, Saint-Saëns und Berlioz
Lang Lang, Klavier
Gina Alice, Klavier
Axel Milberg, Sprecher
Ion Marin, Dirigent
Schleswig-Holstein Festival Orchestra
von Dr. Andreas Ströbl
„Die Royal Albert Hall des Nordens“ nannte Christian Kuhnt, Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals, die Holstenhallen Neumünster bei seiner Begrüßung zum Konzert mit Lang Lang am 19. Juli 2024. Kuhnt ist ja für seine witzigen Ansprachen bekannt und man mag sich kaum vorstellen, dass da nicht ein Funken Ironie beteiligt war, denn die große Halle mit dem funktionalen Charme eines Flugzeughangars hat ja so gar nichts Festliches.
Sei’s drum – das Konzert war ausverkauft und so strömte ein rund 5000-köpfiges Publikum aus einer bunten Mischung von Campingplatz bis Abendkleid nach Neumünster, sicher vor allem, um Lang Lang zu erleben.
Um den Bezug zur Mottostadt des diesjährigen Festivals, Venedig, herzustellen, hatte man den Karneval in der Lagunenstadt gewählt, und in der Tat hatten die ausgewählten Musikstücke das Zeug zum ausgelassenen Sich-Hineinwerfen in Trubel und Spaß.
Diese Stimmung erzeugte gleich zu Beginn Antonín Dvořáks Konzertouvertüre „Karneval“ op. 92, die mit ihrer wirbelnden Dynamik, den rhythmischen Wechseln und dem lebhaft eingesetzten Schlagwerk die menschliche Lebensfreude an sich in Klänge fasst, mit dem Zitat seiner eigenen Tondichtung „An die Natur“, was die Geschlossenheit seines Zyklus „Natur, Leben und Liebe“ herstellt.
Das Schleswig-Holstein Festival Orchestra ließ die Lust am unbeschwerten Feiern hochleben, das Publikum tat ein Gleiches mit den engagierten Musikerinnen und Musikern. Die Interaktion zwischen Ion Marin als musikalischem Leiter (mit ausgeprägter Neigung zum Künstlerhabitus) und dem Klangkörper funktionierte hervorragend, denn die frohe Mimik des Dirigenten entsprach den lächelnden Gesichtern der jungen Leute, die durchweg mit Hingabe spielten. Akustisch ist die Halle gerade bei den Fortissimo-Stellen durchaus heikel, aber dem Orchester gelang es, dass kein Klangbrei entstand.
Von Camille Saint-Saëns gibt es zwei Publikumslieblinge und beide erklangen an diesem Sommerabend in den Holstenhallen: Nach langer Umbaupause mit intensivem Stimmen des Steinway-Flügels brillierte Lang Lang mit dem Klavierkonzert Nr. 2 g-Moll op. 22. Der Weltstar gab das wundervolle Konzert in all seiner Zartheit, aber auch Entschiedenheit wieder. Den seelenvollen Passagen entsprach ein samtweicher, ja liebkosender Anschlag, aber auch in den energischen Läufen vermied der Pianist eine unnötige Härte, indem er die klar voneinander unterscheidbaren Töne entschlossen und akzentuiert spielte.
Man muss es deutlich sagen: Bei solchen Massenveranstaltungen ist dem Musikgenuss eine natürliche Grenze gesetzt, um es mal euphemistisch auszudrücken. Ständig fiel etwas lautstark herunter, es wurde durchweg gefilmt, gerade in der Nordhälfte wurde störend laut geredet und vor allem wurde natürlich zwischen den Sätzen geklatscht. „Er würde jetzt wohl gerne einfach weiterspielen“, meinte eine Dame zu ihrem Mann während des zwar begeisterten, aber die Struktur zerstörenden langen Beifalls, doch so sensibel waren die wenigsten in der Halle. Das wäre ja noch zu verschmerzen gewesen, aber dass das Publikum nach dem Konzert Lang Lang mit nur einem „Vorhang“ in die Pause verabschieden wollte, grenzte an grobe Unhöflichkeit. Glücklicherweise heizten die echten Musikkenner den Beifall nochmal an und verhalfen dem Künstler zu seinem verdienten Applaus – NACH dem dreisätzigen Konzert.
Bei aller Anerkennung der unbestrittenen pianistischen Leistung muss aber auch eingeräumt werden, dass Lang Lang sich zu sehr der Posenhaftigkeit hingibt. Das kennt man ja von ihm, aber man fragt sich wirklich, ob ein Weltmusiker seines Ranges es wirklich nötig hat, die linke Hand nach einem Lauf weit über den Flügel in die Luft zu heben oder die rechte nach einem wahrhaft perlend gelungenen Arpeggio in weitem Bogen nach außen schwingen zu lassen, als müsste er die Töne wie Saatgut im Raum verteilen – alles begleitet mit entsprechender expressiver Mimik, wie man sie von Liszt- oder Beethoven-Filmen aus den 50er Jahren kennt.
Die Ouvertüre “Le Carnaval Romain” von Hector Berlioz, die den zweiten Teil eröffnete, ist wiederum so ein Gute-Laune-Gassenhauer und auch da ließ es das Orchester richtig krachen – die Musikerinnen und Musiker sind alle durch die Bank hochtalentiert und bei vielen großen philharmonischen Orchestern hört man deutlich mehr Kiekser oder Ansatzfehler. Ob Blech- oder Holzbläser, Streicher oder Schlagwerk – allesamt sind solistisch und im Ensemble überzeugend; selten hakt es im Zusammenspiel.
Nach erneuter langer Umbaupause – die beiden Steinway-Flügel reagieren offenbar sensibel auf die erhöhte Luftfeuchtigkeit durch die Menschenmassen – gab es das Stück, auf das gerade die Jüngeren im Publikum gewartet haben dürften, und dessen Aufführung der Komponist verboten hatte; glücklicherweise hat das niemand berücksichtigt. Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“ kennen wir ja alle aus dem Musikunterricht, ob von Loriot gesprochen oder von Peter Ustinov.
Axel Milberg hatte sicht- und hörbar den größten Spaß dabei, den Text ganz neu zu interpretieren und zu aktualisieren. Lustige Tierlaute und die Imitation von Vogelstimmen verliehen den Zwischentexten viel Humor, ohne albern zu werden. Milberg ist ja, ob in seinen bekannten Fernsehrollen als Kommissar oder Familienvater, immer ein bisschen er selbst und so blieb er es auch als Kommentator dieses launigen Dschungel-Karnevals; er verband auch die unterschiedlichen Stücke leitmotivisch zu einem gelungenen Ganzen. Kieferklappern als Laut der Fossilienknochen – eine köstliche Idee unter vielen anderen, alles begleitet von großartigem Mienenspiel und einer angemessenen Gestik.
Gina Alice am zweiten Flügel stellte in ihrer etwas strengen, kühlen Art ein gutes Gegengewicht zu ihrem Pianistengatten her, was der ganzen Darbietung guttat. Die beiden interpretierten die einzelnen Abteilungen zwar nicht neu, aber diverse Rubati, kleine Zitate aus anderen Werken oder rhythmische Improvisationen belebten das oft gehörte Stück.
Bei dem Teil mit den nervigen Klavier-Etüden darf man mit dem Danebenhauen spielen, aber im abschließenden Duett müssen die zwei Klaviere synchron sein. Da hatten die beiden offenbar eine kleine musikalische Ehekrise.
Ion Marin hielt in seinem engagierten Dirigat stets Kontakt zwischen Sprecher, Solisten und Orchester; es gelang ihm, auch bei dieser großen und vielfältigen Besetzung alle Mitwirkenden zu einem harmonischen Ganzen zu fügen.
Das Festival-Orchester tat in der lebhaften Tierparade begeistert mit und der Klarinetten-Kuckuck, der sich wie der Vogel im Wald durch das Orchester bewegte, wie auch der mit vollendet schwelgerischem Schmelz gespielte Cello-Schwan gerieten solistisch glänzend; nach dem Finale mit fast allen Tieren gab es frenetischen, stehenden Applaus. Den entlohnte Lang Lang mit zwei Zugaben, einem Chopin-Walzer und einem de Falla-Tanz. Leider musste man ihm da eine gewisse Schludrigkeit attestieren – einen wirklichen Virtuosen macht eben auch bei aller Geschwindigkeit die Exaktheit aus.
Dennoch – das Publikum war hellauf begeistert und beim Hinausströmen gab es noch einen langen Abschiedsgruß der Blechbläser, die aus einem „Spirit of Brass“-Kompendium eine bunte Mischung aus Swing, zünftiger Blasmusik und US-amerikanischen Evergreens eine messingglänzende Kaskade in das Foyer ergossen. Eine wundervolle Idee, die mit weiterem, jubelnden Beifall für die sympathischen Musiker gedankt wurde.
Dr. Andreas Ströbl, 20. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Konzert im Rahmen des Schleswig-Holstein Musik Festivals Lübecker Carlebach-Synagoge, 17. Juli 2024