Rihm irritiert, Bartók verzaubert, Beethoven begeistert das Bremer Publikum

4. Premieren-Abo-Konzert: „Rhythmus pur“  Bremer Konzerthaus Die Glocke, 25. April 2025

Alinde Quartett © Davide Cerati

4. Premieren-Abo-Konzert: „Rhythmus pur“

Béla Bartók: Ungarische Bilder Sz. 97
Wolfgang Rihm: „Concerto“ Dithyrambe für Streichquartett und Orchester
Ludwig van Beethoven:  Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 36


Alinde Quartett
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Duncan Ward  Dirigent

Bremer Konzerthaus Die Glocke, 25. April 2025

von Dr. Gerd Klingeberg

Schmusemelodien, womöglich auch gleich noch mit obligatem Taschentuchalarm, sind ohnehin nicht ihr Ding: Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen präferiert weit mehr kernig deftige Interpretationen. Da lässt es umso mehr aufhorchen, als ein Werk in einer kurzen Einführung während des Konzert von Bratschistin Anja Manthey als „unglaublich schnell, unglaublich laut“ vorgestellt wird; zudem geschehe darin furchtbar viel auf einmal. „Versuchen Sie, die ersten zehn Minuten durchzuhalten“, lautet ihr Rat an die teils leicht konsternierten Zuhörer; danach würde sich manches klären.
Und sie liegt damit nicht allzu verkehrt bei Wolfgang Rihms anno 2000 uraufgeführtem „Concerto“ Dithyrambe, bei dem traditionelle Konzertformen offensichtlich keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Sonderlich lauter als gewohnt wird es zwar nicht, aber ja, es geht gehörig durcheinander. Eine ungeheure Fülle an Klangfetzen und Themenbruchstücken scheint sich fast schon kakofonisch miteinander zu vermengen; man fühlt sich mittendrin in einem irritierenden gigantischen Chaos megastädtischen Rushhour-Gewimmels. Oder ist es gar mehr noch eine Zustandsbeschreibung unseres Planeten?

Überbordende dionysische Ekstase

Der optische Eindruck hilft zumindest ansatzweise, eine gewisse Struktur zu erkennen und sich etwa auf die wild agierenden Streicher des Alinde Quartetts zu fokussieren. Im Vordergrund steht indes die geballte, unerbittlich vorandrängende Energie, die überbordende Ekstase, die in dieser Komposition zum Ausdruck gebracht wird. Das entspricht dem Titel:

Dithyrambe ist ein von grenzenlosem Überschwang und wilder Begeisterung geprägtes Loblied zu Ehren von Dionysos, dem griechischen Gott des Weines, der Fruchtbarkeit, aber auch des Wahnsinns und anderem mehr. Welche Seite davon am stärksten bei Rihm in den Vordergrund rückt, das mag jeder Zuhörer selbst entscheiden. Eine gewohnte klassische Struktur sucht man allerdings vergebens. Als sich nach gut acht Minuten eine leichte Entspannung im Durcheinander des Geschehens abzeichnet, lassen sich tatsächlich einzelne Fragmente besser einordnen.

Entscheidend für eine derartige Transparenz ist das souveräne, sehr exakte und verlässliche Dirigat von Duncan Ward sowie die präzise Umsetzung durch Orchester und Streichquartett.

Duncan Ward © Holger Talinski

Dabei ist keineswegs immer eindeutig, ob die beiden zahlenmäßig stark differierenden Klangkörper eher miteinander oder gegeneinander handeln. Rihms eigene Erklärung, dass das Streichquartett eine Art vierköpfiges Wesen darstellt, das „Kammermusik“ spielt in einem vom Orchester dargestellten „Käfig oder einer Kammer mit offenen Fenster“, ist immerhin etwas hilfreich zum Verständnis dieser ungewohnten, Hörende wie Ausführende herausfordernden Musik, die nach knapp 30 Minuten in einem schlichten Akkord endet.

Mutmaßlich ist nicht jeder damit zu begeistern. Die durchweg grandiose Ausführung wird dennoch mit großem Beifall bedacht.

Stimmungsvolle Harmonien in faszinierender Plastizität

Dass das Alinde Streichquartett auch in gänzlich anderen stilistischen Sparten absolut firm ist, beweist es mit einer stimmungsvoll intonierten Zugabe: der Eigenkomposition „Ach Alinde“ des Cellisten Bartolomeo Dandolo Marchesi, deren anfangs serenadenhaft zarte, zunächst noch ruhig fließende, dann rhythmisch straffere Harmonien die nach Rihm möglicherweise aufgewühlten Gemüter wieder ins Lot bringen.

Mit ähnlich unkomplizierten, angenehm vergnüglichen Klängen hatte sich das Orchester bereits zu Konzertbeginn eingebracht. Feinfühlig und überaus farbenfroh vorgetragen, waren Bartóks fünf „Ungarische Bilder“ in faszinierender Plastizität nachgezeichnet worden. Darunter die zauberhafte, melancholisch gefärbte Atmosphäre eines Abends auf dem Lande, weiterhin die schräge Beschwingtheit und die nachgeahmte Bewegungsunsicherheit bei leichtem Angeheitertsein. Und schließlich die rasanten folkloristischen Rhythmen eines ausgelassenen „Üröger Hirtentanzes“.

Mit Beethoven konnte die Kammerphilharmonie schon sehr häufig brillieren. Das steht auch unter dem körperbetonten, mit großem Elan ausgeführten Dirigat von Ward außer Frage. Von Beginn an setzt er bei der 2. Sinfonie des Titanen auf wirkungsvolle, mitunter schlagschattenharte Kontraste: ein Nebeneinander sanfter, subtil gestalteter, häufig tänzerisch leichter Harmonien und wuchtig donnernden Hammerakkorden. Das liebliche Flair, dieses orchestrale Lächeln des ohrenschmeichelnden 2. Satzes Larghetto wird leider etwas konterkariert durch die gegenüber den zarten Streicherklängen nicht selten allzu dominant aufspielenden Bläser.

Die recht sportlichen Tempi im Scherzo (3. Satz) wie auch im Finalsatz lassen manche Figuration etwas verhuscht daherkommen. Beim fulminanten finalen Kehraus imponiert das ausgewogen agierende Orchester indes mit einem Höchstmaß an Klangdichte.

Der nach begeistertem Beifall als Zugabe nachgelegte schmachtende Schönklang von Edward Elgars „Salut d’amour“ scheint ein wenig augenzwinkernd-ironisch anzumuten. Aber wie meinerseits – siehe oben – gleichermaßen augenzwinkernd angemerkt: Ausnehmend flauschige Schmusemelodien gehören wohl halt nicht so zu den Präferenzen der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen…

Dr. Gerd Klingeberg, 26. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Marie Jacquot Dirigentin Bremer Konzerthaus Die Glocke, 14. März 2025

Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Paavo Järvi, Dirigent Bremer Konzerthaus Die Glocke, 30. November 2024

Bremen: Elgar und Beethoven Bremer Konzerthaus, 13. Januar 2025

Duncan Ward, Benjamin Schmid, ORF Radio-Symphonieorchester, Wiener Konzerthaus, 10. Mai 2019

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