Die Kammeroper „Abendsonne“ erlebt ihre Uraufführung im Wiener Jugendstiltheater und begeistert zu Recht

Tomasz Skweres, Abendsonne  Uraufführung im Jugendstiltheater im Otto-Wagner-Areal, Wien, 10. November 2025

Von links nach rechts: Christa Stracke, Horst Lamnek, Vladimir Cabak, Johann Leutgeb, Ewelina Jurga, Andreas Jankowitsch © Andreas Friess

Die Uraufführung der Kammeroper „Abendsonne“ berührt das Publikum – sie weckt Wehmut, entlockt ein Lächeln und regt intensiv zum Nachdenken an. Das Libretto von Kristine Tornquist und die suggestive Musik von Tomasz Skweres verbinden sich in einer lebendigen Inszenierung zu einem eindrucksvollen Gesamterlebnis.

ABENDSONNE.  Kammeroper
Eine Produktion des sirene Operntheaters.
Produktionsleitung:  Jury Everhartz

Ensemble PHACE
Antanina Kalechyts

Musik:  Tomasz Skweres
Text und Regie:  Kristine Tornquist
Bühne:  Michael und Markus Liszt
Kostüm:  Nora Scheidl
Licht:  Alexander Wanko
Choreographie:  Bärbel Strehlau

Jugendstiltheater im Otto-Wagner-Areal, Wien,
Uraufführung, 10. November 2025,

von Dr. Rudi Frühwirth

Eine wahre Tragikomödie entfaltet sich in der Kulisse der Seniorenresidenz „Abendsonne“ – unmittelbar vor unseren Augen und Ohren. Als Heribert (Johann Leutgeb) die Nachricht von seiner unheilbaren Krankheit erhält, beginnt er, an ein neues Leben nach dem Leben zu glauben. Gemeinsam mit seinen Weggefährten Hermann und Hartmuth (Horst Lamnek und Andreas Jankowitsch) und der esoterisch angehauchten Stella (Juliette Mars) schmiedet er einen Plan der Wiedergeburt. Die Pflegerin Mira (Ewelina Jurga) und ihr Kollege Mirko (Vladimir Cabak) sollen verkuppelt und zu einem Zeugungsakt verführt werden. Im Moment der Vereinigung plant Heribert, sich mit einer Überdosis Morphin das Leben zu nehmen, um im neu entstandenen Leben wiedergeboren zu werden. Der Plan gelingt – beinahe. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.

Das Zusammentreffen dreier Welten in der „Abendsonne“ ist im Libretto von Kristine Tornquist hinreißend gestaltet, mit Liebe und Nachsicht, aber auch von feiner, bisweilen beißender Ironie durchzogen. Da ist zunächst die Welt der „Residenten“, der Alten, weitgehend ausgeschlossen aus der Gesellschaft, geplagt von der unerfüllbaren Sehnsucht nach verlorener Jugend. Dann die Welt der Pflegerin Mira und ihres Kollegen Mirko, beide überfordert, leicht genervt von den störrischen Bewohnern, aber doch fähig zu Hingabe und Mitleid. Und schließlich die Direktorin Regine (Maida Karišik) und der Hausarzt Maximilian (Dieter Kschwendt-Michel), ein eingespieltes Duo, das zur Gewinnmaximierung auch vor ärztlichem Schwindel und Versicherungsbetrug nicht zurückschreckt. Besonders berührend ist die Szene im Libretto, in der der todgeweihte Heribert den Brief an seine künftige Neuinkarnation – an sich selbst – verfasst. Hier stößt der Text in philosophische Dimensionen vor.

Von links nach rechts: Horst Lamnek, Johann Leutgeb, Juliette Mars, Andreas Jankowitsch © Andreas Friess

Die Vertonung von Tomasz Skweres zeugt von großem Einfallsreichtum und meisterhafter Kunst der Orchestrierung. Die drei Welten der „Abendsonne“ erklingen in ungemein atmosphärischen Farben. Zart und zurückgenommen begleitet die Musik die Gespräche der Residenten; sanft romantisch schimmert sie in der aufkeimenden Liebe zwischen Mira und Mirko; mit köstlich parodierten Tanzrhythmen wie Tango und Quickstep blitzt sie auf, wenn die beiden Gauner an der Spitze ihre kriminellen Machenschaften aushecken.

Es ist absolut erstaunlich, welches raffinierte Klanggewebe die Dirigentin Antanina Kalechyts dem Ensemble PHACE zu entlocken vermag, wenn die Partitur unter ihren Händen tönende Wirklichkeit wird. Mit fünf Streichern, fünf Bläsern, Harfe, Akkordeon und zwei Schlagwerken formt das auf neue Musik spezialisierte Ensemble ein Klangbild, das uneingeschränktes Lob verdient. Durch die Platzierung der Instrumentalisten hinter der Bühne erhält die Musik überdies eine faszinierende Transparenz: Sie klingt frei und ungebunden im Raum und entzieht sich jeder eindeutigen Verortung.

Für die Sängerinnen und Sänger war die Einstudierung gewiss kein leichtes Unterfangen. Tomasz Skweres kommt ihnen allerdings entgegen, indem er etliche Passagen als Sprechgesang oder in reiner Sprache gestaltet. Bei Stella und den drei männlichen Rollen steht weniger vokale Brillanz im Vordergrund als Ausdruck und Charakterzeichnung – eine Herausforderung, die alle vier mit spürbarem Engagement meistern, sängerisch wie darstellerisch. Mira und Mirko wiederum überzeugen mit warmem, lyrischem Klang, während Regine und Maximilian ihr Können vor allem im gesprochenen Wort und im tänzerischen Spiel entfalten.

Dieter Kschwendt-Michel und Maida Karišik © Andreas Friess

Auch mit der virtuosen Inszenierung beweist Kristine Tornquist ihr Talent für das Musiktheater. Sie zeigt die alten Bewohner der „Abendsonne“ mit Empathie, ohne ihre Schwächen zu beschönigen, und verwandelt ihre alltäglichen Kämpfe in tragikomische Miniaturen. Es ist beinahe unheimlich, wie die gar nicht so alten Darsteller Gebrechlichkeit und Unsicherheit verkörpern. Mira und Mirko stehen zwischen Fürsorge und Überlastung, sind daher permanent in Bewegung, manchmal mit slapstickhafter Überzeichnung. Regine und Maximilian wiederum bewegen sich in perfekt kalkulierter Kälte – ein abgezirkelter Tanz des Zynismus, präzise und mit absurdem Humor choreographiert von Bärbel Strehlau.

Bühne und Kostüme fügen sich zu einem stimmigen Gesamteindruck. In Ermangelung aufwendiger Bühnentechnik im Jugendstiltheater ist das von Michael und Markus Liszt gestaltete Bühnenbild schlicht, aber funktionell, unterstützt durch die Lichtregie von Alexander Wanko. Auf der Vorderbühne arrangieren Mira und Mirko geschäftig Tische und Stühle, während im Hintergrund fünf Drehtüren ein durchdachtes Raumbild erzeugen – die Vorderseite jeder Tür zeigt den Eingang zum jeweiligen Zimmer, die Rückseite das Bett in der Vogelperspektive. Die Liebesszene zwischen Mira und Mirko gelangt so zu gewollt komischer Wirkung.

Die Kostüme von Nora Scheidl sind treffend gewählt: zweckmäßig für Mira und Mirko, reichlich abgetragen und nachlässig für die drei Herren, exotisch angehaucht für Stella und von billiger Eleganz für das betrügerische Duo.

Applaus für alle Mitwirkenden. Erste Reihe, vierte von rechts: Kristine Tornquist, rechts neben ihr Tomasz Skweres. Oberste Reihe in der Mitte: Antanina Kalechyts. Foto: privat.

Nach dem zarten, zugleich tragischen wie zuversichtlichen Ausklang zeigte sich das Publikum der Uraufführung zu Recht begeistert. Ein Libretto, das zum Nachdenken über das Altern und die gesellschaftliche Stellung der Alten anregt, eine Komposition von faszinierender Klanglichkeit und feinsinniger dramatischer Ausdeutung sowie eine durchwegs überzeugende szenische Umsetzung – all dies lässt hoffen, dass das Werk seinen Weg auch auf andere Bühnen findet. Verdient hat es die „Abendsonne“ allemal.

Dr. Rudi Frühwirth, 11. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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