So hat man Vivaldi noch nie gehört! – Das Janoska Ensemble swingt, tanzt und reißt mit

5. Symphoniekonzert   MuK, Lübeck, 10. Februar 2025

Janoska Ensemble © Andreas Ströbl 

Ach, Vivaldis „Vier Jahreszeiten” – wie oft wird man seit Jahrzehnten allein mit Bearbeitungen und Neu-Arrangements überschüttet. Ist da nicht schon die Rezeption mitunter langweilig und sogar gequält? Möglich, aber das slowakische Janoska Ensemble überrascht mit ungewöhnlichen Wendungen, musikalischen Sprüngen und einem ganz neuen Licht auf die „Quattro Stagioni“. Was für ein Spaß!

5. Symphoniekonzert

Antonio Vivaldi/František Janoska, Die vier Jahreszeiten im Janoska Style

Concerti op. 8, 1-4 in Bearbeitung und mit Neukompositionen

Janoska Ensemble

Stefan Vladar, Dirigent
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

Musik- und Kongresshalle, Lübeck, 10. Februar 2025

von Dr. Andreas Ströbl

Die meisten Neu-Interpretationen des berühmtesten Vivaldi-Werks sind geprägt durch eine Idee, die sich dann durch die vier Concerti zieht. Mit gewissem Schaudern erinnern sich manche an Parties in den 80ern, wo eine „Rondò Veneziano“-Platte lief, auf der „Klassik echt mal ganz neu gespielt wird“. Ein gewisser Kitsch-Anteil war da nicht zu überhören.

Das 5. Symphoniekonzert am 10. Februar 2025 in der Lübecker „MuK“ allerdings machte bereits mit den ersten Takten klar, dass die Reise hier ganz woanders hin ging – genau gesagt, waren es viele kleine Reisen durch Weltregionen und Jahrhunderte. Das Publikum war mehr als begeistert.

Man muss nur einfach mal der Phantasie freien Lauf lassen

Die hervorragenden und mehrfach preisgekrönten Musiker-Brüder František (Klavier), Ondrej und Roman Janoska (Violine) sowie ihr Schwager Julius Darwas (Kontrabass) spielen im besten Sinne mit der barocken Vorlage, sie liebkosen sie, variieren die Themen, wechseln überraschend die Tonarten, springen und tanzen phantasie- und vor allem schwungvoll durch verschiedene Stile und Färbungen.

So klingt zwischen den vertrauten und liebevoll verfremdeten Vivaldi-Noten mal ein Piazzolla- oder Rachmaninoff-Zitat heraus, manche der lebhaft synkopierten Passagen erinnern an Gershwin oder Goodman. Eine behagliche Salon- und Caféhaus-Atmosphäre schafft sich immer wieder Bahn, es duftet nach Cappuccino, guten Zigarren und erlesenem Whisky. Manchmal ist man an die humorvollen Arrangements der „Philharmonics“ erinnert, da besteht eine stilistische Verwandtschaft.

Janoska Ensemble © Andreas Ströbl

Die zahlreichen, brillanten Solo-Partien werden mit Zwischenapplaus bedacht; das ist so ein bisschen wie im Jazz-Konzert, zerstört aber ausnahmsweise mal nicht die dichte Konzert-Atmosphäre, sondern lockert alles auf – konservative Puristen hätten diese Aufführung ohnehin nach wenigen Takten verlassen müssen. Der jüngste Besucher, ein Säugling, quäkt immer mal wieder zwischen den Stücken, was an diesem Abend nur für Verwunderung sorgt. Offenbar wollte der Babysitter auch in die „MuK“.

Die einzelnen Jahreszeiten-Sätze haben die Musiker mit eigenen Titeln versehen, so den „Frühling“ mit „The Groovy Birds“, „Dreaming Soul“ und „The Irish Wedding“. Entsprechend tirilieren hier die Vögel, die Violinen zwitschern. Dass man eine Geige auch wie eine Ukulele spielen kann, beweist mit viel Humor Roman Janoska, sein Bruder Ondrej tritt wie ein irischer Fiddler auf, und ein Bordun-Motiv sorgt für ländliche Tanzstimmung.

Der „Sommer“ ist unterteilt in „Caribbean Vibes“, „Silence Before the Storm” und “Storm in Janoska Style”, und, wie angekündigt in der launigen Zwischenansage, die es vor jeder Jahreszeit gibt, entlädt sich die zeitweilen schwüle Atmosphäre in einem tropischen Tornado. Zuvor hört man reizvolle Dialoge zwischen den Violinen, dann wieder schwelgen die Musiker in schwärmerischen Intermezzi.

Das Zusammenspiel mit dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck unter Leitung von GMD Stefan Vladar macht den Mitwirkenden sichtlich Spaß; Musikerinnen und Musiker grinsen und wippen mit Bögen im Takt, der hochengagierte Dirigent möchte am liebsten das Tanzbein schwingen. Zuweilen läuft das Quartett dem Orchester beinahe davon, das sich manchmal beeilen muss, um die rasanten Tempi und Brüche synchron mitzugestalten.

Stefan Vladar und Orchester © Andreas Ströbl

Den „Herbst“ gliedern die Sätze „7/8 Balkan Journey“, „Blind Improvisation“ und „The Hunter and the Jazzy Fox“, und da fühlt man zwischenzeitlich in einen melancholischen Central Park mit roten Ahornblättern versetzt; dann denkt man an Jacques Loussiers Bach-Interpretationen, wenngleich bei den Janoskas immer deutlich das südosteuropäische Temperament durchbricht. Julius Darwas’ konzentriertes Bass-Solo steht den quirligen Arpeggien von František Janoska spannungsreich gegenüber und man fragt sich, was an diesen tempo- und variationsreichen Passagen improvisiert und was gekonnt durchgeprobt ist.

Abschließend zieht der „Winter“ ein, mit „Dancing in the Snow“, „Sweet Home“ und „Peace and Love Forever“. Nach dem Bibbern und Frösteln in der Eiseskälte geht es in die heimelige Stube und bewusst sentimental zieht eine Weihnachtsstimmung in die Häuser. Dabei entsteht so ein bisschen „Aschenbrödel“-Stimmung, aber das haben die Musiker zuvor angekündigt. Bevor es allzu gemütlich wird, klingen blue notes sowie Swing-Elemente hinein und beleben die familiäre Runde.

Wundervolle Zugaben und eine doppelte Geburtstags-Gratulation

Ganz ehrlich – die Zugaben nach dem tosenden Beifall sind fast das Beste an dem Konzert, denn hier lassen die Vier die musikalische Sau raus, um es mal sehr salopp, aber zutreffend zu sagen.

Von Brahms’ ungarischen Tänzen geht es überraschend zu einem Geburtstagsständchen für den Kopf der Truppe UND Vivaldis weltberühmtes Werk, das heuer frische 300 Jahre alt wird. Beethovens 5. wird zitiert und dann dürfen alle bei der „Ode an die Freude“ aus der 9. Symphonie mitsummen, im Chor der Brüderlichkeit, mit gezückten Handy-Leuchten anstatt der Feuerzeuge, wie man es aus Pop-Konzerten kennt.

Janoska Ensemble © Andreas Ströbl

Unermüdlich spielen die Musiker weiter und zeigen, was man aus Beethovens „Elise“ machen kann, wenn man sie mit Paprika würzt und sie in einen Csardas hineintanzen lässt. Brahms grüßt erneut, dann perlen Rachmaninoffs „Paganini-Variationen“. Der Spaß will kaum ein Ende nehmen, aber irgendwann entlässt ein enthusiasmiertes Publikum das Quartett; es muss nämlich noch die mitgebrachten und reichlich verkauften CDs signieren.

Diese Vier sind nicht nur großartige Solisten und Ensemble-Musiker, sondern überaus charmant, sympathisch und herzlich – egal, wie lange die Schlange der CD-Käufer ist. Alle bekommen ihr Autogramm und ein freundliches Wort mit, auf den Weg in die kalte Lübecker Nacht.

Dr. Andreas Ströbl, 11. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Photos: Andreas Ströbl

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