Foto: Don Giovanni 2025 (c) Geoffroy Schied
Die erste Premiere der Jubiläumsfestspielzeit „150 Jahre Münchner Opernfestspiele“ ist Mozarts Don Giovanni. Super Ensemble! Das Orchester bringt die Stimmen zum Leuchten. Zugleich fehlt dem Abend Handlungszündende Dynamik.
Don Giovanni (1787)
Dramma giocoso in zwei Akten
Komposition Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto Lorenzo Da Ponte
Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor, Leitung Christoph Heil
Musikalische Leitung Vladimir Jurowski
Inszenierung David Hermann
Bühne Jo Schramm
Kostüme Sibylle Wallum
Licht Felice Ross
Choreographie Jean-Philippe Guilois
Nationaltheater München, 27. Juni 2025
von Frank Heublein
An diesem Abend wird im Nationaltheater in München erstmals die Neuinszenierung von Don Giovanni aufgeführt. In drei aufeinanderfolgenden Spielzeiten sind Neuinszenierungen aller drei Zusammenarbeiten von Mozart und da Ponte am Haus produziert worden.
In Don Giovanni höre ich Konstantin Krimmel in der Titelrolle, der wie Avery Amereau in allen drei Opern des Zyklus in Hauptrollen am Nationaltheater zu sehen und zu hören ist. Seine stimmliche Souveränität, seine schauspielerische Präsenz bewegt sich auf sehr hohem Niveau. Reift mit den Rollen mit. In Don Giovanni, eigentlich hat dieser die Lizenz zum Berserkern, erlebe ich ihn etwas gebremst. Das liegt aus meiner Sicht an zwei Dingen: der inszenatorischen Idee, dass Pluto-Unterwelts-Chef-ungewollt-Gattin Proserpina sich für ihr aktuelles halbes Jahr auf Erden dem Körper Don Giovannis bemächtigt.

Auch das musikalische Konzept bremst, denn Vladimir Jurowski am Pult betont durch Pausen. Das bringt einzelne Töne, Stimmen, Sequenzen und Instrumente eindrucksvoll zum Strahlen. Macht die Soli, Duette, Terzette zu meisterhaft schillernden Kleinoden. Doch zugleich wird damit die Dynamik der Handlung des Stücks aus-gebremst. Mein Polsterstuhl wird mir zuweilen unbequem.

Zurück zu Bariton Konstantin Krimmel, der seine Rolle wie alle Solisten und Solistinnen des Abends auf hohem Niveau ausfüllt. Doch die jeweilige dichte Intensität in den die Akte eröffnenden Duetten Don Giovannis mit Leporello alias Bariton Kyle Ketelsen hält sich in beiden Akten nicht. Ketelsen singt den Leporello eine Spur dynamischer als Krimmel seinen Don Giovanni. Agiler, locker frei von der Leber weg.
Alle Solisten und Solisten haben Stimm- und Strahlkraft. Die drei Soprane haben dabei unterschiedliche Nuancen. Alle wunderbar. Vera-Lotte Boecker als Donna Anna klar und hell.
Samantha Hankey als Donna Elvira energisch stählern. Avery Amereau als Zerlina als Mezzo mit warmem Timbre.

Bass Christof Fischesser als Komtur sonor bestimmend, beide Tenore Giovanni Sala als Don Ottavio und Michael Mofidian als Masetto beeindruckend leicht. Stimmliche Anstrengung höre ich es nicht bei keiner und keinem der Protagonisten auf der Bühne.
Was am Dirigenten Vladimir Jurowski und seinem bestens aufgelegten Bayerischen Staatsorchester liegt. Der Fokus im Graben liegt auf der Unterstützung der Sängerinnen und Sänger. Don Giovanni ist eine Oper, die jenseits der Ouvertüre praktisch keine orchestralen Partien enthält, die der Oper Emotion jenseits der stimmlichen Unterfütterung und Gefühlsaufladung liefert. Präzise hält er den Kontakt von Graben zu Bühne.
Die Inszenierung David Hermanns zeichnet sich durch so viele Ebenen aus, dass ich deren Anzahl nicht korrekt benennen kann. Häufig drehen sich Wände und Häuser. Wenden sich Aufbauten wie Schreibtische aus dem Boden und verschwinden darin wieder. Verschieben sich Teile der Bühne in der Höhe. Diese beständige Aktion wirkt auf mich technisch, führt in mir nicht zu emotionaler Wirkung. Wenngleich dadurch die Szenen klar gerahmt werden. Die Inszenierung gibt dadurch gute Orientierung.
Der erste Titel der Oper lautete „Il Dissoluto Punito o sia il Don Giovanni“ – Die Bestrafung des Wüstlings oder Don Giovanni. David Herrmann geht einen alternativen Weg, indem er Don Giovanni als verwandelte Proserpina inszeniert. Erica D´Amico spielt diese stumme Rolle Proserpinas gut. Zugleich ist die körperliche Übernahme Don Giovanni für mich nicht stringent, bleibt mir besonders am Ende der Oper äußerst unklar. Inszenatorisch ist sie gut gemacht. Auch die zweite stumme Rolle Pluto, gespielt von Andrea Scarfi, bleibt in mir eher blass.

Nicht der Komtur, sondern Pluto zieht Don Giovanni hinab in die Unterwelt – logisch! Ist ja seine Frau, die nun wieder ihr anstehendes halbes Jahr im Hades antritt. Hinterbühne rauf, der Höllenspalt öffnet sich, die Lavaprojektion lodert brodelnd. Schön gemacht.
Ich bin erleichtert, als es zu Ende ist: es ist gefühlt ziemlich lang. Ich bin irritiert über mich selbst. Moment! Ich besinne mich auf das hervorragende Stimmenensemble. Der musikalische Ansatz, der in mir zum Längengefühl führt, bringt sie zugleich zum Leuchten. Das ist viel viel mehr als halbvoll.
Frank Heublein, 28. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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