Michael Sanderling © Nikolaj Lund
Benjamin Britten (1913-1976), Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 15
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975), Symphonie Nr. 11 g-Moll op. 103
Luzerner Sinfonieorchester
Michael Sanderling, Dirigent
Julia Fischer, Violine
KKL Luzern, 18. Juni 2025
von Julian Führer
Ein Violinkonzert mit Paukenschlägen zu eröffnen, ist wohl ein Bezug auf Beethovens entsprechendes Werk. Benjamin Britten schrieb sein Violinkonzert mit Mitte zwanzig, seine Klangsprache ist aber bereits unverkennbar. Julia Fischer als Solistin ließ den Solopart sehr verhalten beginnen, um den Ton dann immer satter werden zu lassen. Der erste Satz des Konzerts stellt Bläsersätze und fast schwelgerische Violinen nebeneinander. Die Abstimmung gerade innerhalb des Streicherapparates war bemerkenswert.
Im schnellen zweiten Satz überrascht das Miteinander von Piccoloflöte und Kontrabasstuba, gefolgt von einer langen Kadenz. Julia Fischer zeigte hier ihre ganze Klasse: der gerade, runde Ton, die souveräne Disposition, aber auch das scheinbar mühelose Meistern der technischen Tücken. Die Passacaglia des Schlusssatzes nähert sich klanglich immer mehr Durwelten an, verweigert aber klare Harmonien. In den Streichern, aber auch in anderen Gruppen scheinen Tonleitern gespielt zu werden, denen aber immer wieder wechselnde Farben hinzugefügt werden. Der Schluss verhallt auf fast einem einzigen Ton, und das Stück verdämmert. Michael Sanderling dirigierte mit eher sparsamen Gesten das Luzerner Sinfonieorchester, dessen Chefdirigent er seit vier Spielzeiten ist.
Julia Fischer bedankte sich für den warmen Applaus mit der d-Moll-Sarabande von Johann Sebastian Bach, die zum ruhigen Ausklang des Konzerts passte.

Nach der Pause stand Dmitri Schostakowitschs elfte Symphonie auf dem Programm, ein Mammutwerk, das sehr unterschiedlich ausfallen kann. Abhängig von Dirigent und Orchester kann sie wie eine (sehr gute) Filmmusik wirken, aber auch wie ein Abgrund der Zerrissenheit oder auch eine Orgie musikalischer Brutalität, die selbst in der Musik des 20. Jahrhunderts wohl nur wenige Parallelen hat.
Michael Sanderling hat dieses Werk zuletzt im März in Düsseldorf dirigiert und dort die düsteren Aspekte betont. Anders als der Saal in Düsseldorf (einem umgebauten Planetarium) verfügt das KKL Luzern über eine außerordentlich klare, differenzierte Akustik, die bei nicht wenig Nachhall doch jeden Ton klar hervortreten lässt. Beeindruckend war bereits der Einstieg, den die Streicher so leise wie nur denkbar nahmen, während in den Kontrabässen ein merkliches Crescendo spätere Lautstärken vorwegnahm.
Der erste Satz, in Luzern noch etwas ruhiger als in anderen Interpretationen, beschreibt den kalten Platz vor dem Petersburger Palais des Zaren und zelebriert eine musikalische Form der Ruhe, die sich am Rande des Stillstands befindet, aber stets in Bewegung bleibt. Anders als sonst wurden die Paukensignale mit hartem Schlegel markiert und wirkten daher weniger dumpf und dafür härter als bei sonstigen Konzerten.
Irritierend waren zwischendurch Intonationsprobleme in den ersten Violinen, die erst nach mehreren Takten wieder zueinander gefunden hatten, und auch der Übergang in den zügiger genommenen zweiten Satz erforderte in den Celli etwas Koordinationsaufwand. In der Mitte des zweiten Satzes findet eine erste Zusammenballung statt, nach der die Pauke stark in den Vordergrund trat.
Berühmt und berüchtigt ist die „Elfte“ für das Klanggemälde des Massakers an Demonstranten im Jahr 1905. Schnell war das Tempo, und das Klangwunder des KKL kam hier voll zum Tragen: sehr exakt und hart das Schlagwerk, voller Bläsereinsatz, sehr laut, aber nicht zu laut. Kaum ein Saal außer dem Konzerthaus Dortmund kann das in Mitteleuropa wohl so leisten.

Der Trauergesang der Bratschen im dritten Satz war noch etwas langsamer als bei anderen Wiedergaben. Die tiefen Streicher hatten ihre großen Momente im vierten Satz, wo Celli und Bässe einen in dieser Wiedergabe hart und schwer stampfenden Rhythmus anschlugen. Am denkwürdigsten gelang der Schluss, der oft vor allem laut und marschartig ist. Michael Sanderling ließ einige Instrumentengruppen hier eher legato spielen, so dass das „Sturmgeläut“ (so der Titel des Satzes) etwas melancholischer und düsterer wirkte. In den letzten Sekunden dann wurde das Schlagwerk immer stärker und übertönte die Melodieinstrumente – zuletzt hallte noch eine Glocke lange nach.
Dirigent und Orchester haben in Luzern Großes geleistet. Man wünscht sich noch viele Konzerte in dieser Besetzung in dem außergewöhnlichen Saal des KKL.
Julian Führer, 19. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Khatia Buniatishvili / Klavier Kultur- und Kongresszentrum Luzern, 26. April 2025