Foto: Wiener Staatsoper © Michael Pöhn
Oper ist nicht gleich Oper. Opernhaus nicht gleich Opernhaus. Das dürfte den meisten bewusst sein. Publikum ist aber auch nicht Publikum. Wer regelmäßig die Wiener Staatsoper besucht, der wird das auch schon beobachtet haben. Im Parkett schwebt man im Smoking und im Abendkleid. In den Logen mischt sich das Publikum schon ein wenig durch. Auf der Galerie: Da tummelt sich ein bunt zusammengewürfelter Mix aus Opernnarren, biederen Bildungsbürgern und einer Horde an Touristen, die sich mal besser und mal weniger angemessen zu benehmen weiß. Zwischen allen herrscht eine gewisse Kluft.
von Jürgen Pathy
„Das ist doch alles mittlerweile viel entspannter“. Seit man die U27-Tickets eingeführt hat, sei das alles nicht mehr ganz so streng. Meint zumindest ein Stammgast, der sich in allen Bereichen des Hauses sicher zu bewegen weiß. Die Jugend erhält nämlich vereinzelt Tickets fürs Parkett. Zu einem adäquaten Preis: 20 Euro zahlt der „Nachwuchs“ da nur. Eine Initiative, die sicherlich gut gemeint ist. Ob sie aber wirklich zum Ziel führt, wage ich zu bezweifeln. Direktor Bogdan Roščić erhofft sich dadurch vermutlich Schützenhilfe, endlich seiner Hauptagenda näherzukommen: Den Altersdurchschnitt an der Wiener Staatsoper deutlich zu senken. Ähnliche Angebote gibt es natürlich schon länger. Die Erfolgsaussichten sind aber überschaubar.
Gesehen und gesehen werden: Das Parkett der Wiener Staatsoper
Denn eins steht fest: Es kann schon sehr befremdlich sein, fast schon einschüchternd, in diesem so elitär verstaubten Kreis zu sitzen. Überhaupt als Neuling, der zuvor kaum noch in Berührung gekommen ist mit den sozialen Gepflogenheiten, denen man sich da doch unterworfen sieht. Oper ist nämlich noch immer elitär. Im Parkett der Wiener Staatsoper um einiges elitärer als anderswo im Haus. Ob man das wahrhaben will oder nicht. Zumindest in puncto Benimmregeln und Kleidungsstil. Selbst für eingefleischte Operngänger kann das dort schon mal zum Spießrutenlauf werden.
Was steht denn da nun wirklich im Mittelpunkt? Die Oper selbst, die Musik, oder einfach nur das „A-Dabei-Sein“, der angemessene Auftritt im Scheinwerferlicht, überhaupt bei Premieren. Da scheint das Schaulaufen überhaupt an erster Stelle zu stehen. Ob sich die Jugend mit diesem Umfeld identifizieren kann, das ist zu bezweifeln. „Wie kann man denn so ins Konzert gehen?!“, echauffieren sich da zwei Damen hinter mir. Um die sechzig, gut betucht und oberflächlich betrachtet, sicherlich der gesellschaftlichen Oberschicht zuzuordnen.
Zugegeben: Das war im Parkett des Wiener Konzerthaus. Eigentlich ein Veranstaltungsort, der in puncto Programmauswahl einen viel offeneren Stil pflegt als andere Häuser der Stadt Wien. Klassik, Jazz und World Music, alles hat hier mittlerweile schon Einzug gefunden. Ansporn der Erregung damals: Ein junger Herr, der es gewagt hat, im schwarzen Hoodie und in Jeans vorbeizuschlendern. Im Klassikbetrieb für manche noch immer ein No-Go.
An der Wiener Staatsoper erlebt man solche Szenen genauso. Natürlich, gar keine Frage: Einen gewissen Stil sollte man schon an den Tag legen, wenn man ein Opernhaus betritt. Alleine schon aus Respekt der anderen wegen. Fußballtrikots, Leggings und zerfetzte T-Shirts, die haben da natürlich nichts zu suchen. Immerhin ist ein Opernhaus kein Rockkonzert, wo man biertrinkend grölen und stören kann. Das will natürlich auch niemand.
Eine gewisse Akzeptanz sollte aber mittlerweile auch schon im verstaubten Klassikbetrieb angekommen sein. Wir befinden uns im 21. Jahrhundert. Die Zeiten, als der Kaiser noch in seiner Mittelloge gethront hat, und man in Frack und Fliege um Audienz gebeten hat, sind vorbei. Möchte man zumindest meinen. Die Realität sieht oft noch anders aus.
Die Galerie der Wiener Staatsoper: The place to be für akustisch Feinfühlige
Ein Lichtblick ist hier allerdings die Galerie der Wiener Staatsoper. Dort, wo man im Schlabberpulli und in Jeans sicherlich noch am wenigsten aus der Reihe tanzen würde. Hier tummelt sich eigentlich fast alles – und darf es auch. Vom Opernnerd, der in Sandalen durchs Haus streift bis hin zu Wegelagerern, die auf den Stiegen lungern. Immerhin kann so eine „Salome“-Aufführung ganz schön anstrengend werden. Überhaupt, wenn man sich als Tourist erhofft hat, schnell mal für paar Euro auf dem Stehplatz zu landen. Den gibt es natürlich auch im Parkett. Allerdings fast völlig abgekapselt vom Rest des Hauses. Auf der Galerie vermischt sich alles. Stehplatzpublikum, Touristen und einheimische Bildungsbürger, die es seit Jahrzehnten hier herauf zieht.
Im Gegensatz zum Parkett, eine etwas andere Welt also. Ein Mikrokosmos innerhalb des großen Genres „klassische Musik“. Steif und altbacken wirkt der ab und zu zwar noch immer. Cool und hip war Oper ja noch nie – zumindest nicht in jüngster Vergangenheit. Dennoch scheint es, dass man sich hier oben noch etwas ungezwungener bewegen kann. Entspannter, nicht so von oben bis unten beäugelt. Unprätentiöser, könnte man auch sagen. Vielleicht sogar schon etwas „jugendfreundlicher“.
Das hat natürlich mehrere Gründe. Einerseits, weil das Publikum, das sich nur in die Oper bewegt, um halt seinen sozialen Status zu pflegen – die Oper gehört halt zum „guten Ton“ –, hier etwas seltener anzutreffen ist. Die zieht es standesgemäß eher ins Parkett. Zum anderen, und natürlich auch daraus resultierend: Weil sich hier oben hauptsächlich nur einfindet, wer wirklich wegen der Musik ins Theater geht. Sehen und gesehen werden, das ist hier eher Nebensache. Abgesehen von einigen Touristen, die es natürlich auch in die Galerie verschlägt, verkriecht man sich hier lieber in seiner Ecke. Um so richtig tief in die Musik einzutauchen, ungeniert das Klangbad der Wiener Philharmoniker zu genießen. Die hört man hier oben natürlich am besten.
Dafür zahlt man aber auch einen „Preis“. Manchmal sogar einen sehr hohen. Der ist nicht monetärer Art. Viel Geld benötigt es hier oben nicht unbedingt. Zwei Käsekrainer und zwei Märzen-Bier, die kosten beim Bitzinger um die Ecke auch nicht viel weniger. Sitzplatzpreise beginnend bei 25 Euro, ziehen aber auch anderes Klientel an, als wenn man mal um die 200 bis 300 Euro auf den Tisch blättert. So viel kann eine Premierenkarte im Parkett schon kosten. Dafür hat man sich dort freigekauft. Von all den Störenfrieden, die hier oben schon auch mal handgreiflich werden können.
Dieses Risiko nimmt man halt in Kauf. Dafür erlebt man hier nämlich auch wahre Sternstunden. Wer schon einmal in den Genuss gekommen ist, die Wiener Philharmoniker von der Galerie zu hören, der wird nie wieder glücklich werden im Parkett. Deren Eruptionen sammeln sich nämlich hier ganz oben. Unten, da streifen sie einem nur mal kurz über den Kopf.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 24. Mai 2023, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“
Ich war in meiner Studentenzeit viel am Stehplatz – nicht im Abendkleid, aber dem Anlass gebietend adäquat gekleidet! Gammelige Jeans waren nicht dabei!
Dr. Monika Auer
Was für Benimmregeln machen einen Besuch im Parkett zum Spießrutenlauf? Dass man beim Durchgehen in der Reihe den anderen nicht den Hintern ins Gesicht drücken und man während der Aufführung ruhig sein und nicht mit dem Handy spielen soll? Und was die Kleidung anbelangt, entweder man steht zu seiner Jeans oder man zieht sich halt passend an, das hat in meinen Augen nichts mit Zweiklassengesellschaft zu tun. Alles mit dem gesunden Menschenverstand herleitbar und machbar, nur dieser Artikel kann junge Menschen davor abschrecken in die Oper zu gehen.
Sophie
Liebe Sophie,
ich hoffe nicht, dass es die Jugend abschreckt. Es soll eher aufzeigen, dass es in der Oper nicht nur einen Stereotyp gibt. Cool und hip, ja, das ist sie nicht. Zurechtfinden kann sich in der Wiener Staatsoper aber jeder, wenn er nur will. Wer sich mal gerne fein rausputzt, kann überall im Haus seinen Platz beziehen. Will er das auch noch allen präsentieren – bitte runter ins Parkett.
Wer Abstand und „Ruhe“ möchte, kann sich in eine der Logen verziehen. Fast geschenkt in den hinteren Reihen, etwas kostspieliger in den vorderen. Die Akustik ist dort ebenso beeindruckend. Um vieles mehr als im Parkett. Dort, im Parkett, ist man wiederum gut aufgehoben, wenn man die optischen Reize den akustischen vorzieht.
Wer dann auch mal etwas entspannter durch das Haus streifen will, der kann das recht locker auf der Galerie. Bombenakustik inklusive. Jeder, wohin er will. Wo er sich wohlfühlt. Was er bevorzugt. Laut Wikipedia sollen ja die besten Plätze in puncto Sicht und Akustik auf der Galerie sein – Mitte, Reihe 2, Platz 36 und 37. Ich hab sie noch nie getestet, um ehrlich zu sein.
Jürgen Pathy
Lieber Kollege!
In den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts war für Herren, auch jugendlichen Alters, Krawatte oder Mascherl Pflicht. Erst Otto Schenk machte den Rollkragenpullover salonfähig. Ihn konnte man schwer vor die Tür setzen. In der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre kaufte ich für die Aufführungen im Tiroler Landestheater einen Trachtensmoking, mit dem ich mich heute auch in der Wiener Staatsoper overdressed fühlen würde. Ich bin schon lange nicht in der Wiener Oper im Parkett gesessen, aber auch von der Galerie aus sichte ich wenige Herren im Smoking. In Glyndebourne gab es zumindest vor einigen Jahren noch strenge Kleidungsvorschriften, nicht von der Operngesellschaft, sondern vom Grundeigentümer, also vom Hausherrn her. Fantasielos waren die Herren in Wien alle in schwarze Smokings gekleidet. Begeistert haben mich bei einer „Norma“-Aufführung im Teatro di San Carlo in Neapel im Jahr 1973 die vielen bunten Smokings in Grün, Rot, Blau. Davon angeregt ließ ich mir ein blaues Oberteil maßschneidern und wurde dann hierzulande mit dem Platzanweiser verwechselt.
Einen lieben Gruß
Lothar Schweitzer
Lieber Herr Schweitzer,
mich verwechselt man auch immer wieder. Im Musikverein mit dem Kellner. In der Wiener Staatsoper schon mal mit den Platzanweisern. Selbst Schuld, meint meine Freundin: „Warum ziehst dich auch an wie ein Kellner“? Gemeint sind damit: Weißes Hemd, grauschwarzes Gilet. Klassische Kellneruniform halt in Wien. Ich bin noch am Tüfteln, wie ich diesen Verwechslungen aus dem Weg gehen kann. Vielleicht ein paar Silberkreuze um den Hals, Hemdknöpfe mindestens zwei von oben offen. Schau ma mal. Irgendwas wird mir schon einfallen, womit ich nicht zu viel Aufsehen errege.
Liebe Grüße
Jürgen Pathy
Ich bin eine langjährige Besucherin, die alle Plätze der Wiener Staatsoper kennt und sehe die Lage auf der Galerie nicht so rosig wie Sie das tun. Außer bei besonders interessanten Besetzungen ist die Galerie zu einem guten Teil von Touristen besetzt, die sich nur ein günstiges Ticket leisten wollen. Da geht es mir in erster Linie nicht um Bekleidungsfragen, sondern um die sehr störende Unruhe, die sich immer mehr breitmacht. Da wird ständig mit den Sesseln geklappt, am Handy gesurft, Plätze gewechselt, manche Leute stehen sogar während einer Arie auf um die Vorstellung zu verlassen. Die Menschen haben offensichtlich keine Ahnung, wie man sich in einer Vorstellung verhält, und dass man die anderen Besucher nicht zu stören hat. Hier wäre die Information über eine eventuelle Hausordnung dringend nötig.
Ich fühle mich jedenfalls massiv gestört und meide so möglich die Galerie.
MfG,
Silvia Herdlicka
Sehr geehrte Frau Herdlicka,
ich sehe das als häufiger Gast der Galerie genauso, gerade bei Gelegenheitsgängern und Touristen müsste deutlich intensiver für dezente Umgangsformen geworben werden.
Johannes Erath
Was für ein Affentheater. In der Oper oder im Konzert interessiert mich nicht die Bohne, wer da wie angezogen ist. Da sitze ich wegen der Künstler, nicht, um mich meinem Nachbarn für einen Teil der Oberklasse zu verkaufen. Manche Verhaltensweisen machen Sinn, man will andere ja nicht stören. Aber andere wegen Jeans und fehlendem Frack angreifen? Oder gar sich selbst angegriffen fühlen? Traurig, ja eigentlich schon erbärmlich, wenn Menschen solche Banalitäten zum Anlass nehmen, ihr Musikerlebnis (und auch das von den Opfern ihrer Borniertheit) kaputt zu machen. Verantwortung für die eigenen Empfindlichkeiten trägt nun mal jeder selbst. Auch in einer Kultur, wo wir die Schuld immer so gerne auf andere abschieben.
Da das aber nach wie vor nicht in unserem Kulturbetrieb angekommen ist, ist es gar kein Wunder, dass die Jugend fern bleibt. Dieser Beitrag bestätigt ja auch wieder nur meine Meinung, warum ich die Oper als Gerne für maßlos überholt und aus der Zeit gefallenen Elitenzirkus empfinde. Zum Ergreifen und Erleben ist die Musik da. Nicht der Smoking vom Nachbarn – wir sind doch nicht auf einer Modenschau! Aber wenn die Verhältnisse so umgekehrt werden und die Musik damit so aus dem Zentrum gerissen wird – na dann kaufe ich mir für das gleiche Geld lieber zwei oder drei Musical-Karten und habe ein noch beeindruckenderes Erlebnis, als mir von verstaubten, mit einem Bein bereits im Sarg liegenden Schnöseln auch noch anhören zu müssen, wie sehr ich ihr – qualitativ mediokres – Musikerlebnis ruinieren würde. Um die Musik geht es dabei doch schon lange nicht mehr, sondern nur noch ums Präsentieren der eigenen Hochmut. Und wenn dann auch noch eine Inszenierung dazukommt, die es mal wieder versteht, das ursprüngliche Kunstwerk zu zerstören, na dann gnade einem Gott! Dann sind das 200 oder 300 €, die man einfach mal nutzlos in eigenen Ärger verbraten hat. Ist das schon spätrömische Dekadenz? So einen Mist brauch ich mir nicht geben. Selbst wenn ich die Kohle nur ins Eisessen oder in den Kaugummiautomaten stecken würde, habe ich dann ja mehr davon.
Na gut, in Zeiten von Liveatreams und Aufnahmen von der CD kann einem das ja ohnehin egal sein. Die Opernhäuser wird es mit der Zeit ausbluten – man erlebt es ja bereits an vielen Orten, wie das Publikum wegbricht oder seit Corona nicht mehr zurückfindet. Aber alles, was dabei hilft, dass man nicht mehr den Pinguin vor Ort machen muss, um den eigentlichen Inhalt dieser Kunst mitzukriegen, kann ja nur dem Aufbau eines jungen Nachfolgepublikums helfen. Denn die alten Schnösel wird es bald nicht mehr geben. Und wer die ersetzen soll? Ich bin gespannt, denn ich werde es sicherlich nicht sein, dafür bin ich nämlich inzwischen von dieser Publikums- und Inszenierungskultur zu sehr angewidert.
Daniel Janz
Sie leben wohl – gleichsam wie der Autor – in einer Parallelwelt.
Nicht einmal in Bayreuth oder bei den Salzburger Osterfestspielen ist Smoking oder dergleichen Pflicht, wenngleich sich natürlich niemand daran stört, wenn man in einem solchen kommt. Zwischen Jeans mit Hoodie und Smoking liegen aber Welten, zumindest für eine gepflegte Hose mit Hemd sollte es auch bei den gebeuteltsten Studenten noch reichen.
Das relevante junge Publikum hat aber meiner Meinung nach keineswegs Angst vor den Kleidungsvorschriften, es wird aber an Schulen und – viel wichtiger – in den Elternhäusern kaum mehr Liebe mehr zur klassischen und romantischen Musik vermittelt. Deswegen halte ich auch von Jugendopern (Tschick etc.) rein gar nichts. Ein gut inszenierter Holländer, die Zauberflöte oder gar der Freischütz haben noch fast jedes Kind begeistert, wenn man es entsprechend auch ein wenig vorbereitet. Dass das Bildungsbürgertum den Grundstock des Publikums bildet, wird gerne übersehen, auch im obigen Beitrag. Zwischen Bussi Bussi und Klassenkampf, gibt es nämlich auch Leute, die sich einfach für Musik begeistern.
PS: Für die wenigsten Musicals bekommt man Karten um so wenig Geld, auch die Qualität, die an der Staatsoper geboten wird, wollen und können Sie nicht ernsthaft mit Musicals vergleichen.
Johannes Erath
Die Jugendoper Tschick hat meinen Sohn (17) begeistert. Also eine gute Initiative und ein durchaus anspruchsvolles Stück. Allerdings ist mein Sohn Operngeher und setzt sich mit dem U27-Angebot auch mal in eine Tristan-Probe. Er zieht sich gern auch mal festlicher in die Oper an, auch mal mit Perlenkette und lackierten Fingernägeln zu Hemd und Jeans oder auch zum Anzug. Blöd angeredet wurde er nie.
Das U27-Angebot ist super. Ist doch toll, wenn sich das Publikum mehr durchmischt, oder?
Zur Oper kam mein Sohn übrigens durch das super günstige Kartenangebot für unter 14-Jährige. Er blieb dann mit U27 der Oper treu.
Also: Ja, die Jugendangebote bringen es sehr wohl!
Elisabeth
Lieber Herr Erath,
und wenn ich nackt dort im Konzerthaus sitzen würde – welche Relevanz hätte das im Bezug auf die Musik? Besonders, nachdem in Opern inzwischen dergleichen Eskapaden als „Inszenierung“ ja Gang und Gebe sind?
Verzeihen Sie mir, wenn ich das so überspitze, aber selbst die Haltung „für eine gepflegte Hose mit Hemd sollte es auch bei den gebeuteltsten Studenten noch reichen“ ist für mich nichts anderes, als oberflächliche Borniertheit. Warum entscheidet das darüber, ob ich ein guter Konzertgänger bin oder nicht? Was hat das mit der Musik zu tun?
Gar nichts!
Wer sich schick für ein Konzert anzieht, tut das nicht für andere, sondern für sich selbst. Gute Hose und Hemd ziehe ich mir an, wenn ich mich präsentieren will. Wenn ich andere beeindrucken, ihnen imponieren will. Aber zum Musikhören? Nein, zum Musikhören könnte ich selbst im Schlafanzug da sitzen und es würde immer noch keinen Unterschied machen.
Die einzigen, für die das einen Unterschied macht sind Menschen, die sich von solchen Oberflächlichkeiten leiten lassen. Die ins Konzert gehen, um sich von ihren Nachbarn beeindrucken zu lassen. Die dann auch regelmäßig enttäuscht sind, wenn andere Menschen mit diesen Konventionen brechen. Vom Beruf Opfer: Man könnte ja genießen, wenn dieser böse junge Mann da neben ihnen nicht so verludert nur mit Shirt und Hose sitzen würde. Oder ganz schlimm – wenn er auch noch interessiert ist, sich Notizen macht oder vielleicht einfach mit der Musik mitwippt. Das geht im Konzertsaal natürlich gar nicht, da heißt es nur „stillsitzen und steif angeklebt sein, wie der Zinnsoldat“!
Bei solchen Menschen muss man mal ganz klar auf den Punkt gebracht fragen: Wo ist denn dann ihre Aufmerksamkeit im Konzertsaal? Sicher nicht bei der Vorstellung; Bach, Beethoven, Mahler usw. scheinen für sie ja irrelevant zu sein, denn sonst hätten sie gar keine Augen für solche Banalitäten. Wenn ich mich recht entsinne, wurde zu Mozarts Musik am Hof sogar geschwatzt, gegessen und getanzt. Man stelle sich das heute mal im Konzertsaal vor…
Und damit kommen wir zu ihrem Vorwurf, in den Elternhäusern würde „kaum mehr Liebe mehr zur klassischen und romantischen Musik vermittelt“. Ja, absolut richtig. Und das betrifft klassiknahe wie klassikferne Haushalte gleichermaßen. Denn wer lehrt, dass klassische Musik nur im Kostüm, stillsitzend, leise mit grimmiger Miene und tiefversunken in Gedanken zu hören ist, der vermittelt keine Liebe, keine Leidenschaft, keine Freude. Sondern nur Spießbürgertum. Leute, die so an klassische Musik herangeführt werden, hören sie nicht aus Spaß an der Freude. Sondern aus Konvention. Für die ist Musik auch kein Erlebnis, sondern elitäres Akademikertum. Und nur auf solche emotionslosen Puppen können dann noch Eskapaden, wie in der Neuen Musik oder die Versaubeutelungen an den Opernhäusern wirken. Das ist Selbstbeweihräucherung zur Abgrenzung von „weniger hochstehenden“ Bevölkerungsschichten. Reines Elitentum, wie vor 200 Jahren.
Deshalb tun solche „klassiknahen“ Haushalte der Orchestermusik meiner Meinung nach damit noch mehr Schaden an, als jene, die es von Anfang an ignorieren. Denn was ihnen völlig abhanden kommt, ist die Essenz der Musik selbst: Also Freude, Leidenschaft, Erlebnis, Ergriffenheit. Klassische Musik ist heute eine stockernste, triste Veranstaltung. Und das ist traurig!
In den Haushalten, wo nur Ignoranz herrscht, können junge Menschen immerhin selbst irgendwann einmal ausprobieren und reinhören. Sei es aus Zufall, sei es aus Interesse oder sei es aus Leidenschaft. Alles besser, als aus Konvention. Das kann gut gehen oder nicht. Aber trotzdem ist es mehr Freiheit, als in solch bornierten „Liebhaber“haushalten.
Ich selbst bin nur zum Orchesterfreund mutiert, weil ich gemerkt habe, dass mir die platten Songs aus dem Radio nichts geben und ich dann angefangen habe, aus reiner Neugier Bruckner, Mahler und Strauss zu hören, von denen mein Vater glücklicherweise ein paar gute Aufnahmen in der CD-Sammlung hatte. Zu diesem Zeitpunkt bin ich bereits mehrere Dutzend Male in der Philharmonie gewesen und habe mich jedes Mal zu Tode gelangweilt. Aber in diesen CDs, in intimer, persönlicher Auseinandersetzung – da sprach die Musik auf einmal zu mir. Völlig frei von Hemd und ‚feiner Hose‘. Unbelastet konnte ich in dieser Musik plötzlich ganze Welten entdecken. Nicht durch eine Schulbildung (ich habe mein ganzes Leben lang nu 2 Jahre lang überhaupt Musikunterricht in der Schule gehabt) oder eine der (zumeist furchtbar akademisierten) Konzerteinführungen vor Ort oder weil mich das jemand im Korsett der Konvention gelehrt hätte. Sondern, weil ich mich frei, unabhängig und mit offenem Geist damit auseinandersetzen konnte. Und nur das war auch der Grund, weshalb ich irgendwann festgestellt habe, das mir das nicht reicht, sondern dass es noch viel mehr gäbe, was in Musik gegossen gehört. Nur deshalb habe ich selbst das Komponieren angefangen und bin schließlich sogar in den Bereich der Musikwissenschaft als Profession gewechselt.
Hätte ich diese Freiheit im Umgang nicht gehabt, ich würde die Orchestermusik genauso ablehnen, wie gefühlt 90% der Jugend. Deshalb sollten wir Freunde der Orchestermusik alle mal gründlich nachfragen, ob wir mit solchen Mantras nach „Verhaltensregeln“ und „besserer Bildung“ wirklich noch die Musik in den Fokus stellen oder nur unsere eigene Überheblichkeit.
Daniel Janz
Habe nur eine Frage zu allen Kommentaren: Wann benötigt man überhaupt einen bessere Kleidung, wenn nicht bei einem Opern- oder Konzertabend? Der Kleidungstil sollte von den Eltern den Kindern nahe gebracht werden.
Gerlinde Tesch
Liebe Frau Tesch,
bin ich ganz bei Ihnen. Wie ein Sandler sollte man ein Opernhaus nicht betreten. Aber was ist schon „bessere“ Kleidung? Das ist eine Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Anzug ist nicht Anzug. Manche sehen in Jeans und passendem T-Shirts besser gekleidet aus.
Liebe Grüße
Jürgen Pathy
Keine Frage: Ein Theater oder Opernbesuch sollte in einer Abendkleidung erfolgen. Mit 16 Jahren begann ich Aufführungen in der Staatsoper und im Burgtheater zu besuchen. Meine Freunde und ich waren selbstverständlich festlich gekleidet. Meist auf dem Stehplatz. Wir fanden das ganz in Ordnung.
Hugo ZSOLNAI