Erl Passionsspielhaus Erl nachts, Photo Regina Ströbl
Szenisch, aber über weite Strecken auch seitens des Sängerensembles war das – ich habe das schon nach der ersten Halbzeit geschrieben – so ziemlich der beste Ring, den ich seit langem erleben durfte. Dieser Eindruck hat sich in Siegfried und Götterdämmerung noch verfestigt. Der euphorische Beifall galt am Ende nicht zuletzt Bernd Loebe, der das Festspiel in Nachfolge von Gustav Kuhn seit 2018 erfolgreich leitete, zuletzt nun mit einer fast 100-prozentigen Auslastung.
Tiroler Festspiele Erl, 5. bis 28. Juli 2024
Musikalische Leitung: Erik Nielsen
Inszenierung: Brigitte Fassbaender
Bühne und Kostüme: Kaspar Glarner
Licht: Jarn Hartmann
Video: Bibi Abel
Chor: Olga Yanum
Chor und Orchester der Tiroler Festspiele Erl
Erl Passionsspielhaus, 26. und 28. Juli 2024
von Kirsten Liese
Eine Waldlandschaft aus hölzernen Stelen, eine Halle mit Treppenstufen zu beiden Seiten und einem Brückensteg zwischen erhobenen Aussichtsplattformen – in solch minimalistisch angedeuteten, mit Sitzgarnitur und Baumhöhle sparsam ausgestatteten Räumen hat Brigitte Fassbaender zusammen mit ihren Bühnenbildner Kaspar Glarner ihren aufwühlenden Ring geschmiedet.
Szenisch, aber über weite Strecken auch seitens des Sängerensembles war das – ich habe das schon nach der ersten Halbzeit geschrieben – so ziemlich der beste Ring, den ich seit langem erleben durfte. Dieser Eindruck hat sich in Siegfried und Götterdämmerung noch verfestigt.
Das liegt vor allem an der präzisen, glaubwürdigen, mit Musik und Text korrespondierenden Personenregie (was heute leider nicht mehr selbstverständlich ist) und engagierten Sängerdarstellern, die ihre Figuren bis in subtile Blicke und Gesten hinein überzeugend verkörpern.
Kleine technische Pannen in der Götterdämmerung, mit der die Tiroler Festspiele endeten, brachten den scheidenden Intendanten Bernd Loebe ebenso wenig aus der Ruhe wie das Publikum: Nachdem Orchester, Dirigent und Sänger zweimaligen Feueralarm geflissentlich kurz vor Ende des zweiten Aufzugs ignorierten, offenbar ein Fehlalarm, blieb auch das Publikum stoisch sitzen – im Sinne Richard Wagners, wie Loebe später augenzwinkernd anmerkte. Nach Siegfrieds Tod wollte sich dann noch eine der Stelen nicht wie geplant auf den Toten herabsenken, was Bühnentechniker auf den Plan brachte, die der Reihe nach damit kämpften, das störrische Brett manuell zu demontieren.
Aber zurück zur Aufführung selbst:
Seit dem unvergessen wendigen Graham Clark vor 30 Jahren habe ich keinen vergleichbar exquisiten Mime mehr gesehen. Peter Marsh, wie viele aus dem Ensemble über Jahre eng der Oper Frankfurt verbunden, ist ein Ziehvater Siegfrieds gänzlich anderen Zuschnitts, aber als ein Charaktertenor mit markantem Timbre ein ähnlich drolliger Kauz. Kindisch freut er sich, als er die ersten beiden Fragen des Wanderers Wotan beantworten kann, bevor er vor der dritten Frage, wer denn nun Nothung, das neidliche Schwert, neu schmieden wird, kapitulieren muss. Und damit sein Haupt jenem überlassen, der das Fürchten nicht kennt.
Wenig später wird sich Vincent Wolfsteiner als Siegfried dieser Aufgabe widmen. Es zischt und raucht in der Schmiede, an Theaterzauber lässt es Brigitte Fassbaender nicht fehlen.
Im ersten Aufzug Siegfried tönt Wolfsteiners Tenor in meinen Ohren noch ein wenig dünn oder habe ich einfach zu oft die allerorten omnipräsente Monumentalstimme Andreas Schagers gehört?
Aber ab dem zweiten Aufzug gewinnt Wolfsteiners Gestaltungskraft an Format, von nun an meistert er seinen Helden mit der nötigen Durchschlagskraft, auch singt er von nun an textverständlicher und Linien geschmeidiger. Er singt jetzt, salopp gesagt, genauso gut wie Schager!
Das Waldvögelchen, das ihm in Gesellschaft eines Artgenossen vor der Neidhöhle gegenübertritt, singt Ilia Staple mit lichter Kopfstimme, die schon als Woglinde unter den Rheintöchtern und als Helmwige unter den Walküren aufhorchen ließ.
Den Riesen Fafner, der Siegfried im Kampf tödlich erliegt, gibt Anthony Robin Schneider mit gewaltigem, furchteinflößenden Bass als bizarre Fantasiegestalt, halb Reptil, halb Astronaut (Kostüme: Kaspar Glarner).
Es stimmt überhaupt glücklich zu erleben, wie einige der versammelten Sänger überzeugend in mehreren Partien zu erleben sind.
So erweist sich Irina Simmes nach ihrer Sieglinde als ideale Gutrune, die über entsprechend vielsagende, bisweilen ratlose Blicke durchaus den Zwiespalt dieser Frau herausstellt, die sich, von Hagen umschmeichelt, darauf einlässt, Siegfried als „Buhlerin zu binden“, sich aber die dramatischen Konsequenzen nicht vorzustellen vermag.
Gleichermaßen eine starke Vorstellung als Erda und Waltraute gab die Lettin Zanda Švēde. Als eine Schlafende mit Augenbinde inszeniert Brigitte Fassbaender sie im Siegfried, wobei es eine schöne Idee ist, dass Wotan als Wanderer sie in Erinnerung an ihre alte, lang zurückliegende Liebe mit einem Sekt erweckt. Rund, voll und warm tönt ihr Mezzo, und wenn sie Wotan an das Wunschmädchen Brünnhilde erinnert, das sie ihm gebar, leuchten ihre Augen freudig wie in jenem Moment, in dem sie als Waltraute darauf hofft, Brünnhilde möge ihrem Vorschlag folgen, sich von dem verfluchten Ring zu befreien. Dieses Strahlen in den Augen ist nicht gespielt, es kommt ganz von innen heraus wie bei der Filmlegende Ingrid Bergman, die dafür so berühmt wurde, erlischt nur freilich schnell, ernüchtert von den abschätzigen Reaktionen ihres jeweiligen Gegenübers.
Die Protagonisten freilich bleiben bei einer Partie, die sind schließlich kräftezehrend genug:
Das betrifft den Wotan/Wanderer (wieder eine Wucht: Simon Bailey), Brünnhilde (strapazierfähig und souverän bis zum kräftezehrenden Schlussgesang: Christiane Libor) und Alberich in Gestalt von Thomas de Vries, für mich DER beste Alberich auf dem internationalen Parkett seit Jahren mit seiner profunden, kernigen Stimme, seinem kultivierten Geifern und einer trefflichen Wortdeutlichkeit, die Übertitel entbehrlich macht.
Als Hagen ist der Kanadier Robert Pomakov zu erleben, groß bei Stimme, nur seitens engem Vibrato weniger schön in der Tongebung als Schneider, aber als finsterer Charakter sehr überzeugend im Auftreten. Die Eiseskälte seines Wesens steht ihm ins Gesicht geschrieben, ob im Dialog mit Alberich „Schläfst du, Hagen mein Sohn“, in der Szene, in der er mit der verratenen Brünnhilde und dem gedemütigten Gunther Siegfrieds Tod beschließt, wenn er Siegfried das Messer in den Rücken rammt oder hasserfüllt seine blutige Tate hinausposaunt.
Manuel Walser, der sich im ersten Ring-Zyklus stimmlich von Daniel Schmutzhard vertreten lassen musste, gab immerhin nun in der zweiten und letzten Runde einen sehr überzeugenden Gunther, stimmlich agil in allen Lagen, und darstellerisch der elegante, aber verweichlichte Mann, der an der öffentlich werdenden Blamage im Zuge seiner Unehrlichkeit und Ehrlosigkeit zerbricht.
Zu den großen Momenten dieser Götterdämmerung wurden nicht zuletzt die Auftritte des Männerchors der Tiroler Festspiele als Hagens Mannen, wenn sie Gunther und seine unglückliche Braut Brünnhilde feierlich mit sehr vollen, kompakten, homogenen „Heil“-und Willkommensgrüßen empfangen.
Was bei alledem das Tiroler Festspielorchester unter seinem scheidenden Dirigenten Erik Nielsen leistete, das zurecht zur Dernière ebenso bejubelt wurde wie die Sängerprotagonisten, erscheint mehr als beachtlich! Wunderbar farbenreich, dynamisch differenziert und mit der gebotenen Dramatik fächerten sie die Partitur auf, imposant und mit der gebotenen Wucht in den dramatischen Höhepunkten tönten Hörner, Posaunen und Tuben. Vor allem aber vermittelte sich die unbändige Leidenschaft jedes einzelnen beim Musizieren.
Der euphorische Beifall galt am Ende nicht zuletzt Bernd Loebe, der das Festspiel in Nachfolge von Gustav Kuhn seit 2018 erfolgreich leitete, zuletzt nun mit einer fast 100-prozentigen Auslastung.
Bedenken im Hinblick auf die Zukunft des Festivals, das bislang weniger auf große Namen setzte als auf einen hohen künstlerischen Anspruch und reife Ensembleleistungen, erscheinen nicht ganz abwegig.
Mit seinem neuen künstlerischen Leiter Jonas Kaufmann, der auf keinerlei Erfahrungen in seinem neuen Beruf verweisen kann, vielmehr ganz allein von seinem Ruhm als Startenor zehrt, befindet sich Erl im Jahr seines 25-jährigen Bestehens vor einem nicht ganz einfachen Umbruch. Wie gut, dass es diesen Ring noch rechtzeitig vor dem Wechsel hervorbringen konnte. Er zählt für mich zu den besten Inszenierungen, die ich von Brigitte Fassbaender gesehen habe, die damit ihre Arbeit als Regisseurin zu ihrem 85. Geburtstag krönte.
Kirsten Liese, 30. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Richard Wagner: Siegfried
Siegfried Vincent Wolfsteiner
Brünnhilde Christiane Libor
Mime Peter Marsh
Alberich Thomas de Vries
Der Wandere Simon Bailey
Erda Zanda Švēde
Waldvogel Ilia Staple
Richard Wagner: Götterdämmerung
Siegfried Vincent Wolfsteiner
Brünnhilde Christiane Libor
Hagen Robert Pomakov
Gunther Manuel Walser
Gutrune Irina Simmes
Waltraute Zanda Švēde
Alberich Thomas de Vries
Erste Norn Marvic Monreal
Zweite Norn Anna-Katharina Tonauer
Dritte Norn Elizabeth Reiter
Woglinde Ilia Staple
Wellgunde Karolina Makuła
Flosshilde Katharina Magiera
Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen Tiroler Festspiele Erl, 5. Juli bis 28. Juli 2024
Richard Wagner, Götterdämmerung Tiroler Festspiele Erl, 10. Juli 2024
Richard Wagner, Siegfried Tiroler Festspiele Erl, 8. Juli 2024
Richard Wagner, Die Walküre Tiroler Festspiele Erl, 6. Juli 2024
Richard Wagner, Das Rheingold Tiroler Festspiele Erl, 5. Juli 2024
Abschluss Tiroler Festspiele Erl Erl in Tirol, 15. Juli 2024