Jakub Hrůša und die Wiener Philharmoniker gestalten eine atemberaubende Matinee

3. Abonnementkonzert, Wiener Philharmoniker Jakub Hrůša, Dirigent  Musikverein,  Großer Saal, Wien, 7. Dezember 2025

Foto: Jakub Hrůša © Dieter Nagl

Die Wiener Philharmoniker machten einen Ausflug in die ungarisch-tschechische Musiklandschaft. Werke von Zoltán Kodály, Béla Bartók, Antonín Dvořák und Leoš Janácek standen auf dem Programm des
3. Abonnementkonzertes. Mit höchster Präzision und gewaltiger Intensität errichteten sie unter der Leitung von Jakub Hrůša spektakuläre Klanggebäude.

Zoltán Kodály
Tänze aus Galánta für Orchester

Béla Bartók
Der wunderbare Mandarin. Konzertsuite, op. 19

Antonín Dvořák
Holoubek. Symphonische Dichtung c-Moll, op. 110, „Die Waldtaube”

Leoš Janácek
Taras Bulba. Rhapsodie für Orchester nach einer von Nikolaj W. Gogol bearbeiteten Sage

Wiener Philharmoniker
Jakub Hrůša, Dirigent

Musikverein,  Großer Saal, Wien, 7. Dezember 2025

von Dr. Rudi Frühwirth

Mit einem klagenden, samtig-weich intonierten Motiv in den Celli beginnen Zoltán Kodálys Tänze aus Galánta. Sofort greift das erste Horn das Thema auf – in voller Lautstärke und mit absolut sicherer Intonation. Die Klarinette übernimmt es anschließend, klangschön und höchst ausdrucksvoll. Unter den Holzbläsern spielt die Soloklarinette durchgehend die tragende Rolle, doch auch Oboe und Fagott beeindrucken mit ihrer exzellenten Klangkultur und feinen Phrasierung.
Das Werk lebt vom ständigen Wechsel zwischen langsamen, schwermütigen und heiteren, schnellen Tänzen. Jakub Hrůša nimmt die notwendigen Tempi-Rückungen behutsam und fast unmerklich vor; gezielte Rubati verleihen den Phrasen Geschmeidigkeit und Nachdruck. Er dirigiert mit eleganter Zurückhaltung, ohne jede Theatralik – nur an den großen Höhepunkten breitet er die Arme weit aus und entfesselt gewaltige, mitreißende Klangausbrüche des Orchesters. Der Schlusstanz jagte in atemberaubendem Tempo daher und machte es einem schwer, ruhig sitzenzubleiben. Nach einer kurzen melancholischen Unterbrechung steigerte sich das Presto noch einmal; das gesamte Orchester gab sein Letztes, bis das Werk in einer schroffen, blendenden Klangexplosion endete. Schon nach diesem ersten Programmpunkt brach verdienter Jubel aus.

Für Béla Bartóks Ballettsuite Der wunderbare Mandarin wurde die ohnehin schon große Besetzung noch einmal verstärkt. Die Suite, die Bartók aus der Pantomime geformt hat, demonstriert exemplarisch seine stupende musikalische Meisterschaft: raffiniert geschichtete Akkordballungen, stampfende, motorische Rhythmen, eine hoch expressive Melodik und faszinierende Klangeffekte.

Die Geschichte des Mandarins, der nicht sterben kann, bis das Mädchen sich ihm hingibt, wird mit mitunter verstörender, aber oft auch zärtlicher Musik erzählt. Die einzige nachromantische Ballettmusik, die dem Wunderbaren Mandarin ebenbürtig sein dürfte – Prokofiew und etliche andere mögen mir verzeihen – ist Strawinskis Sacre du Printemps, das mit Bartóks Ballettsuite etliche Ähnlichkeiten aufweist, wie die hämmernde Rhythmik und die schroffen klanglichen Kontraste. In jedem Takt der Suite wird klar, dass hier ein Komponist allerersten Ranges am Werk ist.

Jakub Hrůša hielt die Spannung vom ersten bis zum letzten Moment unnachgiebig hoch und trieb das Orchester zu einer höchst effektvollen, packenden Wiedergabe der Partitur an. Holz- und Blechbläser brillierten gleichermaßen mit präziser Artikulation und strahlendem Klang. Die groteske Brutalität und die fiebrige Erotik des Werks entfalteten sich in bestürzender Intensität und ließen das Publikum überwältigt zurück. Wieder herrschte großer Jubel nach dem düster verklingenden Ende.

Jakub Hrůša am Pult der Wiener Philharmoniker im Großen Musikvereinssaal. © Julia Wesely

Nach der Pause stand Antonín Dvořáks sympho­nische Dichtung Die Waldtaube op. 110 auf dem Programm. Sie beruht auf einer Ballade von Karel Jaromír Erben, in der eine Witwe den Mord an ihrem Mann bereut, während das einsame Taubenrufen sie unaufhörlich verfolgt. Dvořák erzählt die Geschichte mit seiner gewohnten Meisterschaft: lyrisch-weite Melodien, bezaubernde tänzerische Episoden, schmerzhafte Ausbrüche und eine fast impressionistische Naturstimmung.

Jakub Hrůša und das Orchester gestalteten das Stück mit größter Einfühlsamkeit und delikater Klangkultur; die Solopassagen der Holzbläser waren von berührender Schönheit und tiefer Melancholie; die Streicher punkten mit ihrer unnachahmlichen Klangkultur. Dennoch konnte mir Die Waldtaube, obwohl hervorragend musiziert, an diesem Abend nicht den stärksten Eindruck hinterlassen. Die unmittelbare Konkurrenz durch Bartóks radikale, aufwühlende Klangwelt des Wunderbaren Mandarin war schlicht übermächtig.

Den Abschluss des Abends bildete Leoš Janáčeks Rhapsodie für Orchester Taras Bulba, entstanden etwa zur gleichen Zeit wie seine Oper Jenůfa. Janáčeks unverkennbare musikalische Handschrift ist von der ersten bis zur letzten Note präsent, vor allem seine herbe, modal geprägte und höchst individuelle Harmonik. Überraschend treten jedoch auch eindeutig spätromantische Episoden auf, in denen Jakub Hrůša das Orchester mit seinem berückend vollen, warmen Klang geradezu schwelgen ließ. In den dramatischen Passagen hingegen dominieren schroffe, dissonante Klangballungen, die bewusst nicht aufgelöst werden und eine bestürzende Intensität entfalten.

Das Schlagwerk übernimmt eine zentrale Rolle; besonders die Glocken im Zusammenklang mit der Orgel erzeugen ungewohnte, fast mystische Klangeffekte. Der Konzertmeister brillierte mit zwei ausdrucksstarken Violinsoli, und sämtliche Orchestergruppen trugen mit höchster Präzision und Engagement zu einer spannungsreichen, klanglich imposanten Interpretation bei.

Am Ende des Konzerts brandete heftiger, lang anhaltender Beifall auf, der Dirigenten und Orchester gleichermaßen belohnte – ein würdiger Schlusspunkt eines zutiefst beeindruckenden Konzerts.

Dr. Rudi Frühwirth, 8. Dezembe 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Bamberger Symphoniker, Jakub Hrůša, Dirigent Kölner Philharmonie, 23. November 2025

Jakub Hrůša, Dirigent /Bomsori Kim, Violine Isarphilharmonie München, 19. Mai 2025

Jakub Hrůša, Dirigent Sheku Kanneh-Mason, Violoncello Tschechische Philharmonie Elbphilharmonie, Hamburg, 21. August 2024

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