Fotos: Copyright @ Sofia Opera and Ballett
Und das Publikum? Es war spürbar gebannt, aufmerksam, still. Kein nervöses Husten, kein raschelndes Blättern. Der Eindruck war der eines gemeinsamen Innehaltens, als folgten die Menschen im Saal nicht nur der Musik, sondern einem Gedankenstrom, einer mythologischen Vision.
So ging der erste Abend zu Ende – nicht wie ein einzelner Akt, sondern wie der Auftakt zu einem kollektiven Traum. „Das Rheingold“ war in Sofia nicht nur ein Stück Oper, sondern der Beginn einer seelischen Wanderung – glühend, geheimnisvoll und tief durchdrungen von musikalischer Poesie.
Das Rheingold
Vorabend des Opernzyklus “Der Ring des Nibelungen”
Text und Musik von Richard Wagner
Plamen Kartaloff, Inszenierung
Orchester der Sofia Oper
Evan-Alexis Christ, musikalische Leitung
Sofia Opera und Ballett, 28. Juni 2025
von Dirk Schauß
Ein Flimmern im Licht, ein leises Grollen in der Tiefe: So begann im Opernhaus Sofia am 28. Juni 2025 der Auftakt zum diesjährigen „Ring des Nibelungen“, der sich erneut als klingende Weltenschöpfung entfaltete – zyklisch, metaphysisch, rauschhaft.
Was ist das besondere Charakteristikum dieser Produktion? Die unbändige Farbigkeit. Es dürfte derzeit kaum einen „Ring“ auf den Opernbühnen geben, der in solch durchkomponierter Farbdramaturgie seine Wirkung entfaltet. Plamen Kartaloffs inzwischen legendäre Inszenierung bringt nicht nur Wagners Weltentheater auf die Bühne, sondern erschafft ein Gesamtkunstwerk, das aus Philosophie, Architektur, Licht und Musik eine atmende, symbolträchtige Erlebnisdimension formt. Der „Rheingold“-Abend war mehr als ein Prolog – er war Initialzündung, ein vibrierender Urschrei in den Schöpfungsraum, wie ihn Wagner in Tönen denkt.
Plamen Kartaloffs Regie ging dabei weit über ein Bebildern der Handlung hinaus – sie war Bewegung im Denken, in der Zeit, im Licht. Nichts wirkte statisch oder museal, vielmehr schien alles in permanentem Wandel begriffen: Figuren traten wie aus mythischem Nebel ins Licht, wurden sichtbar und verschwanden wieder im Dunkel der Geschichte, als wären sie Erinnerungen eines kollektiven Gedächtnisses.
Dabei wirkte Kartaloffs Handschrift nie demonstrativ oder erklärend, sondern intuitiv eingebettet in die Musik – jede Bewegung, jede Positionierung war hörbar motiviert. Dass diese Inszenierung so leuchtet, liegt nicht allein an ihrer visuellen Komposition, sondern an ihrem inneren Puls: Sie „atmet“ mit der Musik, horcht auf deren Übergänge, Pausen, Crescendi – und übersetzt diese in Bilder, die nie platt illustrieren, sondern einen Resonanzraum öffnen.
Der Einsatz von Licht war dabei nicht Effekt, sondern Bedeutungsträger. Farben hatten Symbolkraft: Das gleißende Metal der Macht, das Blau des Rheins, das glühende Rot der Unterwelt – all dies war kein dekoratives Beiwerk, sondern Teil einer präzisen Semantik. Die Figuren agierten in farblich definierten Räumen, deren Grenzen manchmal flossen, sich überlappten, auflösten. Besonders eindrucksvoll: der Übergang von der Goldszene zur Verfluchung, in dem Licht und Musik sich gegenseitig zu überbieten schienen – ein wahrhaft schwindelerregender Moment.
Was Kartaloff gelingt, ist eine Opernregie, die sich ihrer intellektuellen Tiefe ebenso bewusst ist wie ihrer sinnlichen Wirksamkeit. Die Triskeln auf der Bühne sind nicht bloß Symbol – sie sind Struktur, Mechanik, Weltformel. Und sie bleiben nie starr: Sie rotieren, stellen sich auf, ordnen das Chaos. In dieser Verbindung von Bild, Bewegung und Musik liegt die besondere Magie dieser Inszenierung. Sofia besitzt mit diesem „Ring“ kein museales Reliquiar – sondern einen lebendigen Mythos.

Drei leuchtende Triskeln prägten das Bühnenbild von Hans Kudlich – geometrisch schwebende Energiekörper, die Zeit, Raum und Schicksal versinnbildlichten. In ihnen verbergen sich die Rheintöchter, die akrobatisch auf Trampolinen springen und dazu makellos singen! Hinter ihnen wirkte Walhall eher wie ein wankelmütiges Versprechen denn als archaischer Göttersitz – flimmernd, monumental, zugleich schon dem Verfall geweiht.
Wie aus der Zeit gefallen erschien auch Nibelheim, jenes Unterreich der Schmiedeknechte, das sich mit seinen vertikal gestaffelten Ambossplätzen wie ein düster pulsierender Maschinenraum entfaltete – eine optische Umkehrung des Kosmos, mechanisch und doch organisch, von flackernden Lichtern und metallischem Atem durchweht. Es ist eine der vielen Höhepunkte dieser Aufführung, wenn Sofia hier den ganz großen Effekt wagt und 18 Spieler an den live gespielten Ambossen einsetzt, was ein gewaltiges Lärmspektakel ergab. Großartig!
Es war der US-amerikanische Dirigent Evan-Alexis Christ, der dem Orchester der Sofia Oper ein Fundament legte, das weit über bloße Präzision hinausging. Der Strom der Musik floss organisch, wölbte sich in atmenden Phrasen und vibrierte bis in feinste Details. Christ war kein bloßer Taktgeber, sondern ein Klangbildner, der mit sicherer Hand durch die großen musikalischen Spannungsbögen führte – dabei nie autoritär, sondern stets atmend, federnd, weiträumig.
Er verstand es meisterlich, den herausfordernden Konservationstonfall des Werkes zu treffen. Besonders eindrucksvoll war seine Fähigkeit zur Sängerbegleitung: Christ gewährte den Solisten jenen notwendigen interpretatorischen Freiraum, den große Stimmen brauchen, ohne den Gesamtzusammenhalt je aus dem Blick zu verlieren. Er ließ Phrasen wachsen, erlaubte rubati, atmete mit – und lenkte dennoch mit fester innerer Ordnung das klingende Ganze. Dieser Dirigent versteht die Komplexität der Partitur ausgezeichnet und es ist ein großes Plus, ihn in dieser Produktion zu haben.
Im Orchester selbst entfaltete sich ein vielfarbiges, tiefensattes Klangbild. Die tiefen Streicher glühten in dunkelgrünen Schattierungen, mit einem seidigen Fundament und klarer Binnenzeichnung. Die Holzbläser malten impressionistische Miniaturen, durchzogen von leuchtendem Melos – Oboe, Klarinette, Fagott als seelisch atmende Erzählerinnen. Von besonderem Gewicht waren die Blechbläser: In diesem Werk mehrfach exponiert, agierten sie mit imponierender Präsenz – die Hörner und Tuben warm und mächtig im Aufbau des Walhall-Motivs, die Trompeten hellmetallisch und doch nie grell, die Posaunen von suggestiver Schwärze. Auch der Einsatz des Wagnertubensatzes war klanglich wohlbalanciert – keine rohe Gewalt, sondern leuchtendes Bronze, das sich in den Gesamtstrom einfügte. Die Pauken – präzise, nie vordergründig – gaben der Unterwelt musikalisches Gewicht. Sehr differenziert ertönte das übrige Schlagzeug mit feinen Akzenten.
In dieser musikalisch fein durchpulsten Atmosphäre trat Thomas Hall als Wotan auf – ein Sänger von imponierender Erscheinung, dem das Haus keineswegs fremd war. Bereits in früheren Jahren hatte er in Sofia den Göttervater in der „Walküre“ verkörpert, und so kehrte er nun mit gewachsener Autorität und stimmlicher Souveränität in diese zentrale Rolle zurück. Seine Stimme war von edler baritonaler Tiefe, glänzend geführt, mit kerniger Resonanz und ruhigem Atem. Herrlich waren die großen Bögen, die Halls Wotan kennzeichneten. Sein kultivierte Kantabilität war jederzeit präsent. Hall gestaltete seinen Wotan mit imponierender Bühnenpräsenz – nicht als müden Herrscher, sondern als machtvollen Lenker am Anfang seiner Tragödie, der zwischen Vision und Besitzdrang zu zerrinnen beginnt. Nichts wirkte forciert, nichts brüchig – vielmehr spannte er einen musikalisch und darstellerisch geschlossenen Bogen, getragen von innerer Überzeugung.
Ihm zur Seite stand Liina Keitel als neue Fricka – eine Rolle, die in dieser Inszenierung von besonderem Gewicht war. Keitel übernahm jene Partie, die lange Jahre von der großartigen Mariana Zvetkova geprägt worden war, deren plötzlicher Tod in diesem Monat nicht nur das Ensemble erschütterte, sondern vor allem die bulgarische Opernwelt in Trauer versetzte. Mariana Zvetkova, die großartige Sängerin mit gefeierten Auftritten an Häusern wie der Mailänder Scala, war über viele Jahre eine zentrale Stütze des Sofioter Opernhauses, eine Künstlerin von unverwechselbarem Ausdruck, vokaler Integrität und emotionaler Wahrhaftigkeit. Ihr Verlust hinterließ eine große, spürbare Leerstelle – auch im Zuschauerraum war die Erinnerung an sie fast körperlich präsent.
Liina Keitel trat nun in ganz große Fußstapfen – und tat dies mit einer Haltung von kluger Eigenständigkeit. Ihr Mezzosopran war klar konturiert, mit leicht herbem Timbre und präziser Diktion, ihre Darstellung bewegte sich zwischen kühler Analyse und unterdrückter Leidenschaft. Diese Fricka war keine um sich selbst kreisende Gattin, sondern eine moralisch argumentierende Gegenspielerin – verletzlich, aber wach, fest in der Idee des Rechts verankert. Keitels Darstellung war kein bloßer Ersatz, sondern eine Neudeutung, die dem Andenken Zvetkovas mit eigener Stimme Respekt erwies.

Plamen Dimitrov war als Alberich ein Elementarereignis! Er gab seiner Rolle nicht nur stimmliche Wucht, sondern vor allem schillernde Abgründe: Sein Gesang wechselte zwischen geknurrtem Hass und klirrender Hybris. In den tiefen Lagen wirkte seine Stimme geerdet und bedrohlich, in den Höhen scharfkantig – ein Klangbild wie rohes Erz, das unter Hochdruck zu Gold werden soll. Darstellerisch sehr präsent stand er im Mittelpunkt des Geschehens. Da wo andere Kollegen leicht an Grenzen gelangen, sein verzweifelter Kampf, den Ring nicht auszuhändigen, mobilisierte er ungeahnte vokale Energien! Gegenüber seiner Leistung im vergangenen Jahr war seine Weiterentwicklung staunenswert und weitere Details ergänzt, wie sein bitteres Auflachen in der finalen Fluchszene.

Daniel Ostretsov war ein ebenso kecker wie tragischer Loge, dessen Tenor mit heldischen Glanzpunkten überraschte. Mit ironischem Gestus, stets leichtfüßig und gedankenschnell, verkörperte er den Vermittler und Brandstifter gleichermaßen. Diese vielschichtige Rolle ist ihm ganz zu eigen geworden. Treffsicher serviert er alle Pointen hinreißend und kann dazu seine Stimme immer wieder auch aufstrahlen lassen.
Krasimir Dinevs Mime hatte etwas Unerbittliches in seinem Ton – eine Mischung aus Eifer und Bitterkeit, die in der Darstellung präzise getroffen wurde. Ein Mime, der bereits im „Rheingold“ seinen obsessiven Zug offenbarte. Wie groß ist seine Freude, als sein verhasster Bruder von Loge und Wotan abgeführt wurde.

Bei den Riesen bot sich ein kontrastreiches Bild: Stefan Vladimirovs Fasolt blieb vokal passioniert und wagte immens viele Pianofärbungen, was seinem Fasolt eine verletztliche Farbe gab, während Petar Buchkov als Fafner mit seiner klangvollen Tiefe beeindruckte. Sein Bass hatte Gravität, Schwarzglanz, eine unnachgiebige Autorität. Im szenischen Ausdruck ließ er den Fabelcharakter des Riesen plastisch werden, wie ein Schöpfungsrelikt aus vorsprachlicher Zeit. Hinzu kommt die überragende visuelle Gestaltung der beiden Giganten, die wie aus einem Fantasy-Film entsprungen wirkten.
Hrisimir Damyanov als Froh gefiel mit gewachsenen Tenorklängen, während Svetozar Rangelovs Donner eine Mischung aus baritonalem Muskelspiel zeigte – sein „Heda! Heda! Hedo!“ verfehlte nicht die eruptive Wucht, so dass diese Szene dem beabsichtigten sinfonischen Gewittersturm Glaubwürdigkeit verlieh.
Silvana Pravcheva als Freia brachte eine lichte Frische ein, ihr Sopran blühte in den Höhen, ohne ins Grelle zu kippen – eine Darstellung von eher pastoralem Charme.

Vesela Yaneva als Erda schuf mit wenigen, aber eindrücklichen Mitteln ein Vokalbild von tiefem Wissen – ihr Auftritt wurde durch das lichtdramaturgisch gestaltete helle Gewand zu einem Moment schwebender Entrückung. Ihre üppige Stimme hatte genau diesen besonderen Klang, pasthos und leuchtend, der so ganz anders wirkt, wie es einer Erda gebührt. Die Rheintöchter – Stanislava Momekova, Ina Petrova und Alexandrina Stoyanova-Andreeva – verschmolzen zu einem vokalen Netz aus Silber, Perlen und Schatten. Ihr Terzett war fein abgestimmt, in Phrasierung und Farbenreichtum homogen – eine schimmernde, klanglich glasklare Erscheinung, der man den mythischen Ursprung glaubte.
Ein inszenatorischer Höhepunkt war zweifellos jener Moment, in dem Wotan das Schwert – später Nothung – aus dem Boden zog: ein leises Aufleuchten der Macht, das wie eine Vorausschau in die Katastrophe wirkte. Es war ein starkes, wortloses Bild, wie geschaffen für eine musikalische Klammer.
Die Lichtgestaltung von Andrej Hajdinjak verlieh dem Abend ohnehin jene irisierende Überhöhung, die zwischen Marc Chagall und Wieland Wagner oszillierte – intensive Farbbahnen, leuchtendes Ultramarin, rostiges Kupfer, aus denen die Figuren gleichsam herausgeschnitten schienen. Doch das Licht war mehr als nur Atmosphäre: Es war narrative Kraft. Wie ein zweites Orchester erzählte es mit, kommentierte, kontrastierte, verband. Die Farbdramaturgie besaß eine fast musikalische Logik – sie spannte Bögen, setzte Kontrapunkte, steigerte sich in klimaktischen Momenten zu chromatischen Explosionen. Farben wurden zur Stimme der Szene, sichtbar gewordene Musik.
Auch Ivan Liptchevs Multimedia-Design war kein bloßer Projektionseffekt, sondern eine bildnerische Erweiterung der Wagnerschen Ideenwelt. Ob flirrende Lichtreflexe auf dem Rhein oder der goldene Schimmer auf dem Rheingold – stets war das Digitale in das Organische eingebettet, wie ein Bewusstseinsstrom aus einer anderen Ebene. In dieser Verbindung wurde das Visuelle zum seismografischen Echo des Klanges.
Die Kostüme von Hristiana Michaleva-Zorbalieva rundeten das Gesamtkunstwerk mit einer Gestaltung ab, die zwischen archaischer Schlichtheit und mythischer Zeitlosigkeit changierte. Ihre Entwürfe mieden opulente Verkleidung ebenso wie platte Modernismen: Vielmehr sah man eine Art Ur-Bekleidung des Mythos – Gewänder, die aus Stoffen gemacht schienen, die von der Natur selbst gewebt worden waren. Metallische Rüstungen, fließende Leinenstoffe, die das Licht in sich aufnahmen und zurückwarfen.
Besonders die Götterfiguren waren in kostümlicher Klarheit gehalten – als wären sie Projektionsflächen ihrer eigenen Ideen. So entstand ein Zusammenspiel von Materialität und Idee, das weit über das Übliche hinausreichte: Die Kostüme waren keine Verkleidung – sie waren Erscheinungsform von Zuständen.
Und das Publikum? Es war spürbar gebannt, aufmerksam, still. Kein nervöses Husten, kein raschelndes Blättern. Der Eindruck war der eines gemeinsamen Innehaltens, als folgten die Menschen im Saal nicht nur der Musik, sondern einem Gedankenstrom, einer mythologischen Vision.
So ging der erste Abend zu Ende – nicht wie ein einzelner Akt, sondern wie der Auftakt zu einem kollektiven Traum. „Das Rheingold“ war in Sofia nicht nur ein Stück Oper, sondern der Beginn einer seelischen Wanderung – glühend, geheimnisvoll und tief durchdrungen von musikalischer Poesie.
Dirk Schauß, 29. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Tannhäuser Sofia Opera & Ballett, 26. Juni 2025
Richard Wagner, Das Rheingold Wiener Staatsoper, 21. Juni 2023