Magie pur: Gil Shaham, Han-Na Chang und die Symphoniker Hamburg bringen die Laeiszhalle zum Leuchten

4. Symphoniekonzert, Gil Shaham, Violine  Han-Na Chang, Dirigentin Symphoniker Hamburg  Laeiszhalle Hamburg, 10. Dezember 2023

Foto: Gil Shaham © Chris Lee

Selten habe ich ein so berührendes und packendes Konzert in der Laeszhalle Hamburg erleben können! Dafür sei allen Mitwirkenden gedankt. Schade nur, dass die Auftritte Gil Shahams in Hamburg so selten sind.

4. Symphoniekonzert, Laeiszhalle Hamburg, 10. Dezember 2023

Gil Shaham, Violine

Han-Na Chang, Dirigentin
Symphoniker Hamburg

von Dr. Holger Voigt

Da mag die Weltlage zum Ende des Jahres 2023 auch noch so düster erscheinen und das Wetter ebenso, dieses Konzert war ein Lichtstrahl in der Dunkelheit. Es bewies, dass die Kraft der Musik fast allem zu trotzen vermag, wenn wir sie nur in unsere Herzen hineinlassen.

Im Jahre der Entstehung seines einzigen Violinkonzertes (Uraufführung 23. Dezember 1806, Theater an der Wien) befand sich Ludwig van Beethoven wieder „in der Spur“, nachdem ihm das Bemerken seines allmählichen Hörverlustes noch 1802 in tiefe Verzweiflung gestürzt hatte („Heiligenstädter Testament“, 6. und 10. Oktober 1802). Langsam fasste er wieder Mut und Zuversicht, zumal seine Klavierschülerin Josephine von Brunsvik de Korompa nicht nur sein Herz entflammt hatte, sondern dieses Gefühl auch erwiderte. 1804 war der ihr angetraute Ehegatte Joseph Nepomuk Graf von Deym, Freiherr von Střítež, plötzlich an einer Lungenentzündung verstorben und hinterließ Josephine als Witwe, die nun ehelich wieder „frei“ war, was die Hoffnungen Beethovens nährte.

Noch sah die adlige Familie der Brunsviks dieser sich entwickelnden Beziehung aus einer gewissen Distanz tatenlos zu, doch sollte sich das in den folgenden Jahren rasch ändern, in denen der Kontakt beider zueinander von der Familie mehr und mehr blockiert wurde. Beethoven war in den Augen des Adels eben bei weitem nicht standesgemäß und keine auch nur im Entferntesten akzeptable Option zum Verheiraten.

Doch davon war 1806 noch nicht die Rede, und so findet sich das überbordende Glücksgefühl eines verliebten Komponisten Note für Note in diesem glückseligen Solo-Konzert. Es ist unverkennbar, dass die Behandlung von Violine und Instrumentengruppen im steten Wechsel einem Zwiegespräch unter Verliebten gleicht, in dem Fragen, Antworten und Reperkussionen einander die Hand geben. Wenn man will, lässt sich sogar syllabisch der Name „Josephine“ heraushören (1. Satz, Hauptmotiv), mit dem er sie zwar nicht direkt anspricht, sondern vielmehr seine eigenen Gefühle ihr gegenüber mitteilt. So frei und emotional unbeschwert konnte Ludwig van Beethoven sich nur durch die Musik ausdrücken, die zunehmend seine vorrangige Kommunikationssprache werden sollte.

Der 52-jährige charismatische US-amerikanische Violinist Gil Shaham betritt mit einem einnehmenden Lächeln das Podium der Laeiszhalle. Er drückt noch kurz die südkoreanische Dirigentin Ha-Na Chang und wandert mit seinem lächelnden Blick durch die Reihen des Publikums, als wolle er jeden Einzelnen persönlich willkommen heißen.

Gil Shaham, photographed at Central Park, 11/10/2020 by Chris Lee

Im Eröffnungsteil des Konzertes scheint er die Melodie mitzusingen und bewegt sich – je nach gerade spielender Orchestergruppe – in deren Richtung mit. Dabei ist sein lächelnder Blick unablässig auf die ausführenden Musiker gerichtet – er nimmt sie alle mit.

Jedes musikalische Motiv, jede musikalische Phrase wird von ihm körperlich zum Ausdruck gebracht. In den Pianophasen tritt er nahe an die Dirigentin heran und erzeugt dadurch eine brillant klingende Intimität seiner Stradivari, die besonders in den Kadenzen (Kreisler, Shaham) so überirdisch fein und klangschön klingt, als würde sie sich auf einem Lichtstrahl bewegen. Im Publikum ist jeder gepackt und ergriffen – Virtuosität und Ausdruck sind am Anschlag. Der triumphal endende Schlusssatz steigert die Expressivität bis zur Entladung in einem wahren Beifallssturm.

„It is so good to be back in Hamburg“ gesteht der Künstler dem begeisterten Publikum und trägt als Zugabe den “Isolation Rag” von Scott Wheeler vor, den dieser in Lockdown-Zeiten der Corona-Pandemie komponiert hatte.

Im zweiten Programmteil des Abends stand ein wahrer Klangkosmos an: Die zweite Symphonie Sergej Rachmaninows aus dem Jahre 1908 (Entstehungszeitraum Oktober 1906 bis April 1907). Mit dieser schwergewichtigen Komposition gelang es dem Komponisten, seine kreative Blockierung zu überwinden, die sich nach dem fürchterlichen Mißerfolg seiner ersten Sinfonie bei ihm eingestellt hatte.

Diese Sinfonie entspricht einer spätromantischen Tonschöpfung, innerhalb derer nicht nur die Möglichkeiten eines sinfonischen Orchesters voll ausgereizt werden, sondern auch thematisch-musikalisch alle Ausdrucksebenen einer sinfonischen Komposition zur Ausführung gelangen. Mächtige Klangreisen werden mit lyrischen Abschnitten – oft im selben Satz – miteinander verknüpft und zu großen Klanggebilden vereinigt. Die deutlich vernehmbare Melancholie – teils an Sibelius oder Tschaikowsky erinnernd – wird immer wieder durch lieblich-naturalistische Abschnitte aufgelöst, so dass ein Wechselbad musikalischer Intentionen und Affekte resultiert, die durchaus überraschend aus einander hervorgehen.

Han-Na Chang © Ole Wuttudal

Das zuweilen sehr deutlich und ausgewogen ausbalancierte Werk erfordert von den Musikern einen ständigen Wechsel von Dynamik und Flußgeschwindigkeit bei präzisen Einsatzgeboten. Genau dieses zu realisieren gelang der jungen Dirigentin Ha-Na Chang, seit kurzem Erste Gastdirigentin der Symphoniker Hamburg, in eindrucksvoller Weise. Die Spielfreude der Musiker war ihnen an den Gesichtern abzulesen, beflügelt durch eine Dirigentin, deren körperlicher Einsatz durchaus athletische Züge hatte. Was für eine packende Darbietung, die zu Recht einen riesigen Beifallssturm entfachte.

Selten habe ich ein so berührendes und packendes Konzert in der Laeszhalle Hamburg erleben können! Dafür sei allen Mitwirkenden gedankt. Schade nur, dass die Auftritte Gil Shahams in Hamburg so selten sind.

Dr. Holger Voigt, 10. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

PROGRAMM

Ludwig van Beethoven
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61

Allegro ma non troppo
Larghetto
Rondo. Allegro

Kadenzen: Fritz Kreisler, Gil Shaham

Sergej Rachmaninow
Sinfonie Nr. 2 e-Moll op. 27

Largo-Allegro moderato
Allegro molto
Adagio
Allegro vivace

2. Kammerkonzert der Saison 2023/24 Laeiszhalle Hamburg, 2. November 2023

KlassikPhilharmonie Hamburg, Hamburg Proms – Last Night Laeiszhalle, Hamburg, 6. Oktober 2023

Giuseppe Verdi: Messa di Requiem  Laeiszhalle, 18. November 2023

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert