Jubel für Ádám Fischer, Sängerinnen und Sänger. Von links: Lene, David, Beckmesser, Sachs, der Dirigent, Stolzing, Eva, Pogner, Kothner. Foto: privat
Die heurigen Wagner-Tage in Budapest glänzen mit einer orchestral und sängerisch exzellenten Produktion der “Meistersinger von Nürnberg”.
Richard Wagner
“Die Meistersinger von Nürnberg”
Oper in drei Akten, Text vom Komponisten
Hans Sachs: Tobias Schabel
Veit Pogner: Gábor Bretz
Sixtus Beckmesser: Bo Skovhus
Fritz Kothner: Miklós Sebestyén
Walther von Stolzing: Magnus Vigilius
Eva: Polina Pasztircsák
David: Cornel Frey
Magdalena: Erika Gál
Ungarisches Radiosymphonieorchester
Chor des Ungarischen Rundfunks, Leitung: Zoltán Pad
Ungarischer Nationalchor, Leitung: Csaba Somos
Dirigent: Ádám Fischer
Regie: Michael Schulz
Bühnenbild: Dirk Becker
Kostüme: Renée Listerdal
Müpa Budapest, Béla Bartók Saal, 26. Juni 2025
von Dr. Rudi Frühwirth
Der bedeutende Wagner-Dirigent Ádám Fischer hat 2006 die Budapester Wagner-Tage ins Leben gerufen. Sie sind im Kunstpalast Müpa beheimatet; die Aufführungen finden im großen Konzertsaal, dem Béla Bartók Saal, statt. Die szenischen Möglichkeiten sind also recht eingeschränkt – umso intensiver kommt Wagners unvergleichliche Musik zur Geltung.
2025 hat Ádám Fischer ein hochklassiges Sängerensemble für die “Meistersinger” in Budapest versammelt. Tobias Schabel ist Hans Sachs. Er legt die Partie ernst und grüblerisch, ja nüchtern an; die Ausstrahlung, ja das Charisma eines Karl Ridderbusch oder Theo Adam fehlt ihm ein wenig. Stimmlich war er von Anfang weg höchst präsent, und erst im letzten Bild zeigte er, wie so manche seiner Vorgänger, leichte Ermüdungserscheinungen. Warmer Ausdruck ist freilich nicht ganz seine Sache – am überzeugendsten war er für mich im Wahnmonolog, im Kunstgespräch mit Walther und in den köstlichen Szenen mit Beckmesser.
Bo Skovhus gab seinem Beckmesser unwiderstehliche komödiantische Energie und satirisches Profil, besonders in seinem Auftritt in der Schusterstube. Das Tänzchen, das er auf eine Krücke gestützt, vor Sachs hinlegt, war ganz köstlich. Stimmlich hat Skovhus den Zenit wohl schon überschritten, aber im Verein mit seiner unvergleichlichen Mimik und körperlichen Gewandtheit ist er immer noch ein herrlicher Beckmesser.
Den Pogner sang Gábor Bretz mustergültig, mit sonorer tiefer Lage und beeindruckend sicherer Höhe. Darstellerisch brachte er das selbstsichere Auftreten des reichen Bürgers auf den Punkt. Auch Miklós Sebestyén gefiel mir sehr gut als Fritz Kothner. Sein Beharren auf den Regeln, das er erst ganz zum Schluss resignierend aufgibt, war ein feiner Kontrapunkt zur Offenheit und Großzügigkeit des Hans Sachs.
Nun zu den beiden Tenören. Magnus Vigilius als Stolzing war eine Offenbarung. Mit seiner blendenden Erscheinung und seiner beweglichen, in der Höhe strahlenden Stimme ist er eine Idealbesetzung. Das Probelied im ersten Akt gelang ihm wunderbar, und auch im Preislied des letzten Bildes, mit den zahlreichen hohen A, war ihm keine noch keinerlei Ermüdung anzumerken. Die Pausen, die bei den Wagner-Tagen wie in Bayreuth eine volle Stunde dauern, kommen den Sängern natürlich entgegen.
Ein perfekter Kontrast zu Vigilius’ Stolzing war der David von Cornel Frey. Seine helle, geschmeidige Stimme ist der Rolle wie angegossen, und auch spielerisch wußte er dem Lehrbuben Profil zu verleihen. Seine Lene war Erika Gál, die die etwas undankbare Rolle der Jungfer sehr ansprechend gestaltete.
Und damit komme ich zu einer schönen Überraschung, Polina Pasztircsák als Eva. In den beiden Szenen mit Sachs gefiel sie mir außerordentlich gut. Wie sie im zweiten Akt Sachs auszuhorchen versucht, schüchterne Andeutungen macht wie “Könnt’s einem Witwer nicht gelingen”, und dann im dritten Akt gesteht, dass sie nur ihn gewählt hätte, wenn nicht… ja, wenn nicht Walther ihr Herz unwiderstehlich bezwungen hätte – das war ganz große Oper, makellos gesungen und wunderbar gespielt. Die wehmütige Resignation Sachsens, die er unter äußerer Grobheit verbirgt, gestaltete Schabel sehr ergreifend.

Den Grundstein zum Erfolg der Produktion legte Ádám Fischer mit seinem gut disponierten Rundfunkorchester, das auch unter der Bezeichnung Budapester Symphoniker firmiert. Fischers musikalisches Einfühlungsvermögen und sein hochentwickeltes Gefühl für Dramatik ließ das Orchester förmlich mitsprechen.
Gerade bei Wagner ist ja der orchestrale Subtext mindestens ebenso wichtig und aussagekräftig wie das gesungene Wort. Noch selten, ja ich wage zu sagen noch nie, hat mich das Kunstgespräch zwischen Sachs und Stolzing so hingerissen; unvergesslich ist mir der Augenblick von Evas Zögern, in dem sie fast hörbar nachdenkt, ob sie Sachs zur Werbung aufforden soll. Ich könnte noch viele Momente aufzählen, in denen Fischer seine gestalterische Meisterschaft nachdrücklich unter Beweis stellte. Das himmlische Quintett im ersten Bild des dritten Akts trieb mir wieder einmal die Tränen in die Augen.
Ganz und gar überwältigend war das “Wach auf!”, mit dem der glänzend vorbereitete Chor Sachs auf der Festwiese begrüßt. Nur ein Teil der Chöre war auf der Bühne; die meisten Sängerinnen und Sänger waren seitlich auf dem obersten Balkon platziert. Die Stimmen schienen dadurch über den ganzen Raum verteilt zu sein, was den akustischen Eindruck nochmals beträchtlich erhöhte. An ein, zwei Stellen hatte der Dirigent seine liebe Mühe, Chor und Orchester zusammenzuhalten, aber selbst die chaotische Prügelszene lief ohne merkbare Diskrepanzen ab.
Ich hatte leider einen Platz ganz rechts in einer der vordersten Reihe gebucht. Dadurch waren die Trompeten, die Posaunen und die Tuba übermäßig laut, was die Balance der Orchestergruppen empfindlich störte. In Zukunft werde ich einen Platz in der Mitte oder auf dem Balkon bevorzugen.
Regie und Ausstattung sind auf dem Podium des Konzertsaals, der ja außer Beleuchtung über keinerlei Bühnentechnik verfügt, zu äußerster Reduktion gezwungen, besonders in den Massenszenen auf der Festwiese. Die Personenführung war sehr durchdacht, die Charakterisierung scharf satirisch, ja mitleiderregend für Beckmesser, ungestüm für Stolzing, ruhig würdevoll für Pogner, sanft weiblich für Eva, lebhaft für David und anteilnehmend besorgt, intellektuell überlegen, und gelegentlich auch leicht boshaft für den Fädenzieher Sachs. Die wichtigsten Komponenten des Bühnenbilds sind die Bilder im Hintergrund: Adam und Eva sowie eine Kreuzigung von Albrecht Dürer im ersten Akt, eine alte Ansicht von Nürnberg im zweiten Akt, Dürers Melancholie im ersten Bild des dritten Akts, und schließlich der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch hinter der Festwiese. Dazu kommen angedeutete Häuser und ein Podium für Pogner und Eva auf der Festwiese.
Auch die Kostüme tragen geschickt zur Charakterisierung der Personen bei. Der klassische Frack, den Stolzing bis zum vorletzten Bild trägt, markiert ihn deutlich als Außenseiter unter den Handwerkern in ihren biederen Alltagsanzügen. Erst auf der Festwiese hat Stolzing sich auch kleidungsmäßig angepasst und wird dann, noch immer etwas widerwillig, in den Kreis der Meister aufgenommen. Eva und Lene tragen ihrem Stand angepasste Kleider, die Lehrbuben kurze Hosen. Auch der Chor ist der Situation entsprechend eingekleidet, vorwiegend in neutralem Schwarz.
So geschickt die szenische Darstellung auf die Bedingungen des Saals zugeschnitten ist, so eindeutig dominiert doch die musikalische Komponente, und das nicht zum Schaden des Werks.
Das Publikum sah das offenbar ebenso, denn Dirigent, Ensemble und Chor wurden mit heftigem Jubel bedacht.
Im Jahr 2026 feiern die Wagner-Tage ihr 20-jähriges Jubiläum, und die erste Aufführung des “Ring des Nibelungen” jährt sich zum hundertfünfzigsten Mal.
Folgerichtig sind 2026 zwei Aufführungen des Zyklus geplant, jeweils an vier aufeinanderfolgenden Tagen.
Eine Herausforderung an die Mitwirkenden wie auch an das Publikum!
Wer Wagner pur genießen will, reise im Juni 2026 nach Budapest!
Dr. Rudi Frühwirth, 27. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, DIE WALKÜRE Ungarische Staatsoper, Budapest, 16. November 2022
Richard Wagner, Götterdämmerung Ungarische Staatsoper, Budapest 23. Mai 2022
Richard Wagner, Der fliegende Holländer, Wagner-Tage, Müpa Budapest