Ein Besuch beim Rossini-Festival in Bad Wildbad lohnt sich immer!

Opern- und Musikfestival Rossini in Wildbad  Bad Wildbad 19. – 20. Juli 2024

Rossini in Wildbad © Jean-Nico Schambourg

Seit Jahren ist ein Besuch beim Rossini-Festival in Bad Wildbad fest in meiner Opernsaison eingeplant. Neben den Werken des Meisters aus Pesaro kann man hier regelmäßig unbekannte Werke aus den Federn von Rossini-Zeitgenossen entdecken. Dieses Jahr kann man neben Rossinis “Le Comte Ory“ auch “Masaniello ou Le pêcheur napolitain” von Michele Carafa erleben. Dazwischen eingeflochten ein Recital der Mezzosopranistin Marina Viotti zusammen mit dem Gitarristen Gabriel Bianco.

Opern- und Musikfestival Rossini in Wildbad vom 19. – 20. Juli 2024
Belcanto Opera Festival

von Jean-Nico Schambourg

MICHELE CARAFA (1787-1872) dürfte nur absoluten Musikspezialisten bekannt sein. Dabei war er während der Neapel-Jahre von Rossini für diesen ein ernst zu nehmender Konkurrent. Beide wurden dort aber auch zu guten Freunden und arbeiteten eng zusammen. So floss manche Note von Carafa in Rossinis Opern ein. Auch später in Paris kreuzten sich ihre Wege: Rossini schrieb für das “Théâtre-Italien”, Carafa für die “Opéra comique” die damals ihren Sitz im “Théâtre Feydeau” hatte. Carafas Pech war eben, wie es Rossini formulierte, dass er zur selben Zeit wie sein genialer Freund lebte.

Im Jahre 1827 feierte Carafa einen großen Erfolg mit seiner Oper MASANIELLO ou LE PÊCHEUR NAPOLITAIN. Die Oper erzählt den Aufstieg und Fall des neapolitanischen Fischers Masaniello, der zuerst vom Volk als Führer gegen die spanische Okkupation erkoren wird, schlussendlich aber von seinen eigenen Leuten getötet wird.

Die Geschichte wurde 1828 von Auber in seiner Oper “La muette de Portici“ ebenfalls vertont. Der Erfolg dieser Version trug einen wesentlichen Teil zum Verschwinden vom Werk Carafas bei.

 Die Aufführung in Bad Wildbad lässt aber auch erahnen, warum die Oper in Vergessenheit fiel. Carafa hat sich in diesem Werk vom Einfluss Rossinis gelöst und orientiert sich viel mehr am Stile der französischen “opéra comique“. Es gibt einige klangvolle Passagen, wie der Aufruf zur Revolte. Dieser mag die revolutionsfreudigen Zeitgenossen erfreut haben (einige Textpassagen erinnern sehr an die “Marseillaise“). Auch Masaniellos Ballade schmeichelt dem Ohr des Zuhörers. Im Allgemeinen ist es aber zu wenig, um das Überleben des Werkes zu sichern. Auch das Libretto ist dabei absolut keine Hilfe.

 Die Begeisterung des Publikums in Bad Wildbad hält sich an diesem Abend in Grenzen. Trotzdem hat diese konzertante Aufführung es nicht verdient, dass der Saal nur knapp zur Hälfte besetzt ist.

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Masaniello © Jean-Nico Schambourg

Die Sänger in Bad Wildbad sind alle „Rossini“-geübt. Es fehlt manchen allerdings an Charme, der in einer französischen “opéra comique” verlangt wird. Ein großes Manko der Aufführung sind die gesprochenen Dialoge:

Außer bei Catherine Trottmann als Masaniellos Ehefrau Léona und Nathanaël Tavernier als Ruffino klingt der gesprochene Vortrag amateurhaft, ungeprobt. Auch gesanglich gehört diesen beiden Sängern die Palme des Abends. Trottmann weiß mit klarem, sicheren Sopran zu überzeugen, Tavernier besticht durch die Resonanz seiner Bassstimme und durch seine klare Diktion.

 Mert Süngü in der Titelrolle weiß in seinen Arien mit auftrumpfendem Tenor zu punkten, geht aber im Ensemble zeitweilig unter, wie auch seine anderen Kollegen, die auch ihr Bestes geben: Luis Magallanes (Graf von Torellas), Camilla Carol Farias (Thérésia) und Juan José Medina (Matteo).

Das liegt nicht allein am Dirigat von Nicola Pascoli, der die Szymanowski-Philharmonie Krakau mit viel Schwung durch den Abend führt. Die Disposition und Akustik der Trinkhalle ist für Sänger nicht ideal, weil das Orchester hoch und frei sitzt und die Sänger deshalb schnell überdeckt.

Ein interessanter Opernabend, dem eine gewisse kultivierte Langeweile nicht abzusprechen ist.

Ganz anders die Atmosphäre am nächsten Nachmittag bei dem LIEDERABEND MARINA VIOTTI & GABRIEL BIANCO im Königlichen Kurtheater. Hier verflog die Zeit so schnell, dass man den beiden Protagonisten gerne noch länger zugehört hätte. Dabei muss ich gestehen, dass ich nicht weiß, wessen Kunst ich mehr bewundern soll: Die herrliche, runde, kraftvolle Mezzosopranstimme der Sängerin, deren Karriere vor 9 Jahren hier in Bad Wildbad mit der Isabella in Rossinis “Italiana in Algeri“ begann oder die instrumentale Virtuosität ihres kongenialen Partners, dessen Interpretation der “Rossiniana Nr 5” von Mauro Giuliani das Publikum begeistert.

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Marina Viotti © Jean-Nico Schambourg

Der Liederabend vereint französische und spanische Lieder von Fauré, Massenet, de Falla und Rossini mit modernen Chansons von Jacques Brel und Barbara. Nach deren Chanson “Nantes“ kann ich keinen Beifall klatschen, da ich mir die eine oder andere Träne aus den Augen wischen muss! Das ist große Kunst.

Rossinis “La Danza“ als Zugabe singt Marina Viotti mit solcher Verve, dass selbst ihre Tenor- und andere Gesangkollegen, die im Saal zugegen sind und die sie auffordert, beim Refrain mitzusingen, nicht mithalten können!

Am Abend folgt noch die Aufführung von LE COMTE ORY vom “Lokalkomponisten” GIOACHINO ROSSINI, die ein volles Haus genießt! Antonino Fogliani, musikalischer Leiter des Festivals, animiert Sänger und Orchester zu Spitzenleistungen. Herrlich ihm zuzusehen, wie er voller Freude und präziser Gestik in einem Moment durch die Partitur jagt (nicht hetzt), im nächsten dann wieder die Musik schwelgerisch erklingen lässt und dabei immer besorgt ist, musikalische Feinheiten der Partitur hervorzuheben. Ja, die akustischen Verhältnisse sind dieselben wie am Vortag, aber welch ein Unterschied in der Auswirkung! Ein Klangerlebnis, bei dem die Sänger trotz starker Lautstärke nicht untergehen!

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Antonino Fogliani © Andrii Kotelnikov

Gesanglich und szenisch perfekt Patrick Kabongo als Titelheld (im zweiten Akt mit blonder Perücke – sehr komisch!), begeisternd Sofia Mchedlishvili als Comtesse de Formoutiers mit brillanter Höhe, mitreißend Diane Haller als sympathischer Isolier, voller gesanglicher Komik Fabio Capitanucci als Raimbaud, erstklassig wie am Vortag Nathanaël Tavernier als Gouverneur, sehr gut Camilla Carol Farias als Ragonde.

Die Regie von Jochen Schönleber bedient sich manchem Klamauks, ohne aber ins absolut Peinliche abzurutschen. Kostüme und Bühnenbild sind der Inszenierung angepasst. Der erste Akt spielt auf einer Südseeinsel und zeigt die Frauen als Hippie-Bräute, die Männer als Bob-Marley-Imitationen. Der zweite Akt ist da schon klassischer und spielt in der Bibliothek des Schlosses der Comtesse.

Das Publikum bedankt sich am Ende mit tosendem Applaus bei allen Teilnehmern für diesen kurzweiligen Abend, der sich nahtlos an die Liste der großen Erfolge des Rossini-Festivals einreiht. Man darf schon jetzt gespannt sein, welches tolle Programm Jochen Schönleber und seine Mannschaft uns nächstes Jahr vorlegen werden.

Jean-Nico Schambourg, 23. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gioachino Rossini, Tancredi Bregenz, Festspielhaus, 18. Juli 2024 PREMIERE

Gioachino Rossini, Guillaume Tell Teatro alla Scala, Milano, 10. April 2024

Rossini, The Barber of Seville (in englischer Übersetzung) Charles Court Opera, Wilton’s Music Hall, London, 22. März 2024

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