Bernadett Nagy (Mezzosopran) und Dániel Dinyés (Klavier) auf der Bühne. Foto: privat
„Lieder ohne Grenzen“ – unter diesem Motto stand der begeistert aufgenommene Liederabend im Wiener Antonio-Vivaldi-Saal. Das anspruchsvolle und vielschichtige Programm war von den beiden Interpreten mit großer Sorgfalt und feinem musikalischem Gespür zusammengestellt worden.
Bernadett Nagy Mezzosopran
Dániel Dinyés Klavier
Antonio-Vivaldi-Saal, Wien, 18. Oktober 2025
von Dr. Rudi Frühwirth
Liedkunst vom Feinsten bot dieser Abend im barocken Ambiente des Antonio-Vivaldi-Saals im Herzen Wiens. Die Mezzosopranistin Bernadett Nagy erwies sich dabei als ungemein vielseitige Künstlerin, die sich im Barockrepertoire ebenso souverän bewegt wie in der romantischen und der zeitgenössischen Musik. Für die Klavierbegleitung zeichnete der ungarische Komponist und Dirigent Dániel Dinyés verantwortlich, der – wenig überraschend – auch ein exzellenter Pianist ist.
Der Abend begann still und kontemplativ mit einem der vier Purcell Songs von Thomas Adès, einer Bearbeitung von Henry Purcells Vertonung des Gedichts By Beauteous Softness für Stimme und Klavier. Ruhig und ausdrucksvoll, warm und wohltönend schilderte die Sängerin die majestätische Schönheit der von Shadwell und Purcell besungenen Königin. Die Bearbeitung endet mit einem langen versonnenen Nachspiel, in dem der Pianist eine erste Kostprobe seiner meisterlichen Anschlagskultur gab.
Es folgte eines der Lieblingswerke der Sängerin, Robert Schumanns Zyklus Frauenliebe und Leben. In der Interpretation von Bernadett Nagy war der Bogen der Emotionen von schüchterner Vorfreude und jauchzender Erfüllung über ergreifendes Mutterglück zu tiefem Leid in allen feinsten Nuancen zu erleben. Der Pianist gab die perfekte Unterstützung, im Tempo wie auch in der Dynamik. Das Zusammenspiel der beiden Interpreten war hier wie auch im Folgenden mustergültig, wobei das Klavier manchmal mehr die treibende Kraft war als die brav folgende Begleitung.
Einen bewusst gesetzten Kontrast zur romantischen Verklärung des Mutterglücks bildeten drei Lieder aus A Charm of Lullabies von Benjamin Britten. Das erste davon wirkt geradezu verstörend und droht dem Kind mit höllischen Strafen – eine ideale Gelegenheit für die Sängerin, zu zeigen, dass sie nicht nur mit ihrer blendenden Erscheinung, sondern ebenso durch ihre charismatische Bühnenpräsenz überzeugt. Die beiden folgenden Lieder schlagen wieder sanftere Töne an, und Sängerin wie Pianist fanden darin zu einer friedlicheren, innigeren Atmosphäre zurück.
Der erste Teil endete mit drei spätromantischen Liedern von Ernő (Ernst von) Dohnányi, der in unseren Konzertprogrammen leider viel zu selten vertreten ist. Der Pianist griff kraftvoll in die Tasten, und die Sängerin folgte ihm mit leidenschaftlicher Hingabe – stets jedoch mit makelloser Intonation und einer Dynamik, die sich dem romantischen Duktus vollkommen anpasste. Wie schon zuvor beeindruckte sie durch hervorragende Textverständlichkeit. Unter herzlichem Applaus ging es in die Pause.

Der zweite Teil begann mit drei frühen Liedern von György Ligeti nach Gedichten von Sándor Weöres. Ligeti komponierte die kryptisch-verschlüsselten Texte in den Jahren 1946/1947. Die Vertonungen sind höchst expressiv, wenn auch noch nicht so radikal wie seine späteren Kompositionen. Es versteht sich, dass Sängerin und Pianist in ihrem Element waren.
Der folgende Block stand im Zeichen von Richard Strauss, mit Liedern aus den Zyklen op. 10, 27 und 36. Im ersten Lied konnte die Sängerin ihre schauspielerischen Fähigkeiten wieder voll ausspielen, und so entstand eine ganz und gar köstliche Interpretation des Gedichts Hat gesagt, bleibt’s nicht dabei aus Des Knaben Wunderhorn. In solchen Momenten möchte man bedauern, dass Bernadett Nagy nicht Opernsängerin geworden ist – die Rollen des Octavian im Rosenkavalier und des Komponisten in der Ariadne sind ihr förmlich auf den Leib geschrieben. Das nächste Lied, Allerseelen, trieb mir die Tränen in die Augen, so ausdrucksvoll und warm tönten Stimme und Klavier von der Bühne. Nicht minder schön erklangen die wunderbaren Lieder Ruhe, meine Seele und Nichts. Der Flügel im Vivaldi-Saal ist übrigens ein Bösendorfer Imperial 275, über den der Pianist und die Sängerin voll des Lobes waren.
Der nächste Block war wieder ein starker Kontrast und überdies eine veritable österreichische Erstaufführung: vier Lieder aus den English Songs von Dániel Dinyés, dem Pianisten des Abends. Die Texte sind Fragmente aus Werken von Dylan Thomas, E.A. Poe und T.S. Eliot. Die Vertonungen sind höchst originell, frei atonal, durchsetzt mit bitonalen und multitonalen Passagen. Der Vortrag von Bernadett Nagy war prägnant und pointiert, mit bewundernswert sicherer Intonation auch in den hohen Lagen.
Den Abschluss und zugleich die Zugaben bildeten zwei Lieder von Richard Strauss, das Rosenband aus op. 36 und die Zueignung aus op. 10. Das “Habe Dank” der dritten und letzten Strophe der Zueignung wird mir noch lange nachklingen – piano angesetzt und dann anschwellend in einem strahlenden forte beendet. Das Publikum dankte seinerseits mit stürmischem Applaus und wiederholten Hervorrufen für ein faszinierend gestaltetes Programm und eine Darbietung von herausragender sängerischer und pianistischer Qualität.
Dr. Rudi Frühwirth, 20. Oktober 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Programm:
Thomas Adès (*1971):
By Beauteous Softness, aus Four Purcell Songs. Bearbeitung für Stimme und Klavierbegleitung.
Gedicht von Thomas Shadwell.
Robert Schumann (1810–1856):
Frauenliebe und Leben, op. 42. Acht Lieder nach Gedichten von Adelbert von Chamisso.
Benjamin Britten (1913–1976):
Aus A Charm of Lullabies. Nr. 3: Sephestia’s Lullaby (Robert Greene);
Nr. 4: A Charm (Thomas Randolph); Nr. 5: The Nurse’s Song (John Philip).
Ernő Dohnányi (1877–1960):
Drei Lieder aus Im Lebenslenz, op. 16. Gedichte von Wilhelm Conrad Gomoll.
Nr. 2: Du silbernes Mondenlicht; Nr. 4: Im Traum; Nr. 5: Um deine Liebe
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György Ligeti (1923-2006):
Három Weöres-dal. Drei Lieder nach Gedichten von Sándor Weöres.
Richard Strauss (1864-1949):
Hat gesagt, bleibt’s nicht dabei, aus Vier Lieder, op. 36. Gedicht aus Des Knaben Wunderhorn.
Allerseelen, aus Acht Lieder aus Letzte Blätter, op. 10. Gedicht von Hermann von Gilm.
Ruhe meine Seele, aus Vier Lieder, op. 27. Gedicht von Karl Henckell.
Nichts, aus Acht Lieder aus Letzte Blätter, op. 10. Gedicht von Hermann von Gilm.
Dániel Dinyés (*1980):
Vier Lieder aus English songs (österreichische Erstaufführung).
Nr. 4: …prayer (Dylan Thomas); Nr. 5: …I and my (E.A. Poe);
Nr. 6: …the confess (Dylan Thomas); Nr. 7: …cling, swing (T.S. Eliot).
Richard Strauss (1864-1949):
Das Rosenband, aus Vier Lieder, op. 36. Gedicht von Friedrich Gottlieb Klopstock.
Zueignung, aus Acht Lieder aus Letzte Blätter, op. 10. Gedicht von Hermann von Gilm.
Igor Levit, Klavier Günther Groissböck, Bass Musikverein Wien, Brahms-Saal, 19. Oktober 2025
Liederabend Elīna Garanča & Malcolm Martineau THEATER IM PARK, 1030 Wien, 18. August 2025
Festspiel-Liederabend Jonas Kaufmann Nationaltheater München, 24. Juli 2025