Herodes’ Horror Picture Show – Richard Strauss’ “Salome” tanzt nicht in Mainz

SALOME  von Richard Strauss (1905)  Staatstheater Mainz, 12. Juli 2023

Salome, Derrick Ballard, Alexander Spemann, Opernensemble, Statisterie © Andreas Etter

Staatstheater Mainz, 12. Juli 2023

 

SALOME

von Richard Strauss (1905)


Hermann Bäumer, Dirigent

Daniela Köhler, Sopran
Derrick Ballard, Bassbariton
Alexander Spemann, Tenor

Philharmonisches Staatsorchester Mainz

Alexander Nerlich, Inszenierung

von Dr. Andreas Ströbl

Nichts Gutes schwant einem, wenn Hitchcocks „Psycho“-Haus nach Edward Hoppers berühmtem Gemälde „Haus am Bahndamm“ eine verdunkelte Bühne mit schummerigem Rotlicht im Hintergrund dominiert. Wenn dann noch eine dämonische Figur mit Mädchenkleid und Riff Raff-Frisur in der von Wolfgang Menardi entworfenen Szenerie wild umherspringt und eine Mini-Parallel-Salome wie ein Mädchen aus „Shining“ scheinbar unbekümmert spielt, dann weiß man, dass hier ein Grusical präsentiert wird, mit vielen Anleihen aus dem Horror-Genre mit allen möglichen modernen Brechungen. Das Layout des Programmhefts erinnert, dazu passend, an die finstere Ästhetik eines Tim Burton mit seinem typischen Hang zur Kombination von Spuk und Naivität.

Dass es im Hause Herodes von Beginn an nicht mal einen Segen gegeben hat, der hätte schiefhängen können, weiß jeder, der die biblische Geschichte und die Adaption von Oscar Wilde kennt. Wegen der comichaften Versatzstücke in der Inszenierung von Alexander Nerlich könnte man auch vermuten, dass am Klingelschild „Addams-Family“ steht, aber witzig wird es in diesem Psychodrama tatsächlich nicht.

Nerlich versucht sich an einer psychoanalytischen Deutung von Salomes Trauma, was in jedem Falle ein reizvoller, naheliegender Ansatz ist. Seine Prinzessin ist ein – im doppelten Wortsinne – reines Opfer, denn glückliche Kindheit ist hier Fehlanzeige, weil ihr Onkel/Stiefvater sie missbraucht hat. Sie hüllt sich in verbergendes Schwarz und unschuldiges Weiß, ganz im Gegensatz zu Mama Herodias und dem bösen König, die beide rotgewandet sind. Dieses Rot ist aber nicht die Farbe der Liebe, sondern des Blutes, ja der Blutschande, und in der Rotlicht-Beleuchtung sieht das Innere des Spukhauses aus wie eine überdimensionierte Puppenstube im Amsterdamer Viertel „De Wallen“. Die Müllsäcke und Abfalltonnen auf der Bühne lassen ahnen, dass es hier auch genauso stinkt wie im dortigen Rotlichtbezirk.

Salome, Danique de Bont, Statisterie, Daniela Köhler, Opernensemble © Andreas Etter

Das geschändete Mädchen würde am liebsten den Kopf des übergriffigen Onkels rollen sehen, wie eine Geste während ihres hier nur angedeuteten, tatsächlich verweigerten Tanzes offenbart, denn sie neigt Herodes’ Kopf einmal dem Silberteller zu.

Aber früher, so die Rückblende mit der noch kleinen Salome im düsteren Dachstübchen, konnte sie nur ohnmächtig auf einen roten Plüsch-Schlumpf eindreschen, um Verletzung, Wut und Scham irgendwo auszulassen, wo es nicht wehtut. Eine Projektionsfigur muss her und die schmachtet in ebender Zisterne, in die der schmierige Stiefvater auch schon ihren Vater hat werfen lassen, bevor er ihn ermorden ließ.

Sie sucht nach echter Liebe und will einfach gesehen werden, als Kind, als Mädchen, als Frau. Dazu taugt der keusche Prophet schlecht, denn er weist sie mehrfach barsch ab, wenngleich in Mainz von Anfang an eine körperlich greifbare Beziehung zwischen den beiden besteht.

Salome, Danique de Bont, Alexander Spemann, Daniela Köhler © Andreas Etter

Psychologisch passt das alles ganz prima, aber geht das auf, zusammen mit Libretto und eindeutiger Musik? Nerlich hat sich ganz bewusst entschieden, Salome aus dem Femme-fatale-Klischee zu lösen, was ein hehres Ansinnen ist. Vielleicht müsste er dann aber einen Roman oder ein ganz neues Stück schreiben – Strauss’ schwül-brütende Musik wirkt fast durchweg, als wollte sie eindringlich mitteilen, dass die gesehene Geschichte nicht zur gehörten passen will.

Das Philharmonische Staatsorchester Mainz unter Hermann Bäumer spielt diese musikalische Glut und Brunst mit Leidenschaft und harmonisch abgestimmt. Das Orchester ist kraftvoll, ja laut und das ist auch gut so. Mit aller gebotenen Schärfe schneidet der hochgequälte Kontrabass in die Seele, kurz bevor der Kopf des Täufers fällt. Strauss fordert, es sei „ein ganz kurzer, scharfer Strich, dass ein Ton erzeugt wird, der dem unterdrückten Stöhnen und Ächzen eines Weibes ähnelt“. Wenn man diese Töne vervielfacht und – die älteren Semester werden sich an Experimente mit dem Plattenspieler erinnern – von „33“ auf „78“ hochjagt, dann entsteht wahrscheinlich sowas ähnliches wie die hohen Streicherschnitte des genialen Filmkomponisten Bernard Herrmann in der Duschszene aus „Psycho“. Den Plastikvorhang dazu gibt es übrigens auch in der Mainzer Produktion.

Gegen den kräftigen Klangkörper können sich die Solistinnen und Solisten fast durchweg behaupten; vor allem Derrick Ballard, der vor ein paar Tagen noch in Wiesbaden als Hans Sachs in Wagners „Meistersingern“ zu bewundern war, liefert einen respektheischenden Jochanaan ab. Gerade seinem irdischen Ende entgegen beweist er, dass er, trotz der im Spiel angedeuteten potentiellen Verführbarkeit, wie ein echter Prophet den Versuchungen nicht erliegt. Mit sehr gutem Textverständnis füllt sein Bassbariton sowohl Figur als auch Raum, warme Töne demonstrieren – neben seinem heiligen Zorn – glaubhafte religiöse Überzeugung.

Die jugendliche Verführerin, die hier keine ist, sondern nach einer Vaterfigur sucht, gibt Daniela Köhler mit entschiedenem Sopran; vor allem in den Höhen ist diese Salome sehr ausdrucksstark, lässt aber auch gurrend-drohend in der Forderung nach dem Täuferhaupt durchblicken, dass sie es jetzt ernstmeint. Eine verzweifelte Innigkeit entsteht zumindest gesanglich in der Finalszene mit dem abgeschlagenen Kopf. Leider verhindert das Gehupfe des Dämons den psychologischen Tiefgang, der durch eben dieses Tanztheater beschworen werden soll.

Salome, Daniela Köhler, Danique de Bont © Andreas Etter

Unsympathisch-überzeugend ist Tenor Alexander Spemann als Herodes, der seinen Gesang mit eingestreuten Parlando-Stellen realistisch und glaubhaft macht. Gesanglich und spielerisch entwirft er das Bild eines labilen Machtmenschen, der aufgrund seiner Komplexe und fehlenden Empathie nur auf den nächsten Attentäter warten muss, weil er alle gegen sich aufbringt.

Salome, Alexander Spemann © Andreas Etter

Sein schwarzes Toupet hat er fortgeworfen; es landet später auf einer merkwürdigen Kombination aus Plüschmöve und geflügeltem Totenschädel, also einer Neuauflage des barocken Vanitassymbols. Fehlt nur noch das Stundenglas, aber hier tickt ohnehin schon unhörbar das Chronometer der Vergänglichkeit wie die Zähluhr in einer billigen Peepshow, bevor die Klappe das Objekt den Blicken der geifernden Begierde entzieht. Wie so ein gaffender, sabbernder Sack in der Pornobude hängt Herodes im Sessel und genießt… ja, was eigentlich? Salome tanzt nicht, legt keinen Striptease hin, verweigert sich konsequent dem, was der Alte sehen will. Das Parallel-Kind zeigt mit den Stofftieren wie in der Therapiestunde, was einst passiert ist und Riff Raff im schwarz-weiß-roten Kleid über hautengem rotem Anzug tanzt, purzelt, schleicht, macht Andeutungen von obszönen Gesten.

Niina Keitels Herodias ist eher farblos, was einerseits an mangelnder Personenregie liegt, andererseits daran, dass sie sich gegen das starke Orchester nicht durchsetzen kann. Da hilft auch das blutrote Gewand nichts.

Umso mehr bedauert man den frühen Suizid von Hauptmann Narraboth, dem Myungin Lee eine schmachtende, ja wirklich innig liebende Stimme verleiht. Wenngleich Strauss Tenöre nicht sonderlich mochte – diesem aber hat er doch eine durchweg sympathische Rolle zugewiesen, was der Sänger hingebungsvoll ausfüllt. Auch Verena Tönjes als Page ist ein Sympathieträger, die Altistin gibt der Hosenrolle hier eine klar androgyne Note.

Die Juden und Nazarener zeigen immer wieder beachtliche Einzelleistungen (vor allem der Bass Stephan Bootz brilliert hier), geraten aber beim in der Rasanz des Streits zugegeben schwer realisierbaren Quintett nicht nur an- sondern auch durcheinander.

Es gibt immer wieder gute Ideen in dieser Produktion wie zum Beispiel die des Erhebens der Silberschale hinter den Kopf durch den Tanzdämon, wodurch ein Heiligennimbus entsteht. Klar, der Märtyrertod macht Jochanaan erst wahrhaft heilig und rückt ihn damit in die Nähe dessen, den er im Jordan getauft hatte.

Salome, Mainz © Dr. Andreas Ströbl

Aber vielleicht sind es zu viele Ideen und Ansprüche, die im Zusammenspiel mit der Musik den Eindruck der Überladenheit hinterlassen bzw. nicht endgültig schlüssig wirken.

Der Verweis auf den Disney-Film „Fantasia“ zu Beginn und zum Ende des Dramas eröffnet möglicherweise einen Blick in Nerlichs Konzeption, denn Disney ging es damals darum, ein klassisches Konzertprogramm zu präsentieren und das Publikum mit völlig neuartigen Figuren und deren Handlungen zu verbinden. Aber Salome sitzt im unschuldsweißen Kasten, der zuvor den Täufer barg, und man weiß nicht, was auf Herodes Befehl „dieses Weib“ zu töten, folgt. Bleibt es unserer Phantasie überlassen?

Auf der Heimfahrt durchs nächtliche Mainz fuhr ein Freund des Rezensenten, um mit Woody Allen zu sprechen, „eine Terz zu geschwind“. Darauf angesprochen, entfuhr es dem Fahrer: „Ich habe eben Strauss’ Salome gehört, was erwartest Du?“

Ja, diese glutvolle Musik vermag auch sonst eher ruhiges Blut in höchste Wallung zu bringen. Diese Inszenierung eher nicht.

Dr. Andreas Ströbl, 14. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Salome, Musik von Richard Strauss Nationaltheater München, Bayerische Staatsoper, 8. März 2023

Richard Strauss, Salome Wiener Staatsoper, 2. Februar 2023 Premiere

Salome, Oper von Richard Strauss Theater Lübeck, Musiktheater, 18. November 2022 Premiere

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