10 Fragen an das Musikerpaar Lipa Majstrovic und Paul Tietze: „Die Kunst war das Erste, was gestrichen wurde und wird das Letzte sein, was wieder anläuft“

10 Fragen an das Musikerpaar Lipa Majstrovic und Paul Tietze,  klassik-begeistert.de

Lipa Majstrović und Paul Tietze sind feste Jazz-Größen in Deutschland. Majstrović brilliert als Sängerin mit eigenem Jazzquartett, dem Duo Esencia De Bolero zusammen mit Tizian Jost und der Revue „The Soul Queens“ sowie als Darstellerin des erfolgreichen „Tasche-Shows“-Ensembles. Paul Tietze, Bassist, Produzent, Arrangeur und Komponist, spielte unter anderem schon mit Lisa Fitz, Johnny Logan, Lou Bega, Franz Benton, Munich Symphonic Sound Orchestra, Carola Grey und Stephanie Lottermoser. Barbara Hauter hat mit den beiden über ihr Musikerleben in der Corona-Krise gesprochen.

Foto: Jan Scheffner (c)

klassik-begeistert.de: Was haben Sie vor einem Jahr getan, und wie sieht Ihr Alltag heute aus?

Paul Tietze: Wir haben viele Auftritte gespielt und waren glückliche, freischaffende Künstler. Jede Woche waren das ein bis zwei Live-Acts bei jedem, Lipa unterrichtete dazu noch zwei Tage die Woche. Jetzt sitzen wir daheim, unterrichten so gut es geht online und machen gemeinsam Musik.

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Paul Tietze: Unwissenheit, Ängste, Umdenken.

Welches sind die einschneidendsten Veränderungen seit Ausbruch der Corona-Pandemie?

Paul Tietze: Ich lebe in erster Linie von Live-Auftritten, daneben habe ich eine kleine Anstellung an der Musikschule der Stadt Innsbruck.

Lipa Majstrovic: Bei mir sind es zu gleichen Teilen Live-Auftritte und eine halbe Festanstellung als Lehrerin für Jazz- und Pop-Gesang im Tiroler Landeskonservatorium und im Mozarteum.

Paul Tietze: Für uns beide gilt, dass die Live-Auftritte der kommenden Monate vor zwei Wochen schlagartig komplett und vor allem ersatzlos abgesagt wurden. Unseren letzten Auftritt hatten wir am 13. und 14. März in der Münchner Jazzbar Vogler. Jetzt sind wir mit unserer 13-jährigen Tochter zuhause. Mit den beiden kleinen Festanstellungen können wir gerade so die Miete zahlen. Uns Musiker trifft es ganz unmittelbar, härter geht es nicht. Wir vermitteln unserer Tochter aber, dass die Welt trotzdem nicht untergeht.

Können Sie ihr auch etwas Positives abgewinnen?

Paul Tietze: Ehrlich gesagt können wir dem Ganzen überhaupt nichts Positives abgewinnen. Ich bin gerne unter Leuten, spiele gerne live. Vielleicht hat man jetzt ein bisschen mehr Zeit in sich zu gehen. Aber das sollte man auch in normalen Zeiten tun, dazu braucht es keine Pandemie.

Wie schaffen Sie es als freischaffender Künstler, die finanziellen Verluste aufzufangen? Wie würde ihrer Meinung nach ein geeigneter Rettungsschirm aussehen?

Paul Tietze: Wir leben von den Rücklagen und dem kleinen Gehalt als Dozenten, das ist aber unsicher, wie lange das noch bezahlt wird. Der Rettungsschirm der Bundesregierung kommt deshalb für uns nicht infrage, der gilt nur für völlig freischaffende Künstler. Soweit wir uns bis jetzt informiert haben ist es auch unglaublich bürokratisch. Da ist ein 60seitiges Manifest auszufüllen und man muss 113 Nachweise bringen, das ist wie bei Hartz IV. Da wäre es besser, wir Künstler müssten keine oder weniger Miete zahlen, und der Staat entschädigt dafür die Vermieter, als Denkanstoß zum Beispiel.

Lipa Majstrović: Ich unterrichte aber nach wie vor, nur online, da das Mozarteum sowie das Innsbrucker Konservatorium auf ‚Distant Learning’ umgestellt haben.

Paul Tietze: Wir kennen Kollegen, die haben bereits ihre Lebensversicherungen auflösen müssen, um die Verluste zu überbrücken. Ein  großer Teil der freischaffenden Musiker und Künstler leben ja quasi von der Hand in den Mund. Das hat in den letzten 30 Jahren auch funktioniert, weil die allgemeine wirtschaftliche Lage dies ermöglicht hat. Viele Buchungen waren für Firmen-Events. Es ist fraglich, wann und vor allem wie das wieder anlaufen soll. Dieses Geschäft ist sehr schnelllebig. Der Markt ist gesättigt. Selbst das Oktoberfest, eine feste Einnahmequelle für viele Musiker, ist gefährdet.. Die Kunst war das Erste, was gestrichen wurde und wird vermutlich das Letzte sein, was wieder anläuft.

Lipa Majstrović: Live-Auftritte können nicht durch Streamen ersetzt werden, es ist schwer online Konzerte zu monetarisieren, außerdem besteht inzwischen ein dramatisches Überangebot. Der einzige Grund für mich wäre einzig und allein der Spaß am gemeinsamen Musizieren.

Wie gelingt es einem Musiker, ohne Publikum bei Laune zu bleiben?

Paul Tietze: Wir haben uns gern und wir haben eine wunderbare Tochter. Wichtig ist es nicht tatenlos herumzusitzen.

Lipa Majstrović: Wir nutzen die Zeit für Weiterbildung, es gibt zum Beispiel sehr viele tolle Konzerte online von allen möglichen großartigen Musikern in allen Stilistiken, da wird einem nicht langweilig!

Eine Frage, die mich als Praxismitarbeiterin sehr interessiert: Mit welchem Musikwerk stimulieren Sie Ihr Immunsystem?

Paul Tietze: Alles was einen berührt. Zum Beispiel „Ma mère l’Oye“ von Maurice Ravel. Aber das ist jeden Tag ein bisschen anders.

Lipa Majstrovic:  Oder vielleicht Dianne Reeves, die “Send in the clowns” Aufnahme aus dem Album „The Calling“, von Billy Childs arrangiert, ein Meisterwerk!

Momentan verbringen viele Musikliebhaber viel Zeit in ihren eigenen vier Wänden. Gibt es ein Buch, eine CD oder auch Streamingangebot, das sie uns dringend empfehlen würden?

Paul Tietze: Man könnte doch mal Musik hören, mit der man sonst Berührungsängste hat, zum Beispiel Jazz für die Klassik Hörer und umgekehrt! Einfach neugierig sein und sich informieren. Auf Netflix laufen tolle Musiker-Porträts, auch über Miles Davis, John Coltrane, Quincy Jones. Sich weiterbilden. In die Tiefe gehen.

Kommen wir zur ersten Frage zurück: Wo sehen Sie sich in einem Jahr?

Lipa Majstrović: Erstmal hoffe ich, dass wir in einem Jahr zur Normalität zurückgekehrt sind. Ich würde meine Jazz Quartett-CD veröffentlichen, da diese Investition im Moment warten muss. Des Weiteren Konzerte mit meinem Duo mit Tizian Jost, mit der Soul Revue, im Musik Theater mit dem Tasche-Shows Ensemble… Außerdem schreibt der Autor und Regisseur Michael Tasche ein Solo Stück für mich, damit würde ich gerne auf die Theaterbühne gehen.

Es gibt Zukunftsforscher, die nach überstandener Corona-Krise eine Verbesserung des Weltklimas – ökologisch wie sozial – prophezeien. Teilen Sie diese Einschätzung? Wie ist Ihre Vision?

Paul Tietze: Ich bin da eher skeptisch. Die Leute wollen so schnell es geht zurück ins alte Leben. Natürlich wünschen wir uns eine Verbesserung und einen positiven Lerneffekt in den Köpfen und Herzen der Menschen. Jedoch wird sich die Kapitalverteilung vermutlich nicht verändern, sie könnte nach der Krise eher noch ungerechter werden.

Schauen wir in die Glaskugel: Die Heilige Corona, auch Schutzpatronin gegen Seuchen, hat ein Einsehen mit uns und beendet die Pandemie. Alle Musikclubs, Theater und Opernhäuser öffnen wieder. Für Ihren ersten Auftritt haben Sie drei Wünsche frei: Wo, in welcher Produktion und mit wem teilen Sie die Bühne?

Paul Tietze: Ich spiele mit Sting in der Olympiahalle.

Lipa Majstrovic: Ich singe mit meinem Jazz Quartett auf dem Montreux Jazz Festival.

Interview: Barbara Hauter, 1. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

 

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