Dreidimensionale virtuelle Bühnenbilder: Werden immersive Projektionstechniken das Gesicht der Oper verändern?

„Von Vermeer bis Van Gogh – Die niederländischen Meister“ Videoprojektion 360 ° Port des Lumières, Platz am 10. Längengrad 1, Hamburg

Bild: https://feverup.com

In Hamburg besteht seit Mai 2025 die Möglichkeit, in der Hafen-City im Port des Lumières derartige visuelle Expositionen hautnah zu erleben und physisch zu erfahren. Die Inszenierungen finden in einem getakteten Zeitrhythmus innerhalb einer Projektionshalle mit Treppenempore statt, an deren Rändern einzelne vorragende Wände in die Ausstellungshalle hineinragen. Sie dienen speziellen Projektionen zur Raumbetonung und räumlichen Orientierung.

 „Von Vermeer bis Van Gogh – Die niederländischen Meister“
Videoprojektion 360 °/ 1.700 m² Raumfläche
Port des Lumières, Platz am 10. Längengrad 1, Hamburg, 30. Oktober 2025

von Dr. Holger Voigt

„Zum Raum wird hier die Zeit“ (Richard Wagner: „Parsifal“)

Wer schon einmal die Gelegenheit ergriffen hat, in einem IMAX-Theater einen Film im IMAX-Formt zu sehen ( = „ImageMax“), wird vermutlich von der hyperrealistischen Detailfülle visueller Raumbilder überwältigt worden sein und vielleicht auch befürchtet haben, von ihnen wie in einem „schwarzen Loch“ verschluckt zu werden. Der Betrachter wird quasi zur unbedeutenden Miniatur reduziert und scheint der Größe des abgebildeten Universums völlig ausgeliefert zu sein. Da wird manchem Zuschauer sogar schwindlig und seekrank.

Das Geheimnis der IMAX-Technologie ist das gigantische Filmformat (bis mehr als 70 mm), dessen Filmbilder über riesige Filmprojektoren in horizontaler Filmführung abgespielt werden, die einer ständigen Wasserkühlung bedürfen. Dazu werden vom IMAX-Unternehmen eigens entwickelte spezielle Räumlichkeiten (IMAX-Kinos) genutzt, die zusätzlich eine 3D-Wandinstallation hochauflösender Sound-Anlagen beinhalten und zusammen mit den Filmbildern einen abgeschlossenen audio-visuellen Präsentationsraum ergeben, der visuelle und klangliche Darstellung miteinander verknüpft. Der Betrachter wird dabei von allen Seiten beschallt und visualisiert. Es gibt praktisch kein Entrinnen, es sei denn, man schließt die Augen und schützt die Ohren durch Handauflegen oder Ohrstöpsel.

IMAX_Formatvergleiche © Wikipedia

IMAX-Forma, Einführung (Trailer):

Als 1994 der US-amerikanische Schauspieler Michael Douglas in dem Film „Enthüllung“(„Disclosure“) sich in eine virtuelle Datenwelt einloggte, um einen Skandal aufzudecken, konnte man sich bereits vorstellen, dass hier modernste Möglichkeiten bereits vorweg genommen wurden.

„Enthüllung“ –  Szene: Virtuelle Realität, Quelle: YouTube

Nur wenige Jahre später wurden durch technische Entwicklungen Spezialbrillen und –helme auch für den Privatanwender verfügbar, mit denen er sich in eine virtuelle Bildwelt begeben konnte, die mittlerweile sogar bioresponsiv geworden ist und motorische Aktionen im Virtualraum ermöglicht. Virtuelle Welten, also Virtuelle Realität (VR) unter zusätzlicher Inkorporation von Augmented Reality (AR) ermöglichen es heute, beispielsweise durch den Petersdom zu flanieren oder eigenhändig auf dem Amazonas herum zu schippern und Gefahren zu meistern.

Eine aktuelle Weiterentwicklung derartiger Bildtechniken ist das Verfahren der „immersiven Projektion“. Der Begriff „Immersion“ ist vielen aus der Mikroskopie geläufig, bei der zwei Bereiche eines optischen Mediums so aufeinander abgeglichen werden, dass sie quasi miteinander verschmelzen und dadurch einen verbesserten Einblick ermöglichen.

In der gegenwärtigen Entwicklung der Immersivtechniken erfolgt die Visualisierung allein durch mehrdimensionale Projektion. In der Wahrnehmung entstehen dadurch Virtualräume, die physisch begehbar werden, und das ohne optisch-elektronisches Equipment seitens des Betrachters.

In Hamburg besteht seit Mai 2025 die Möglichkeit, in der Hafen-City im Port des Lumières derartige visuelle Expositionen hautnah zu erleben und physisch zu erfahren. Die Inszenierungen finden in einem getakteten Zeitrhythmus innerhalb einer Projektionshalle mit Treppenempore statt, an deren Rändern einzelne vorragende Wände in die Ausstellungshalle hineinragen. Sie dienen speziellen Projektionen zur Raumbetonung und räumlichen Orientierung.

Die Ausstellungsvideos werden auf etwa 1.700 m² Raumfläche abgespielt und durchdringen einander durch Einbeziehung zusätzlicher Ebenen. Dieses steigert den visuellen Ertrag der Darstellungen, ist aber sehr herausfordernd und verlangt vom Besucher Schritt- und Trittsicherheit. Grund dafür ist, dass die Projektionen kantenlos auch den Boden einbeziehen, also auch von unten kommen. Vermeintliche Schatten, denen man ausweichen möchte, kommen tatsächlich oft von unten und sind optisch-visuelle Fiktion. Wen das zu sehr irritiert, kann sich auf ausgelegte Sofakissen setzen oder legen.

Betrachtet man das Geschehen von der Empore mit Blick nach unten, ergeben sich überraschende Übersichtsbilder, die man auf der Basisebene kaum realisiert. Beeindruckendes Beispiel: Der Eindruck einer stattgehabten Überschwemmung der Basisebene, die allein durch Projektionseffekte zustande kommt. Alles bleibt trocken, sieht aber nass aus.

Aus Sicht eines Opernbesuchers scheinen die Möglichkeiten immersiven Projektionstechniken für Inszenierungen von außerordentlichem Interesse zu sein. Videoprojektionen innerhalb zahlreicher Operninszenierungen gibt es mittlerweile zwar zuhauf, doch sind diese oft recht eindimensional (wenngleich künstlerisch) und scheinen allzu oft vom Geschehen auf der Bühne abzulenken.

Bei der immersiven Projektionsgestaltung besteht diesen gegenüber der Vorteil, dass durch Einsatz dieser Techniken Bühnenbilder virtuell begehbar werden, wobei der Zuschauer sie nicht nur betrachtet, sondern sich in diesen bewegen kann. Man stelle sich nur einmal vor, dass der Besucher unmittelbar nach der Einlasskontrolle am Eingang auf dem Weg zu seinem Platz durch Nibelheim hindurch wandern muss und dabei zu seinen Füssen die hart zu einem Ambossschlagrhythmus arbeitenden Nibelungenzwerge bemerkt, denen er vorsichtig ausweichen muss. Kann das noch Oper sein, oder ist das eine Theme-Park- oder Geisterbahn-Installation?

Vermutlich wird auch hier der kunstgerechte Einsatz und die angewandte Dosierung den Umgang mit diesem Technologiemedium bestimmen. Regisseure können es – wie immer – gut oder schlecht machen, ein „Bühnenbild-to-Go“ auf einem Computerchip kann helfen, Kosten einzusparen und Inszenierungen transportabel zu machen. Loge aus dem „Rheingold“ würde vermutlich sagen: „Wer weiss, was ich tu?, sobald er gesehen hätte, wie leicht sich der reine Tor „Parsifal“ durch Zeiträume bewegen kann.

Hafen: Überschwemmung ist nur Projektion

Flowers: Bildrausch – Van Gogh

Finale:

 

Dr. Holger Voigt, 12. Dezember 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert