Foto: Brandon Jovanovich als Florestan © Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Die Touristen sind zurück. Ein zweischneidiges Schwert. Einerseits benötigt man sie, um die Wiener Staatsoper zu füllen. Auf der anderen Seite stören sie, was das Zeug hält. Teils unkultivierte Horden, die husten, reden und nicht checken, dass ein Klappsessel nun mal hoch schnellt, wenn man ihn nicht dämpft. Beim „Fidelio“ am 25. Februar ging es mal wieder richtig rund.
Fidelio, Ludwig van Beethoven
Otto Schenk, Inszenierung
Axel Kober, Musikalische Leitung
Wiener Staatsoper, 25. Februar 2023
von Jürgen Pathy
Schattenseiten des Tourismus
„Stop it!“, ruft eine Frau. Nachdem sie bereits knapp davor war, das Handtuch zu werfen. Damit hatte sie nicht Brandon Jovanovich gemeint, der zwar mit seiner Auftrittsarie des Florestan zu kämpfen hatte. Ziel der Attacke war eine Gruppe von Touristen. Fünf Damen in Begleitung eines einzigen Herren. Auf der Galerie, 2. Reihe ganz rechts, wo sich Opernbesucher einen günstigen Sitzplatz erhoffen. Stattdessen sehen sie nichts. Fühlen sich dadurch ermuntert, ständig herumzuwandern und sich schamlos zu unterhalten.
Leidtragende sind der Rest. Publikum, das sich auf einen ungestörten Opernabend gefreut hat. Auf zwei Stunden, um der Realität zu entfliehen. Am Plan steht Beethovens „Fidelio“. Die Freiheitsoper schlechthin. Die Regie stammt noch aus den 1970er-Jahren. Altmeister Otto Schenk zeichnet für die verantwortlich.
„Was muss i an Haufen Geld ausgeben für einen Regisseur, der den Rocco im Wasser plantschen lässt – der Schenk tut es noch immer“, schüttet ein Gast weiter Öl ins Feuer. In die Diskussion, rund um das ausufernde Regietheater, über das in Wien bereits seit einigen Wochen vehement diskutiert wird. Seine Frau stimmt gelassen zu. „Der Rocco war noch mit Abstand der Beste.“ Wirklich widersprechen kann man ihr da nicht.
Der war in Christof Fischessers Händen bestens aufgehoben. An einem Abend, an dem sonst einiges zu bemängeln wäre. Überhaupt beim Florestan. Brandon Jovanovich hat auch schon bessere Tage erlebt. Dass der von Anbeginn aber fast chancenlos ist, muss man auch der Regie in die Schuhe schieben.
Regieurgestein Otto Schenk
So unantastbar Otto Schenk in Wien auch scheint, ganz ohne Fehl und Tadel ist auch er nicht. „Zwei Unzen schwarzes Brot und eine halbe Mass Wasser“, heißt es im Libretto. Damit musste Florestan die letzten vierundzwanzig Stunden auskommen. Nachdem seine Portionen schon das ganze Monat kleiner wurden. Nachvollziehbar, dass man da nicht das blühende Leben auf die Bühne stellt.
Dass Schenk ihn aber liegend seine Einstiegsarie singen lässt, kann man als viel bezeichnen, nur nicht als sängerfreundlich. Ohne Körperspannung, da hat Jovanovich kaum eine Chance. Noch dazu, weil der US-Amerikaner, der grundsätzlich mit einem feinen Material gesegnet ist, mit Verschleißerscheinungen zu kämpfen hat. Sattelfest in den Höhen, das ist er schon lange nicht mehr. Bereits 2018 ließen sich die Spuren nicht verheimlichen.
Da hatte Jovanovich vor den „Troyanern“ schon fast kapitulieren müssen. Ex-Direktor Dominique Meyer hatte Berlioz’ Epos an der Wiener Staatsoper wieder auf die Bühne gebracht. Nach rund vierzig Jahren der Abstinenz. Damals hatte Jovanovich aber wirklich einen Kraftakt zu bewältigen. Fünf Akte, rund vier Stunden und am Ende nochmals einen großen Auftritt. Beim Florestan bleibt das alles viel kleiner bemessen. Eine Zwischenfachpartie, die zwar ihre Tücken hat, aber grundsätzlich zu bewältigen sein sollte. Otto Schenk macht es ihm aber auch nicht einfach. Selbst Kammersänger Peter Seiffert, der hier vor fünf Jahren noch am Boden gelegen hat, konnte da nicht überzeugen.
Regisseur Claus Guth hatte das besser gelöst. Sein Florestan war da erst gar nicht zu sehen. Ob der steht, kniet oder kriecht, hat man bei den Salzburger Festspielen 2015 erst gar nicht bemerkt. Jonas Kaufmann wird es ihm sicherlich gedankt haben.
Der Star sitzt wieder im Graben
Der Rest schlägt sich wacker bis tadellos. Anja Kampe ist bei weitem nicht so schlecht, wie manche es bereits im Vorfeld haben anklingen lassen. Sie kann als Leonore durchaus auch ihre Klasse aufblitzen lassen. Neben Christof Fischesser, der als Rocco geschnurrt hat, wie ein kultivierter 4-Zylinder Jaguar Motor, wirkt sie zwar ein wenig blass. Ebenso neben Jochen Schmeckenbecher, dessen Aussprache als Vorbild dienen sollte für viele seiner Kollegen.
Dass Kampe allerdings nur kreischen würde, wie manche behaupten. Das kann ich nicht bestätigen. Gewiss wackeln da einige Spitzentöne, die sie als Leonore schon auch abfeuern muss. In Summe liefert sie aber solide ab. Mittellage, Energie und Ausdruck, das sind schon auch Qualitäten, die man nicht so ganz einfach unter den Tisch kehren sollte.
Star des Abends ist allerdings gewiss wer anderer. Das Wiener Staatsopernorchester hat hier schon viele Vorstellungen gerettet. Dass dieser „Fidelio“ nicht in einem kleinen Desaster endet, ist ebenso den Primgeigern des Orchesters zu verdanken, wie auch Slávka Zámečníková. Die slowakische Sopranistin verführt zwar nicht mit tragenden Piani wie in Monteverdis „Poppea“. Dort hatte sie vor einigen Monaten fast Kate Lindsey in den Schatten gestellt. Das etwas naive Teenager-Girl Marzelline interpretiert sie allerdings sehr authentisch.
Fast so überzeugend, wie die dritte Leonoren-Ouvertüre, mit der das Staatsopernorchester nochmals das Ruder herumreißen kann. Axel Kober kann sich dankbar schätzen, den Graben voller Prominenz zu führen. Zwei Konzertmeister und der Vorstand der Wiener Philharmoniker. Allesamt vereint am ersten Pult. Das erlebt man auch nur in der Wiener Staatsoper.
Jürgen Pathy (klasssikpunk.de), 2. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ludwig van Beethoven, Fidelio Wiener Staatsoper, 25. Februar 2023
Was da wieder für Gerüchte verbreitet werden…
Hier die Arie des Florestan aus Salzburg 2015:
https://www.youtube.com/watch?v=dxhAaftYrZs
Auch in Mailand sang Florestan liegend:
https://www.youtube.com/watch?v=GVKplqjsyCo
und auch in Paris: https://www.youtube.com/watch?v=3O-a2eYuA5Q
Waltraud Becker
Vielen Dank, werte Frau Becker. Dass Sie das Video aus Salzburg posten. Genau das habe ich auch gesehen. Unzählige Male. Jonas Kaufmann ist gerade zu Beginn NICHT zu sehen. Genau der Punkt in der Arie, die vermutlich am schwierigsten zu bewältigen ist. Aus dem Nichts, hoffentlich gut aufgewärmt, geht es steil bergauf in die Höhe. Ich traue mich wetten, Kaufmann ist da aufrecht gestanden. Lässt auch sein erster Anblick vermuten. Er erscheint stehend hinter der verdunkelten Säule.
Liebe Grüße
Jürgen Pathy
Werte Frau Becker,
Zusatz:
Jonas Kaufmann wirft sich erst später auf den Boden. Klug (ökonomisch) gestaltet. Ob die Idee von Guth stammt, kann ich nicht bestätigen. Vielleicht hat sich Kaufmann das schwer erkämpft. Eine Vermutung, die man mir schon nahe gelegt hat. Würde für die sängerische Intelligenz von Kaufmann sprechen. Dem Risiko, da im Liegen zu versagen, wollte er sich vielleicht erst gar nicht aussetzen.
Liebe Grüße
Jürgen Pathy