Mozart macht auf Breakdance, und sein Requiem sorgt für ein Gefühls-Auf-und -Ab

3. Jubiläumskonzert »Flying Mozart« unter Gijs Leenaars  Theater am Potsdamer Platz, Berlin, 29. März 2025

FLYING MOZART © Lovis Dengler-Ostenrik

Der Rundfunkchor Berlin begeht in diesem Jahr seinen hundertsten Geburtstag.  In einer Stadt, in der so viel passiert ist, grenzt das schon an ein Wunder. Zu so einem Fest lädt man sich besondere Gäste ein und auch der Veranstaltungsort darf gern üppiger ausfallen.

FLYING MOZART

Das 3. Jubiläumskonzert zum Hundertsten des Rundfunkchores Berlin

im Theater am Potsdamer Platz, 28. und 29. März 2025

Rundfunkchor Berlin
Deutsche Streicherphilharmonie
Gijs Leenaars, Dirigent

Berliner Breaking-Company „Flying Steps“
Vartan Bassil, Creative Director

Wolfgang Amadeus Mozart     Requiem d-Moll KV 626

Ergänzt durch „Hip-Hop-inspirierte Sounds“
der Brüder Vivan und Ketan Bhatti

Theater am Potsdamer Platz, Berlin, 29. März 2025

von Ralf Krüger

Die Meinungsbildung wird extrem durch die visuellen Effekte bestimmt. Durch die Filme, die Clips im hinteren Teil der Bühne. Der Text des Requiems steht im Programmheft. Man kann ihn später nachlesen, doch während der Vorstellung fehlt er. So schaut man auf diese Bilder: Rauchende Schlote, abgestorbene Wälder, Weltuntergangsstimmung. Zwei Hände, die nach Leben tasten…

Der Chor singt kräftig, laut, schluckt alle Geräusche im Saal. Die Tänzer, die Breaker tanzen und performen zu ihren Beats. Kräftig und hart. Da ist nirgendwo Optimismus, nirgends Hoffnung. Die Angst vor dem Morgen wird stärker und eine Frage steht weit im Raum: Was wird sein?…

Doch dann entdecke ich ein weißes T-Shirt bei einem der Mitwirkenden. Weiß war bisher nur das überdimensionale Leichentuch, das in der Eingangsszene die Tänzerinnen und Tänzer verhüllt. Sonst tragen alle Trauerkleidung. Folgen sie jetzt dem „weißen T-Shirt“ vom Dunkel ins Licht?

Die Chorsängerinnen und -sänger klopfen sich wie wild auf die Oberschenkel. Die Musik unterstützt sie bald in diesem Geräusch. Einen Moment braucht es, bis man versteht, was sie andeuten. Es regnet! Starkregen! Es zieht ein Gewitter auf! Gleich darauf zeigt ein Film-Clip zwei Hände, die aufs Feuer aufpassen, so dass es nicht ausgeht. Wasser, Feuer – waren das nicht Elemente des Lebens?

FLYING MOZART © Lovis Dengler-Ostenrik

In einer Loge, hoch über dem Parkett, aber nicht weit von der Bühne entfernt, singen die vier Solisten des Abends (Sopran, Mezzosopran, Tenor und Bass) eine Hymne, die Hoffnung macht. Ich deute sie so. Und dann scheint die Sonne über dem Chor. Dort, wo bisher diese schrecklichen Bilder zu sehen waren, lacht sie ins Publikum. Etwas wacklig, man erkennt sie nicht gleich, aber sie scheint.

Der Rundfunkchor, die „Flying Steps“, die Musiker im Orchestergraben und Mozarts Requiem steuern dem Finale entgegen und es sieht danach aus, dass es ein Morgen gibt, vielleicht eine Zukunft.

Das Theater am Potsdamer Platz, in dem dieses Jubiläumskonzert stattfindet, liegt nur wenige Meter Luftlinie von jenem Ort entfernt, an dem die wechselvolle Geschichte des Berliner Rundfunkchores begann. Das sogenannte „Vox-Haus“ an der damaligen Potsdamer Straße gilt als die Wiege des Rundfunks in Deutschland. Am 29. Oktober 1923 – so steht es auf einer Gedenktafel – startete die erste offizielle Sendung und schon knapp 2 Jahre später, im Frühjahr 1925, gründete sich dort der „Chor der Berliner Funkstunde“ mit 20 festen Sängerinnen und Sängern.

FLYING MOZART © Lovis Dengler-Ostenrik

Diese Info und sehr viel mehr findet man in einer ausführlichen Chronik auf der Website des Rundfunkchores. Noch heute begeistert mich, dass es nach dem Fall der Berliner Mauer gelang, den Rundfunkchor zu erhalten. Ich habe selbst erlebt, wie die Berliner Radiolandschaft in den frühen 1990er Jahren völlig in die Schieflage geriet. Die DDR-Sender wurden heruntergefahren, auch beim „Rundfunk im amerikanischen Sektor“ (RIAS) ging das Licht aus und die Privatsender eroberten in Scharen den Äther. Dass es in diesen Jahren damals kluge, vorausschauende Köpfe gab, die der Meinung waren, dass man wenigstens etwas erhalten muss, von dem was mal war, kann heute in Zeiten extrem klammer Kassen gar nicht genug gewürdigt werden.

Der Rundfunkchor Berlin gehört seit 1994 zur „Rundfunk Orchester und Chöre GmbH Berlin“ (ROC).

Glückwunsch von mir altem Radio-Freak zum Hundertsten!

Als nach einem gewaltigen Wumms alles vorbei ist, die erste Welle des Beifalls in Richtung Bühne schwappt, sich alle Mitwirkenden verbeugen, da ist dann Mozart vergessen. Die Frauen und Männer der Berliner Breaking-Company bestreiten das Dacapo, zeigen nochmal ihr Können, ihre Kondition, ihre Körperbeherrschung bei Musik, die nicht nach Klassik klingt.

Dann treten die Mitglieder der Streicherphilharmonie vom Dunkel des Grabens ins Scheinwerferlicht. Alles junge Menschen, mit ihren geliebten Instrumenten in den Händen. Sie hatten einen Mozart light auf ihren Notenblättern. Der Meister begann mit dem beauftragten Requiem, erkrankte und starb über der Arbeit. Das Programmheft nennt einen Heinrich Ludwig Ritter von Spengel als den Bearbeiter der gehörten Fassung.

FLYING MOZART © Lovis Dengler-Ostenrik

Die Damen und Herren des Rundfunkchores stehen etwas im Hintergrund. Aber diese Bühne ist riesig, sie war mal Berlins größte Musicalbühne, sie hat Platz für alle. Ich denke, der soeben gehörte Gesang kann nur vom dem beurteilt und gewürdigt werden, der selbst in einem Chor singt und probt. Ich erhebe mich von meinem Platz, klatsche, verbeuge mich im Geiste vor dieser Leistung, vor diesem Wahnsinn, ein Requiem auswendig und 70 Minuten lang vortragen zu können.

Das Konzert am Sonnabendnachmittag in diesem repräsentativen Theater ist ein Fest für mehrere Generationen. Der Vielfalt sei Dank! Große Teile des Publikums wollten Breakdance live erleben, viele den Chor hören und wenige Klassik genießen. Es gibt stehende Ovationen. Begeisterung pur. Mitwirkende und Publikum winken einander zu. So soll es sein!

Ralf Krüger, 30. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Das abschließende Jubiläumskonzert mit dem Rundfunkchor Berlin und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin findet am 31. Mai 2025 um 20:00 Uhr im Konzerthaus Berlin statt.

Ein Gedanke zu „3. Jubiläumskonzert »Flying Mozart« unter Gijs Leenaars
Theater am Potsdamer Platz, Berlin, 29. März 2025“

  1. Was für ein Lobeshymnus! Als Mitwirkende bin ich total gerührt von ihren Worten und danke herzlich. Wir haben die Zusammenarbeit sehr genossen. Die Energie auf der Bühne war überwältigend. Und Sie haben recht: Sowohl die jungen Menschen in der Streicher Philharmonie, aber eben auch die ganz jungen Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne bergen den Optimismus in sich, den wir alle brauchen!

    Judith Engel

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