Madoka Sugai und Alexandr Trusch berühren mit höchster Tanzkunst in John Neumeiers Ballett Sylvia

48. Hamburger Ballett-Tage, Ballett Sylvia, Musik Léo Delibes  8. Hamburger Ballett-Tage, Sonnabend, 24. Juni 2023

Madoka Sugai und Alexandr Trusch (Foto: RW)

Madoka Sugai hat auf der Bühne ein Charisma, welches vom ersten Moment ihres Auftritts gefangen nimmt und es schwer macht, die Augen von dieser Ausnahmetänzerin zu lassen. Mit Alexandr Trusch hat sie zudem einen kongenialen Partner, der nicht nur federleicht springt und dreht, sehr verlässlich und bei den Hebungen vermeintlich mühelos partnert, sondern der Rolle des in Liebesqual versunkenen Aminta eine seelische Dimension gibt, die tief berührt.

48. Hamburger Ballett-Tage
Staatsoper Hamburg, 24. Juni 2023

Sylvia, drei choreographische Gedichte über ein mythisches Thema
Musik: Léo Delibes

Choreographie und Inszenierung: John Neumeier
Bühnenbild und Kostüme: Yannis Kokkos
Musikalische Leitung: Markus Lehtinen
Solo-Violine: Joanna Kamenarska

55. Vorstellung seit der Premiere am 7. Dezember 1997

von Dr. Ralf Wegner

Das Ballett Sylvia nach der Musik von Léo Delibes wurde 1876 uraufgeführt, allerdings mit einer verschrobenen und abstrusen Handlung. Neu war allerdings die Besetzung von Nymphen mit kämpferischen Frauen. John Neumeier beachtete das Libretto von Jules Barbier und Baton de Reinach nach einer Dichtung von Torquato Tasso nicht, übernahm nur das Hauptpersonal, und das auch nur teilweise. Auf die kämpferischen Amazonen verzichtete er aber nicht.
Kurz gefasst: 1. Akt: Der Schäfer Aminta verliebt sich in die Oberamazone Sylvia, er wirbt erfolgreich um sie. Sie vermag es aber nicht, ihre Liebe gegen die Königin der Amazonen, Diana, zu verteidigen. Eros/Orion überzeugt Sylvia, Aminta in der Außenwelt zu suchen. 2. Akt: Die schöne Sylvia lässt sich auf einem Ball von den dortigen Männern umwerben, findet ihren Aminta aber nur im Traum. Schließlich verlässt sie den Ball mit einem Mann ohne Namen. 3. Akt: Nach langer Zeit treffen sich Sylvia und Aminta wieder, sie werben umeinander, wissen aber um die Unmöglichkeit ihrer Liebe. Sylvia geht mit dem Mann ohne Namen davon, Aminta bleibt liebeskrank und ohne Hoffnung zurück.

Anna Laudere (Diana), Markus Lehtinen (musikalische Leitung), John Neumeier (Choreographie und Inszenierung), Alexandr Trusch (Aminta), Madoka Sugai (Sylvia) und Christopher Evans (Eros/Thyrsis/Orion) (Foto: RW)

Das war insgesamt die beste, dichteste Aufführung dieses Balletts, die ich bisher gesehen habe. Madoka Sugai hat für die Rolle der Sylvia alles, was dieser Part erfordert, die Kraft und Aggressivität einer Amazone, niemand springt so hoch und so weit wie sie, die Schönheit und Eleganz für den Auftritt beim Ball und die Zartheit und Einfühlsamkeit beim Kontakt mit Aminta. Hinzu kommt ihre Furchtlosigkeit, wenn sie geworfen oder in die Höhe gehoben wird. Madoka Sugai hat auf der Bühne ein Charisma, welches vom ersten Moment ihres Auftritts gefangen nimmt und es schwer macht, die Augen von dieser Ausnahmetänzerin zu lassen.

Mit Alexandr Trusch hat sie zudem einen kongenialen Partner, der nicht nur federleicht springt und dreht, sehr verlässlich und bei den Hebungen vermeintlich mühelos partnert, sondern der Rolle des in Liebesqual versunkenen Aminta eine seelische Dimension gibt, die tief berührt. Eine solche Paarung wie Sugai und Trusch ist selten auf den Ballettbühnen zu finden; beide sind die legitimen Nachfolger von Sylvia Azzoni und Alexandre Riabko, deren tänzerischer Ruhm sich für immer in die Annalen des Hamburger Balletts eingeschrieben hat, auch als Sylvia und Aminta (April 2009).

Zum Erfolg der gestrigen Aufführung trugen aber nicht nur Sugai und Trusch bei. Vielmehr tanzte das ganze Ensemble in Höchstform und ließ den Ballakt neben den zahlreichen Pas de deux zu einem Höhepunkt des Balletts werden. Noch nie erschien mir der Ballakt so kurz, alle Tänzerinnen und Tänzer beeindruckten technisch und darstellerisch außerordentlich. Wen soll man aus der Erinnerung nennen, Yun Su-Park fällt mir ein, auch Xue Lin, Matias Oberlin und Lizhong Wang, zudem Yaiza Coll, Patricia Friza oder Ida Stempelmann im ersten Akt als Jägerinnen bzw. Amazonen, auch Francesco Cortese als einer der Schäfer.

Die Amazonen bzw. Jägerinnen (Foto: RW)

Zudem beeindruckte Anna Laudere mit ihrem hoheitsvoll elegant fließenden Stil als Amazonenkönigin Diana, die sich der erotischen Seite des Daseins, Jacopo Bellussi als schlafsüchtiger Endymion, nicht verschließt, ihre untergebenen Jägerinnen einschließlich Sylvia aber eifersüchtig überwacht. Christopher Evans ergänzte das herausragende Ensemble als Eros und Orion.

Der Beifall war langanhaltend, mehrere Blumensträuße flogen auf die Bühne, zunächst auch eher in den Orchestergraben. Der Jubel galt allen Beteiligten, vor allem aber Madoka Sugai und Alexandr Trusch, und auch dem Dirigenten der Aufführung Markus Lehtinen, der dem Tanz einen schönen Klangteppich der eingängigen, aber wenig in die Tiefe gehenden Komposition von Léo Delibes unterlegte.

Als Neumeier vor seine Tänzerinnen und Tänzer trat, erhob sich das Parkettpublikum unisono und bereitete ihm stehend Ovationen.

Dr. Ralf Wegner, 25. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

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