Hans-Jürgen Mende, 59, gehört zu den profiliertesten und bekanntesten Klassik-Moderatoren Deutschlands. Auf seiner Homepage schreibt er: „Da wir gerne am Meer wohnen wollten, sind wir im Jahr 2000 in den Norden gezogen, und so kam ich zum NDR. Bei NDR Kultur bin ich fast jeden Sonnabend in “Klassik auf Wunsch” und in “Belcanto” zu hören, in der Woche aber auch in der “Matinee”, in “Klassisch unterwegs” und in “Klassik à la carte”. Für HR2 Doppelkopf darf ich immer mal wieder mit einem Gast in der Sendung „Doppelkopf“ ein ausführliches Gespräch führen. Und für SWR2 oft spannende Diskussionen in der Sendung SWR2 Forum leiten.“ Hans-Jürgen Mende und klassik-begeistert.de-Herausgeber Andreas Schmidt verbindet die Liebe zur klassischen Musik, die sie regelmäßig bei ihrem „Lieblingsinder“ im Hamburger Stadtteil Rotherbaum aufleben lassen.
Hans-Jürgen, Du bist kurz vor dem Ausbruch der Corona-Krise von Deinem Domizil auf Mallorca nach Mönkeberg bei Kiel zurückgekehrt. Hattest Du Probleme nach Deutschland zurückzukommen?
In keiner Weise, es war auf der Insel auch alles sehr entspannt. Um diese Jahreszeit ist es ohnehin dort noch leer, also ist es nicht aufgefallen, dass manche Hotels die Eröffnung bereits auf Juni verschoben haben. Wir haben nicht damit gerechnet, dass sich die Sache so dynamisch entwickelt. Wir waren ja bis zum 25. Februar noch in Madrid, auch da war nicht das Geringste zu spüren. Wir haben die Wochen danach natürlich darauf geachtet, ob wir irgendwelche Symptome haben, aber da war zum Glück nichts festzustellen.
Was hast Du vor einem Jahr getan, und wie sieht Dein Alltag heute aus?
Bis auf den Aspekt Segeln hat sich nicht viel geändert. Ich kann ja weiterhin von Mönkeberg nach Hamburg zu meinen Sendungen bei NDR Kultur reisen. Natürlich sind die Einschränkungen schon ungewohnt. Auch hätten wir letztes Wochenende gerne mal wieder unseren ältesten Sohn in Rostock, der dort am Volkstheater arbeitet, besucht. Aber das geht ja nun nicht. Ob die Vorschriften nun sinnvoll oder sinnlos sind, dass wird sich erst in der weiteren Rückschau zeigen. Manches ist eben auch nicht wirklich nachvollziehbar. Wenn ich etwa mit versifften Einkaufswagen rumfahren muss im Supermarkt oder nicht mehr bar zahlen soll, stattdessen wird mir aber die Kreditkarte an der Kasse aus der Hand genommen, und ich muss die Geheimzahl in die Gummitasten hauen. Solche Ungereimtheiten zeigen eben, dass unsere Gesellschaft mit einer solchen Herausforderung noch nicht konfrontiert gewesen ist. Und so hoffe ich, dass sich bald das Sinnvolle vom Sinnlosen trennen wird.
Nenne bitte drei Schlagworte, wenn Du das Wort Corona hörst …
a) Ein kleines mieses doofes Mistding (ohne Kopf, Herz und Darm), das zur Kränkung der Menschheit unser Leben in eine Vollbremsung zwingt.
b) Viele haben eine Meinung, wenige eine Ahnung. Das ist die große Zeit der Apokalyptiker.
c) „Genug ist besser als zu viel“ – ich empfinde den Shut Down etwas überzogen, aber …. siehe b)
Welches sind die einschneidendsten Veränderungen seit Ausbruch der Corona-Pandemie? Kannst Du ihr auch etwas Positives abgewinnen?
Ich habe keine Ausrede mehr täglich auf meinen Crosstrainer rumzuhampeln und auch keine mehr, das Büro mal aufzuräumen. Und wir gehen hier an der Kieler Förde vielleicht noch ein bisschen mehr spazieren als sonst, auch wenn wir dauernd Haken schlagen müssen, weil wir eben doch viele Menschen hier kennen.
Womit verdienst Du normalerweise Deine Brötchen? Wie ist die Situation nach Aussetzen sämtlicher kultureller Veranstaltungen?
NDR Kultur hat einige Änderungen im Programm vornehmen müssen. So gibt es, statt des Veranstaltungskalenders mangels Veranstaltungen, nun einen TV Tipp. Da ich weiterhin beim NDR moderieren kann, sind die Auswirkungen auf mich bislang recht gering. Was mir auffällt, ist natürlich, dass sich die Themen in Klassik auf Wunsch – jener Sendung, die ich seit bald 20 Jahren samstags moderiere – geändert haben. Viele Geburtstagsfeiern mussten ja abgesagt werden, stattdessen werden Musikgrüße geschickt, denn die sind ja garantiert virenfrei. Dahinter spüre ich aber auch, dass diese Zeit für viele ältere Menschen, die ja nun besonders gefährdet sind, eine noch größere Einsamkeit bedeutet. Einsamkeit im Alter ist ohnehin ein großes Problem, das sich nun erheblich verschärft hat. Es ist ein schönes Gefühl, gesagt und geschrieben zu bekommen, dass wir mit unserem Radioprogramm das wenigstens etwas ausfüllen können.
Wie schaffst Du es als freischaffender Moderator, die finanziellen Verluste aufzufangen?
Derzeit habe ich noch keine finanziellen Verluste erlitten, die kommen noch, durch meine Segelaktionen. Allerdings hatte ich eine Aufzeichnung für HR2 mit Anja Silja geplant, die ja am 17. April 80 Jahre wird. Diese Aufzeichnung haben wir nun erst einmal verschoben. Ob sie – wie geplant – an ihrem Geburtstag live in die Sendung Kultur à la carte zu mir kommt, kann ich noch nicht sagen. Zum einen gehört sie ja zur Risikogruppe, zum anderen kann man eine Sendung kaum aufnehmen, ohne das Thema Corona. Insofern war es sinnvoll zu verschieben.
Wie würde Deiner Meinung nach ein geeigneter Rettungsschirm aussehen?
Da bin ich (obwohl ich ja mal eine Banklehre absolviert habe) kein Fachmann. Wenn ich aber mich so umhöre, gibt es zwei heftige Szenarien: Die einen fürchten eine galoppierende Inflation, die anderen gehen von einer Deflation aus. Wirtschaftlich ist diese CK ein Einschnitt, wie wir ihn bisher seit Ende des 2. Weltkriegs noch nicht erlebt haben.
Eine Frage, die mich sehr interessiert: Mit welcher Musik stimulierst Du Dein Immunsystem?
Balsamisch empfinde ich A Chloris von Reynaldo Hahn, etwa in der Aufnahme mit Albrecht Mayer oder gesungen von Jessye Norman. Aber ich bin ja weiterhin „bei der Arbeit“ von Musik umgeben. Zum anderen bereitet sich unser jüngster Sohn auf die Aufnahmeprüfung für Schulmusik vor und übt – gefühlt Tag und Nacht – Klarinette und Klavier usw. usf. Meine Frau hat ja eine Professur in Lübeck für Gesang. Gerade begann der Versuch via Skype zu unterrichten. Also höre ich hier gerade durch zwei geschlossene Türen hindurch die StudentInnen singen und meine Frau sprechen und ab und zu vormachen. Im Garten zwitschern die Vögel irgendwie auch lauter als sonst.
Du bist mit der der bekannten Konzert- und Opernsängerin Manuela Uhl glücklich verheiratet. Wie kommt Deine Frau beruflich durch die Krise?
Zwei wichtige Engagements lagen in diesem Jahr zum Glück nun vor der Krise. „Der fliegende Holländer“ (mit Bryn Terfel) in Bilbao und Te Deum von Braunfels in Madrid. Leider hat Bilbao bis heute noch nicht bezahlt. Eine Unterschrift fehlt wegen Corona? Nun ja… Aber wir kommen gut über die Runden. In drei Wochen sollte die Wiederaufnahme von“ Frau ohne Schatten“ in Leipzig sein. Das ist nun erst mal abgesagt. Ob die Gage nun dennoch gezahlt wird, ist derzeit noch unsicher, es gibt aber eine Empfehlung des Bühnenvereins, dass Gagen gezahlt werden sollen. Denn die Zuschüsse an die Häuser fließen ja auch weiter. Also mal sehen. Mahler 8 mit Metzmacher bei den Festspielen Herrenhausen Hannover wurde um genau ein Jahr verschoben. Es hätte uns also noch härter treffen können. Beruhigend ist eben auch, dass Manuela als Professorin Beamtin auf Lebenszeit ist und wir somit kaum in große Not kommen. Mein Freund Klaus Florian Vogt hat sechs Wochen in Barcelona für den „Lohengrin“ unter der Regie von Katharina Wagner geprobt – nun wurden die sieben Vorstellungen abgesagt. Es heißt, eine Vorstellung würde als Ersatz gezahlt. Und unser Freund Franz Joseph Selig war wochenlang an der MET New York für den „Holländer“. Nun sind alle Vorstellungen der Saison abgesagt. Das Problem ist, dass man als Sänger heute auf den Reise- und Hotelkosten sitzen bleibt, denn die werden meist nicht übernommen und die Lebenshaltungskosten in diesen Städten sind verdammt hoch.
Übler sieht es aus für KollegInnen, die knapp kalkulieren müssen und für die der Wegfall schon ein Drama darstellt. Da ist zu hoffen, dass es einen Fond geben wird, der „unkompliziert“ hilft oder öffentliche Träger, wie Theater, bereit sind, kulant zu handeln. Ein positives Beispiel ist die A Capella Woche Hannover, die ausfallen muss. Dort hat man die Konzerte um genau ein Jahr verschieben können und den Ensembles angeboten, die Hälfte der Gage in diesem Jahr bereits auszuzahlen.
Du hast auch eine Segelschule… Wie gehst Du da mit der aktuellen Ungewissheit um?
Wir verchartern Plätze an Bord der zwei Segelyachten und vermitteln einen SkipperIn. Die Teilnehmer müssen nichts wissen und nichts mitbringen. Es ist ein Einstieg ins Segeln. Geld bringt mir das am Jahresende nicht ein, aber viele glückliche „Neusegler“. Es macht einfach Spaß andere Menschen mit der eigenen Begeisterung anzustecken. Das ist meine Motivation. Die wird derzeit gedämpft durch die Tatsache, dass ich nicht weiß, ob und wann es überhaupt losgehen kann. Wäre alles nach Plan gelaufen, wären beide Boote nun schon im Wasser, und am 11. April hieße es „Leinen los“. Nun muss ich erstmal abwarten.
Momentan verbringen viele Musikliebhaber viel Zeit in ihren eigenen vier Wänden. Gibt es ein Buch, eine CD oder auch Streaming Angebot, das Du uns dringend empfehlen möchtest?
Ich habe schon eine Menge gelesen, viel mehr aber noch nicht gelesen. Ich bestelle nämlich dauernd Bücher im Glauben, sie sicher bald zu lesen. In meinem Beruf bekommt man so viele Anregungen. Wenn das Buch wirklich gut ist und ich abends lese, dann verfolgt es mich in der Nacht in Träumen. Wenn es nicht gut ist, dann kann man sich die Zeit auch sparen. Insofern muss ich ehrlich sagen, dass es Zeiten gibt, in denen ich mich am liebsten mit Oldtimer- und Yachtzeitschriften beschäftige. Danach schlafe ich einfach besser. Neulich habe ich aber einen Autoren für mich entdeckt, der wohl fast vergessen ist. Paul Heyse – Literaturnobelpreisträger von 1910. Über ein Chorlied von Johannes Brahms bin ich auf ihn aufmerksam geworden. Er war ein interessanter Typ und schreibt ungeheuer schlackenlos und reduziert und knapp. Sonst bin ich doch sehr deutsch orientiert: Thomas Mann natürlich und Eduard von Keyserling und Joseph Roth. Doderers Strudlhofstiege liegt neben dem Bett. Aber das ist ein dickes Ding und ich schätze es sehr, wenn ein Autor sparsam mit meiner Zeit umgeht – so wie mein besonderer Liebling: Georges Simenon – er blickt uns – wie Arthur Schnitzler -(den ich auch sehr schätze) unter die Unterwäsche und kann mit so wenigen Worte so viel sagen.
Und musikalisch?
Wer die Schönheit der menschlichen Stimme erleben will, dem empfehle ich einen Sänger, der es in Großbritannien zum SIR gebracht hat, bei uns aber nicht so berühmt ist, wie er es verdient hat: Willard White. Bei YouTube gibt es einige Aufnahme mit ihm, die hauen mich einfach um. Schöner geht’s nicht.
Kommen wir zur ersten Frage zurück: Wo siehst Du Dich in einem Jahr?
Hoffentlich wieder auf den im Ostseewasser schwimmenden Segelbooten. Und alles ist wieder „normal“. Ich habe die Sorge, dass die Maßnahmen, die uns derzeit einschränken, zum Modellfall werden. Wenn man früher eine Tasche auf einem Bahnhof gefunden hat, brachte man sie zum Fundbüro. Heute werden der Bahnhof und die Umgebung für sechs Stunden gesperrt und die Tasche wird ferngesteuert gesprengt. Dann fliegen eine Zeitschrift, eine Wasserflasche und ein Schal in die Luft.
Es gibt Zukunftsforscher, die nach überstandener Corona-Krise eine Verbesserung des Weltklimas – ökologisch wie sozial – prophezeien. Teilst Du diese Einschätzung? Wie ist Deine Vision? Schauen wir in die Glaskugel: Die Heilige Corona, auch Schutzpatronin gegen Seuchen, hat ein Einsehen mit uns und beendet die Pandemie. Alle Musikclubs, Theater und Opernhäuser öffnen wieder. Für Deine erste außerplanmäßige Radiosendung hast Du drei Wünsche frei: Wo, bei welchem Sender und mit wem teilst Du das Studio?
Ich kann mir vorstellen, dass die Erfahrung, wie man das Internet sinnvoll nutzen kann – für Unterricht aber auch für Meetings – dazu führt, dass weniger gereist werden muss. Wenn dann aber das Internet sich auch wieder mit einem Virus infiziert…???
Interview: Andreas Schmidt, 31. März 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ich schließe mich der Meinung von Herrn Mende über Sir Willard White an – eine Stimme zum
Niederknien. Ich habe WW vor einiger Zeit gehört und war hin und weg. Dann ging der Weg zu YouTube, um mehr von ihm zu hören, eine CD kam auch ins Haus. Sein Ol‘ Man River oder auch die
Champagner-Arie aus ‚Don Giovanni‘, sein Porgy aus ‚Porgy and Bess‘ sind hinreißend. Zu anderen Themen möchte ich mich nicht groß äußern. Wir haben eine ganz gehörige Inflation, die Preise gehen durch die Decke und es wird viele Menschen geben, die nicht wissen, wie sie ihre Miete noch bezahlen sollen.
Carla O.