Messeschlager Gisela, Foto: Jan Windszus
Der Erfolg der Produktion führte dazu, dass die Leitung der Komischen Oper zusätzliche Vorstellungen ansetzte. Nichts wie hin!
Messeschlager Gisela
Operette von Gerd Natschinski
Libretto von Jo Schulz
Uraufführung am 16. Oktober 1960 im Metropol-Theater Berlin
Komische Oper Berlin, Zelt am Roten Rathaus, 29. Juni 2024
von Peter Sommeregger
Bekanntlich musste die Berliner Komische Oper ihr Stammhaus an der Behrenstraße für umfangreiche Um-und Ausbauarbeiten räumen, und ist nun für Jahre auf Ausweichquartiere angewiesen.
Neben dem Charlottenburger Schillertheater wurde bereits der Hangar des ehemaligen Flughafens Tempelhof bespielt, für die letzte Produktion der auslaufenden Spielzeit wurde gar ein respektables Zirkuszelt in die städtebauliche Wüste nahe dem Roten Rathaus gestellt.
Die Idee, „Messeschlager Gisela“ mehr als 60 Jahre nach der Uraufführung zu revitalisieren, entpuppte sich als Schuss ins Schwarze. Die Operette, in der DDR als „Heiteres Musiktheater“ bezeichnet, stellt den Alltag in der sozialistischen Realität nach. Man hat den ursprünglichen Text von Jo Schulz wohl nicht verändert, der Jargon der untergegangenen DDR löst nostalgische, nein ostalgische Gefühle aus, vor allem für ehemalige Bürger der Osthälfte Deutschlands, aber auch für seinerzeitige Messebesucher aus dem Westen.
Im Zentrum der Hauptstadt der DDR, zu Füßen des „Telespargels“, wie die Ostberliner den Fernsehturm nannten, erlebt man einen Blick zurück, der den Charme des Fremdartigen für die Einen, den Wiedererkennungswert für die Anderen hat. Das erzeugt ein dankbares und höchst animiertes Publikum, was auch der eingängigen und originellen Musik von Gerd Natschinski zu verdanken ist. Natschinski genoss im Osten große Popularität, der 2015 verstorbene Komponist hat 13 solcher heiterer Musiktheaterwerke, daneben zahlreiche Filmmusiken geschrieben.
Das Regieteam um Axel Ranisch stellt die Komödie um Intrigen im Konfektionsbetrieb VEB Berliner Schick gekonnt auf die kleine Spielfläche in der Mitte des Zeltes. Der Choreograph Christopher Tölle verordnet allen Mitwirkenden ein atemberaubendes Tempo, erstaunlich, dass die Protagonisten noch genug Luft haben, um zu singen. Aber das tun sie sogar ausgezeichnet, neben Gisa Flake in der Titelrolle, die neben frechem Witz auch zu durchaus verinnerlichten Tönen findet, kann sich das gesamte Ensemble auf hohem Niveau behaupten.
Als Sekretärin Marghueritta entwickelt Maria-Danae Bansen ein geradezu überschäumendes Temperament. Die reife Emma Puhlmann wird von Andreja Schneider mit viel Mutterwitz ausgestattet. Das Trio dieser Damen macht es den männlichen Partnern nicht leicht, aber Thorsten Merten als schräger Betriebsleiter Kuckuck, Johannes Dunz als schüchterner Liebhaber Heinz können sich mit markantem Spiel und Gesang gut behaupten. Nico Holonics als Journalist Fred Funke bringt viel Charme mit und macht glaubwürdig, dass Gisela sich sofort in ihn verliebt.
Am Ende ist das Publikum hingerissen und feiert alle Beteiligten und den Dirigenten Adam Benzwi gebührend, der den musikalischen Spannungsbogen bis zum Schluss aufrecht hält.
Der Erfolg der Produktion führte dazu, dass die Leitung der Komischen Oper zusätzliche Vorstellungen ansetzte. Nichts wie hin!
Peter Sommeregger, 30. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview von Patrik Klein mit Axel Ranisch, Opéra de Lyon, 18. März 2022
Bravo, eine gelungene, dieser Zeit – wie ich finde – angepasste Inszenierung mit Witz, Ironie und Professionalität der DDR Operette von G. Natschinski – zur Zeit des kalten Krieges belächelt, heute bejubelt. Die Wahrheit ist:
Natschinskis NdPD–Mitgliedschaft in einer Blockpartei widerlegt, dass auch er sich, wie so viele andere Persönlichkeiten entsprechend ihrer Talente in der (Adenauers Vokabular: Sowjetzone) DDR entwickeln konnte. Herr Natschinski kann sich folgender Einschätzungen im Internet leider nicht mehr zur Wehr setzen:
„Zu deutlich waren die teils subversiven, teils direkten kritischen Wortspiele über realsozialistische Verhältnisse, zu augenzwinkernd die humorgeladene Gegenüberstellung ost- und westdeutscher Lebensverhältnisse. Nun hat die Komische Oper Berlin den Erfolgsschlager der besonderen Art DDR-Operette wieder auf die Bühne gebracht und lädt ein, die Geschichte eines ’sozialistischen‘ Musiktheaters neu zu betrachten. Ein Einblick zu dessen Hintergründen…“
Der kalte Krieg wirkt m.E. zwischen den Menschen fort, solange ihnen einzureden versucht wird, was sie selbst anders oder gar gelebt nicht haben. – Und ich glaube, dass es nur e i n e W a h r h e i t gibt, die generationenübergreifend nicht umgebogen, verschwiegen, abgerissen (DDR Bauwerke) werden sollte. Ein Glück, sie holt uns immer w i e d e r ein. Ich halte es da mit J. Natschinski:
„Ja, ich finde es sehr erfreulich; Es wird langsam aber sicher Zeit, die angenehmen Erinnerungen an die DDR zu pflegen, immerhin viele Millionen Menschen 40-45+ haben dort durchaus angenehme Zeiten erlebt abseits des Dunklen.“
B. Lohse
Eine bunte Revue, bei der vieles stimmte: spannende Regieeinfälle und Choreographien, eingängige Melodien, wobei Chor und Sänger immer wieder vom 30köpfigen Orchester angefeuert wurden. Das Publikum wurde regelmäßig mitgerissen und überrascht, wenn das Ensemble direkt neben ihm auftauchte und tanzte; die Drehbühne gab den Blick für alle Zuschauer gleichermaßen frei. Auffallend schöne Stimmen und Gisa Flake konnte neben ihrem komödiantischen Talent endlich auch ihre wunderbare Stimme zum Ausdruck bringen. Ein runder gelungener Abend im schönen Zelt vor der Kulisse des angestrahlten Roten Rathauses: so geht Musiktheater jenseits des gängigen hochpolierten Musicalbetriebs!
Doris Wickbold-Schmitter