Meine Lieblingsmusik, Teil 11: "Wenn ich darüber nachdenke, dann ist 'Lulu' meine Lieblingsoper"

Meine Lieblingsmusik, Teil 11: „Lulu“ von Alban Berg  klassik-begeistert.de

von Lothar Schweitzer
Fotos: Michael Pöhn, Wiener Staatsoper (c)

Was ist meine Lieblingsoper?

In den 63 Jahren meiner Liebe zu Opern habe ich mir den größten Teil dieser Zeit diese Frage nicht gestellt und musste diese auch niemandem beantworten. Gibt es doch so viele wundervolle Werke. Rückblickend könnte ich an „Don Giovanni“ denken, dem sich bald „Così fan tutte“ beigesellte,  an „Rigoletto“, an „Adriana Lecouvreur“ und natürlich an „Der Rosenkavalier“. Es gab Phasen.

Die Jugend liebt das Ausschließliche. Nach dem Parsifal-Erlebnis der Württembergischen Staatsoper in Wien im Herbst 1959 gab es nichts als Wagner für mich. Im Frühjahr 1961 war die Premiere von „Oedipus der Tyrann“ in der Wiener Staatsoper. Der Komponist Carl Orff sah in Wagner und Strauss einen Höhe- und gleichzeitig einen Endpunkt des musikalischen Schaffens. Man müsste wieder zum Einfachen, Elementaren, Primitiven zurückkehren und neu beginnen. Doch bald darauf präsentierte die Wiener Staatsoper am 6. Januar 1962 anlässlich des 100. Geburtsjahres von Claude Debussy „Pelléas et Mélisande“ unter Herbert von Karajan und ich flüsterte meiner Mutter während der Vorstellung zu: „Die bisher schönste Oper.“

Heute von einer höheren Warte aus betrachtet möchte ich sagen, dass Jahrzehnte unbewusst Richard Strauss-Opern die Favoriten  waren. Bringt man mich jetzt in Bedrängnis und ich muss mich mit einer Lieblingsoper deklarieren, so wähle ich ohne zu zögern „Lulu“. Als mich ein Cousin in der Straßenbahn nach meiner Lieblingsoper fragte und ich „Lulu“ nannte, fragte mich eine fremde, junge Dame, die unser Gespräch mitgehört hatte, spontan nach den Gründen. Ich antwortete: „Man kann oft keine Gründe nennen, warum man diese und keine andere Frau liebgewonnen hat.“

Ich versuche eine Genealogie, wobei viele Unterlagen wegen der Corona-Pandemie für mich derzeit nicht greifbar sind. Die unvollendete „Lulu“-Fassung sah ich mit Anja Silja 1972 oder 1973. Gefiel mir nicht schlecht, das war aber alles. Ich interessierte mich für die Fernsehübertragung der Pariser Welturaufführung der komplettierten Cerha-Fassung im Jahr 1979. Teresa Stratas sang die Lulu.

Den großen, bleibenden Eindruck gewann ich bei der österreichischen Erstaufführung der dreiaktigen Fassung in der Grazer Oper. Ein künstlerisches und gesellschaftliches Ereignis. Ursula Reinhardt-Kiss war die aufhorchen lassende Interpretin der Titelrolle. Neben ihr machte Friedemann Hanke als Schigolch einen großen Eindruck auf mich. Ein junger Zukunftsbass, der kurz nach seinem Erfolg in Graz an die Wiener Staatsoper berufen wurde. Leider verstarb er nach der ersten Saison. Aus dem Orchestergraben spürte ich die spätromantische Seite Alban Bergs. Das war Anfang der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Am 24. Oktober 1983 kam meine Lieblingsoper – so nannte ich sie bereits – in die Wiener Staatsoper mit Julia Migenes als Femme fatale.

1994 sang Christiane Boesiger (übrigens eine entzückende Fiordiligi im Klagenfurter Stadttheater)  im Wiener Messepalast die Lulu. Da versuchte ich schon meiner Frau Sylvia auf Holzbänken sitzend diese Oper schmackhaft zu machen. Im Jahr 2000 saßen wir bei einer Neuinszenierung der „Lulu“ von Willy Decker, Anat Efrati die koloraturgewandte Lulu, mit der Partitur, dem Weihnachtsgeschenk von Sylvia, in der Proszeniumsloge der Wiener Staatsoper.  Es war die fragmentarische Fassung. Mir fehlte da etwas, weil mir im Gegensatz zu meiner Frau die Oper „Lulu“ nicht zu lange sein kann. Zehn Jahre später fanden wir bei den Salzburger Festspielen Patricia Petibon als passende Interpretin.

D i e  Lulu in der Person von Agneta Eichenholz erlebten wir Ende des Jahres 2017 in der Wiener Staatsoper in  der Inszenierung von 2000, jetzt in der vom selben Regisseur erweiterten dreiaktigen Fassung. Die Schwedin war eine etwas kühle Vertreterin der Rolle, was auch anziehend wirken kann. Ihr hoher Sopran verbindet Wohlklang mit Tragfähigkeit.

Lothar Schweitzer, 16. April 2020, für
klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.de

Lothar und Sylvia Schweitzer

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