Macerata Festival entzückt mit einem Carmen-Filmabend

Macerata Festival 2023, Carmen-Filmabend  Teatro Lauro Rossi, 11. August 2023

Foto: Carmen Film © Marilena Imbrescia

Kurz nach der großen Carmen-Inszenierung in der spektakulären Sferisterio-Arena wurde im Teatro Lauro Rossi – ein perfekt restauriertes, barockes Kleinod (1774) im Zentrum der Kleinstadt Macerata in den  italienischen Marken – ein entzückender Filmabend mit zwei historischen Carmen-Filmen mit live-Orchesterbegleitung präsentiert. Unter dem Dirigat des eigens für diese Vorstellung eingeflogenen amerikanischen Dirigenten und Komponisten Timothy Brook, dem weltweit führenden Spezialisten für den musikalischen Stil der 20er und 30er Jahre und die Restaurierung von Filmmusik-Soundtracks, spielte virtuos und mitreißend enthusiastisch das Symphonierchester der Marken (FORM-Orchester Filarmonica Marchigiana).

Macerata Festival 2023
Carmen-Filmabend im Teatro Lauro Rossi, 11. August 2023

von Dr. Charles E. Ritterband

1998 wurde Brook von der Organisation, welche das künstlerische Erbe von Charlie Chaplin verwaltet, mit der Restaurierung des von Chaplin selbst komponierten Original-Soundtracks zu „Modern Times“ betraut; danach restaurierte er nicht weniger als elf Soundtracks, unter anderem zu den großen Filmen „City Lights“ (1931), „The Gold Rush“ (1924) und „The Circus“ (1928). Er entdeckte und transkribierte rund 13 Stunden bisher verschollener Chaplin-Kompositionen auf Acetat-Tonträgern, auf welchen der auf einem Klavier komponierende Chaplin zu hören ist. Brook selbst komponierte 27 Film-Soundtracks, unter anderem für die historischen Filme „Steamboat Bill“ mit Buster Keaton (1928), den großen expressionistischen Klassiker  „The Cabinet of Dr. Caligari“ (1920) und „Nosferatu“ (1922).

Gezeigt wurden an diesem Sommerabend in Macerata zwei berühmte historische Carmen-Filme: der Stummfilm „Carmen“ des legendären Regisseurs Cecil B. DeMille (1915) mit dem Original-Soundtrack von Hugo Riesenfeld und Geraldine Farrar als Carmen mit Melodien aus Bizets „Carmen“, und die herrliche Parodie von Chaplin aus demselben Jahr auf dieses Werk: „A Burlesque on Carmen“, zu der Brook die Musik „im Stil von Charlie Chaplin“ mit Zitaten aus Bizets „Carmen“ komponiert und im Madrider Teatro Zarzuela uraufgeführt hatte.

Chaplins „Carmen“-Burlesque gehört zu den frühesten Filmwerken Chaplins und sein komisches Talent, seine schier unglaublichen artistischen  Fähigkeiten und sein unfehlbares Gespür für Slapsticks und Situationskomik sind in diesem halbstündigen Film ebenso unverfälscht wie sein sprühender Enthusiasmus.

Eins zu eins kopiert Chaplin parodistisch das dramatisch-ernste Werk DeMilles, baut Elemente von dessen Bühnenbildern nach, findet Darsteller, die den Schmugglern im Original zum Verwechseln ähnlich sehen und auch die Verführungskünste und die Verschlagenheit der schönen Carmen sind eine haargenaue und natürlich ins Komische verzerrte Kopie des Originals – und selbst die Esel, welche unter der Last der geschmuggelten Waren zusammenzubrechen drohen, finden eine parodistische Kopie: Ein Darsteller im grotesken Eselskostüm – zum Schreien komisch. Der schlanke Toreador ist hier ein eher fülliger, vertrottelter „Spanier“, dem man keinen Stierkampf zutrauen möchte (wir haben bei Chaplin die Parodie auf den wilden Stier im Original vermisst – zweifellos verloren gegangen?). Sowohl im Original, welches eine überaus kunstvoll gestraffte Version der Original-Oper präsentiert, als auch bei Chaplin fehlt der gesamte Michaëla-Aspekt, was beim Bemühen um Straffung völlig nachvollziehbar ist.

Am Ende des Chaplin-Films stockt dem Zuschauer kurz der Atem, bringt doch Don José (alias Darn Hosiery) tatsächlich am Rand der Stierkampf-Arena von Sevilla Carmen (und sich selbst) um. Aber nicht für lange: Kurz danach steht Darn auf, versetzt dem frisch von der Corrida hereinstürmenden Darn einen gründlichen Tritt und hilft auch der ermordeten Carmen beim  Aufstehen: Augenzwinkernd präsentiert er den Theaterdolch –  in Chaplins komischen Filme  darf sich das Publikum auf ein Happy End freuen.

Foto: Carmen Film © Marilena Imbrescia

Apropos Carmen: Chaplins Enkeltochter hiess Carmen – und seine Mutter hatte Zigeuner-Ursprünge (was sie allerdings stets verheimlichte).

Charles E. Ritterband, Macerata, 10. August 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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