„Ich preise die Seltsamkeit“: Peter Konwitschny ruiniert „Die Frau ohne Schatten“ in Bonn

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten  Theater Bonn, 16. November 2025, PREMIERE

Frau ohne Schatten, Oper Bonn © Matthias Jung

Eines der größten Kunstwerke auf Erden, die Fresken des Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle, erschienen Papst Paul IV. zu frivol. Da half nur eines: Nackte Geschlechtsteile übermalen lassen!

Eine der größten Opern des 20. Jahrhunderts erschien Peter Konwitschny nicht mehr zeitgemäß. Da hilft nur eines: Die Oper größtenteils unkenntlich machen!

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten

Libretto von Hugo von Hofmannsthal

In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Neuproduktion | Koproduktion mit dem Tokyo Nikikai Opera Theatre und dem Teatro Real in Madrid

Peter Konwitschny, Inszenierung

Dirk Kaftan, Dirigent

Aaron Cawley, Tenor
Anne-Fleur Werner, Sopran
Ruxandra Donose, Mezzosopran
Giorgos Kanaris, Bassbariton                        Aile Asszonyi, Sopran

Damenchor des Theaters Bonn
Beethoven Orchester Bonn

Theater Bonn, 16. November 2025, PREMIERE

von Dr. Andreas Ströbl

Wenn man etwas nicht inszenieren will, sollte man es auch lassen

Im WDR-Interview am 12. November sagte Konwitschny sinngemäß, er wollte Richard Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ eigentlich gar nicht inszenieren, weil er die Oper aufgrund der Fixierung auf weibliche Gebärfähigkeit als frauenfeindlich empfände. Dann habe er sich aber doch dazu entschlossen und die Frauen scheinschwanger werden lassen, in einem Falle wird sogar ein Kind geboren. Das äußert sich dann mit quakend-verfremdeter Stimme vom Band auch sofort nach Entbindung: „Ich will nicht!“. Damit spricht die frühreife Leibesfrucht einem Großteil des Publikums aus dem Herzen.

Erstes Gebot einer dekonstruktiven Regiearbeit ist, dass nach der Zerstörung ein Gegenentwurf angeboten wird. Dialektik heißt, dass aus der Antithetik etwas anderes, nämlich die eigene Interpretation entsteht. Das hat Konwitschny aber nicht verstanden, und zwar gleich mehrfach. Die Männer sind entweder Mafiosi, Ärzte oder beides, auf jeden Fall fiese Machos in schwarzer Gangster-Kluft oder weißem Klinik-Kittel. Seine Frauenfiguren sind entweder als billige Flittchen oder Bordsteinschwalben bzw. Mafia-Gespielinnen (Kaiserin und Amme) oder bieder-trutschig (Färberin), gerne auch als Putzfrauen dargestellt.

Es gibt Oralsex an der Autotür, die Vergewaltigung einer (Schein-) Schwangeren, eine angedrohte Zangengeburt, einmal einvernehmlichen, länger als nötig dargestellten Sex mit deutlicher Einladung zum Voyeurismus. Man kann nur froh sein, dass bei der Textstelle „liebend, dienend dir mich bücken“ nicht Entsprechendes passiert; da hatte man schon berechtigte Angst. Am Ende werden alle Frauen von Männern totgeschossen, während Sekt geschlürft wird. Vielen Dank für diese Befreiung aus dem Patriarchat!

Frau ohne Schatten Oper Bonn © Matthias Jung

„Ich preise die Seltsamkeit“, möchte man, Färber Barak zitierend, mit bitterer Ironie ausrufen, aber das ist ja nur die inhaltliche Katastrophe. Man könnte nun einfach die Augen schließen und wenigstens die zauberhafte Musik genießen. Das wird aber auch verunmöglicht, weil im Streitgespräch zwischen Färber Barak und seiner Frau die Musik nun plötzlich aus seinem Transistorradio ertönt, das die genervte Gattin mehrfach ausschaltet, gefolgt von einem dümmlichen Zankdialog, der auf billigste Weise Geschlechterrollen karikiert. Da setzt es schon den ersten verdienten Buh-Ruf.

Keine Chance für Partitur und Libretto

Ständig werden Türen geknallt, Gegenstände lautstark durch die Gegend geworfen und mit Pistolen geballert. Das Beethoven Orchester Bonn unter Dirk Kaftan hat unter diesen Umständen kaum Möglichkeit, die Tiefe und atmosphärische Dichte der Musik strahlen zu lassen. Während der zauberhaften Stelle „Ihr Gatten in den Häusern dieser Stadt, liebet einander mehr als euer Leben“, in der die kongeniale Verschmelzung von Hofmannsthal-Libretto und Strauss-Klangglanz einen ihrer Höhepunkte erleben sollte, gibt es soviel Geknalle und Unruhe, dass jegliche Stimmung im Keim erstickt wird. Besser gesagt: Die feinen Keime werden zertreten, wie in der Passage „es ist angelegt aufs Zertreten des Zarten, und es siegt das Plumpe“ unübertrefflich ausgedrückt.

Diese Oper plump zu machen, das schafft Konwitschny mit Bravour; das Publikum lacht auch von Anfang an sehr häufig. Und so wird aus einem ernsten, zuweilen düsteren Werk oft billiges Bauerntheater, in dem ganze Kleenex-Packungen zum Tränentrocknen geplündert werden oder durch Mafia-Schergen bei einer Hausdurchsuchung nur ein toter Fisch gefunden wird. Das soll wohl irgendwie Monty Python-Humor oder Tarantino-Schmuddel zitieren, bleibt aber an der Oberfläche hängen und wird weder ausgespielt, noch in eine andere Richtung geführt.

Frau ohne Schatten Oper Bonn © Matthias Jung

In wenigen Momenten schaffen es Cello und Erste Violine zu zaghaften kleinen Inseln musikalischer Seligkeit, aber die wird bald wieder zunichte gemacht. Pistolenschüsse oder das Hämmern an verschlossene Türen zeigen klar: Der Regisseur mag keine Musik, zumindest nicht die von Richard Strauss.

Wenig Platz für solistische Leistungen

Offenbar blieb bei der Inszenierung dieses missratenen Pulp-Fiction-Abklatsches zuwenig Zeit für die musikalische Probenarbeit. Eingeräumt sei, dass sämtliche Solisten und Statisten von der Interaktion und dem theatralischen Spiel her alles geben; da legen sie sich mächtig ins Zeug. Aber die Textverständlichkeit bleibt auf der Strecke, fast alle sind zu leise oder in der Diktion ausgesprochen unsauber. Bei einem Hofmannsthal-Libretto funktioniert das nicht.

Aaron Cawley als Kaiser bleibt stimmlich eher machtlos, Kaiserin Anne-Fleur Werner hat im dritten Akt (mit im Saal bereits deutlich gelichteten Sitzreihen) einige schöne Momente, aber die breitbeinigen Verrenkungen der Hochschwangeren nehmen der Figur jede Würde. Die Amme Ruxandra Donose tremoliert etwas zu stark, sie und Giorgos Kanaris als Färber dringen selten durch den Orchesterklang hindurch. Eigentlich stimmlich stark ist seine Gattin, Aile Asszonyi, aber auch sie hat Schwierigkeiten mit der Diktion.

Ein Lichtblick ist Christopher Jähnig aus den Stimmen der Wächter der Stadt. Dem hätte man den Barak geben sollen, den er vielleicht mit schönem, vollem Bassbariton hätte gestalten können.

Frau ohne Schatten Oper Bonn © Matthias Jung

Am Ende fehlt – das Ende. Es gibt keinen ver- und entsteinernden Kaiser, nur viele Mienen im Publikum sind versteinert. Eine große Menge macht sich beim Applaus durch Buhen bis zur Heiserkeit Luft, als der grinsende Regisseur erscheint. In den 60er Jahren mag so eine Provokation durch Dekonstruktion noch sinnvoll erschienen sein, aber auch da stand die Frage nach den Gegenmodellen im Raum und wurde oftmals beantwortet.

Sozialkritische Aktualisierungen und Neudeutungen sind unbedingt notwendig, auch bei der „Frau ohne Schatten“. Aber diese Interpretation bleibt in ihrem eigenen Anspruch stecken wie ein in den Unterwelt-Sumpf gefahrener Karren.

Viele der übermalten Geschlechtsteile in der „Sistina“ wurden vor Jahren wieder freigelegt, die ursprünglichen Farben des Meisters erstrahlen in alter Frische. „Die Frau ohne Schatten“ in Bonn allerdings ist stark beschädigt. Bitte bald restaurieren lassen! Von jemandem, der diese Kunst zu schätzen weiß!

Dr. Andreas Ströbl, 17. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten Staatsoper Unter den Linden, 9. November 2024

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten Semperoper Dresden, 30. März 2024

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten Wiener Staatsoper, 24. Oktober 2023 

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