von Sophie Reyer
Einer Schreibenden wie mir tut freilich das Herz weh zu sehen, dass die Corona-Epidemie auch Veranstaltungen wie die wunderbaren Salzburger Festspiele einschränkt. Umso mehr gilt es sich auf die starken Kräfte zurückzubesinnen, die dieses Event schon in ihren Anfängen getragen haben.
Sie war eine Walküre. Vielleicht sogar „Die“ Walküre schlechthin. Opernliebhaber ahnen es wohl bereits. Genau: die Rede ist von Anna von Mildenburg, geborene Bellschan von Mildenburg, die am 29. November 1872 in Wien, dem damaligen Österreich-Ungarn, das Licht der Welt erblickte – und die Wehen des Zweiten Weltkrieges leider nur um zwei Jahre überlebte.
Als österreichische Opernsängerin – ihr starker und mitunter auch trällernder Sopran ließ sämtliche Herzen höher schlagen – und gefeierte Wagner-Interpretin war diese Dame Schülerin von Rosa Papier am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Doch damit nicht genug: Bereits in jungen Jahren bahnte sich eine Art Freundschaft mit Cosima Wagner an, mit der es bald schon zu reger Zusammenarbeit kam. Ja, auch der kritische Gustav Mahler scheint ein wichtiger Mäzen und Wegbereiter für die besondere Frau gewesen zu sein. So gelang ihr in der Zusammenarbeit mit dem Komponisten der Erwerb einer besonderen Darstellungsfähigkeit. Bereits jung brillierte die charmante und stattlich gebaute Frau in ihrer ersten Rolle der Brünnhilde.
So legte sie, damals keine 24 Jahre alt, ihr Debüt am Hamburger Stadttheater hin, das sich heute die Hamburgische Staatsoper (Staatsoper Hamburg) nennt. Bereits 1891 war Gustav Mahler dort Kapellmeister geworden. Um die Vita dieser besonderen „Opern – Queen“ zu verstehen, empfiehlt es sich jedoch, sich genauer mit der Geschichte Wiens um die Jahrhundertwende auseinanderzusetzen: Im Jahr 1900, in dem Venetia gerade beginnt, die Welt um sich herum zu entdecken, wird Wien die viertgrößte Stadt Europas. Mit rund 1,7 Millionen Einwohnern – die Zahl wird bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg sogar noch um 0,3 Millionen steigen – sind in diesen Tagen nur die Metropolen London, Paris und Berlin größer.
Bei Wien handelt es sich nun also um die größte tschechische und die drittgrößte jüdische Stadt Zentraleuropas. Diese Diversität gilt als ein Schlüssel dafür, dass Wien zur Kulturmetropole wird. Die funkelnde Hauptstadt bringt Genies wie Gustav Mahler, Hugo Wolf, Arnold Rosé, Alfred Roller oder Eduard Hanslick zu ihren Höchstleistungen, wobei es sich bei keinem der genannten Namen um geborene Wiener handelt. Doch nicht nur die „hohe Kunst“ floriert – auch der Kommerz findet neue Arten und Weisen, sich auszudrücken: Die meisten Operettenkomponisten des deutschsprachigen Raumes – man denke hier zum Beispiel an den Autor des „Fiakerlieds“, Gustav Pick – entstammen ebenfalls der österreichischen Hauptstadt. Aber auch hier handelt es sich um zugereiste Menschen: Am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde stammt gerade einmal ein Viertel der Studenten aus Wien und Niederösterreich.
Was das rege Künstlerleben der Zeit betrifft, so ist auch der bereits oben erwähnte Architekt Otto Wagner (1841-1918) Wiener, aber beinahe die Hälfte der Absolventen seiner Spezialschule für Architektur an der Akademie der bildenden Künste, der „Wagner-Schule“, stammt seinerseits aus den östlichen und südlichen Provinzen des Reiches. Beispielsweise Josef Hoffmann (1870-1956) aus Mähren oder Josef Plecnik (1872-1957) und Max Fabiani (1865-1962) aus Slowenien. Aus dem gemischtsprachigen Reichsteil Mähren (heute Tschechien) kommen auch Joseph Maria Olbrich (1867-1908) oder Adolf Loos (1870-1933) in die Metropole, um zu studieren. Und in so eine Welt wird Anna von Mildenburg, die sich dessen glücklich schätzen kann, also hineingeboren – und trifft noch dazu früh auf Gustav Mahler, eine der herausragendesten Künstlerpersönlichkeiten dieser Zeit!
Aber damit nicht genug: Nicht nur arbeitstechnisch, auch privat floriert es bald schon zwischen den beiden. So beginnt die Walküre in ihrem zarten Alter bereits ein Liebesverhältnis, das allerdings 1897 bereits wieder deutlich abkühlt. Nichts desto weniger brilliert Anna von Mildenburg 1897 in Bayreuth als die Kundry. Und Gustav Mahler, bei dem sich bereits eine neue Beziehung anbahnt, bleibt ihr, was die Arbeit betrifft, treu. So darf Anna von Mildenburg bereits 1898 an der Wiener Hofoper, singen – und der Erfolg bleibt nicht aus. Auch weiterhin floriert die Karriere der göttinnenhaften Sopranistin. Bald schon ist sie europaweit als Sängerin tätig, reist durch die Welt und wird außerdem auch noch fixes Mitglied der Wiener Hofoper – der sie als Gast ab dem Jahr 1930 die Treue hält.
Berühmt ist Anna Mildenburg auch für ihre Interpretation der Isolde, Alfred Roller schuf ein überaus gewagtes Bühnenbild und Mahler dirigierte – dieser „Tristan“ gilt bis heute als legendäre Aufführung.
Doch nicht nur die Dichter, nein, auch die schreibenden Männer scheinen es ihr angetan zu haben. So beginnt die Diva im Jahre 1904 eine Liebschaft mit Hermann Bahr, der das Verhältnis ganze fünf Jahre zu verbergen weiß. Doch Anna harrt aus – und ist, Göttin sei Dank, die Stärkere: 1909 lässt der Dichter sich von seiner Frau scheiden … und das Leben kann fortan gemeinsam bestritten werden. Bald schon übersiedelt das Paar gemeinsam nach Salzburg. Und als wäre die Karriere als Sängerin nicht genug, darf Anna ab 1920 nun auch unterrichten. An der Akademie der Tonkunst in München hat sie fortan die Freude, einen Lehrstuhl zu belegen. Doch das Leben schlägt zu: Bald schon stirbt Hermann Bahr. Die Walküre jedoch macht unverzagt weiter, denn so schnell gibt sich Frau nicht geschlagen.
So beschäftigt sie sich nach Bahrs Tod 1934 auch noch mit seinem Nachlass und bemüht sich – wenn auch mäßig erfolgreich, denn das Ordnen mag der kreativen Künstlerseele nicht so gelegen haben – seine Schriften zu ordnen. Parallel dazu – denn starke Frauen sind dafür bekannt, dass „Multi – Tasking“ ihnen überaus leicht fällt, oder? – konzentriert Anna von Mildenburg sich weiterhin auf ihre Bühnenkarriere und gastiert bei den Salzburger Festspielen 1922–1927 in Hugo von Hofmannsthals „Das Salzburger große Welttheater“. Parallel dazu unterrichtet sie ab 1929 an der Internationalen Sommerakademie im Mozarteum Salzburg. Eine spannende Dame, die ganz offensichtlich stets die Hosen anhatte – und sich trotz harter Zeiten für Frauen nie unterkriegen ließ.
In diesem Sinne: Anna, go on rocking in our minds!
Sophie Reyer, 13. August 2020, für
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Sophie Reyer (hier im Bild mit ihrer Mutter Eva Reyer), geboren 1984 in Wien, lebt als Schriftstellerin und Komponistin im 17. Gemeindebezirk Hernals der österreichischen Hauptstadt. 2013 “käfersucht” bei S. Fischer. 2013 Preis „Nah dran!“ für das Kindertheaterstück „Anna und der Wulian“, 2014 Uraufführung „Anna und der Wulian“ an der badischen Landesbühne. Seit 2016 Doktor der Philosophie (Universität für Angewandte Kunst Wien). Sophie Reyer hat mit 35 Jahren 60 Romane, Theaterstücke und Sachbücher geschrieben – Rekord im deutschsprachigen Raum. Auch Prosa und Lyrik sind ihr Metier. Sie leitet Lehrgänge für Film-, Medien- und Theaterwissenschaft an der Universität Wien und der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich in Baden. Die Liebe zur Musik begleitet sie seid frühester Kindheit; mit sechs begann Sophie Reyer Klavier zu spielen – und sie studierte Komposition in Graz. „Was mich von jeher fasziniert hat war das Zusammenspiel von Sprache und Klang“, sagt Sophie. „Als Kind konnte ich stundenlang das Wort „parallel“ wiederholen, ich ließ es mir auf der Zunge zergehen, fand es witzig, ohne zu wissen, was es meinte, bekam komische Bilder im Kopf. Sprache hat mich von Anfang an unglaublich fasziniert. Diese Faszination lag vor allem in ihrer Phonetik und nicht in ihrer Semantik: Par. All. Lalla. Rap. Paralell. Prall alle. Palle. Rar. Parle. Para. Laller. (…) Der Weg blieb derselbe: Die Suche nach einer Sprache jenseits herkömmlicher Strukturen.“