Lübeck überrascht erneut – mit Weinberg und Dvořák!

6. Symphoniekonzert, Weinberg und Dvořák  MUK Lübeck, 24. März 2025

6. Symphoniekonzert Lübeck, Stefan Vladar und Benjamin Schmid (Photo Andreas Ströbl)

Nach dem großen Erfolg der Auschwitz-Oper „Die Passagierin“ am Theater Lübeck ist der Name des Komponisten Mieczysław Weinberg in Norddeutschland endlich auch bei der breiten Zuhörerschaft angekommen. Sein Violinkonzert bestritt den ersten Teil des 6. Symphoniekonzerts in der Lübecker Musik- und Kongresshalle am 24. März 2025 – in meisterhafter Wiedergabe. Und wer glaubt, sich an Dvořáks populärstem Werk, der „Symphonie aus der Neuen Welt“, sattgehört zu haben, wurde aufs angenehmste überrascht.

6. Symphoniekonzert

Mieczysław Weinberg, Konzert für Violine und Orchester g-Moll op. 67

Antonín Dvořák, Symphonie Nr. 9 e-Moll op. 95, „Aus der Neuen Welt“

Stefan Vladar, Dirigent
Benjamin Schmid, Violine
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

Musik- und Kongresshalle, Lübeck, 24. März 2025

von Dr. Andreas Ströbl

Warum hört man dieses Werk nicht öfter?

Tatsächlich war Mieczysław Weinbergs Popularität in der Post-Stalin-Sowjetunion weitaus größer als im Westen, wo man ihn erst seit einigen Jahrzehnten zu schätzen lernt. Weinberg selbst hat in seiner bescheidenen Art nicht viel Aufhebens um seine Person gemacht; er ging völlig in seiner Arbeit auf und kümmerte sich nicht groß um die Wirkung seiner Musik. Das trug vielleicht auch dazu bei, dass er immer ein bisschen im Schatten seines Freundes und Förderers Dmitri Schostakowitsch stand, der seinerseits alles tat, um Weinberg zu unterstützen.

Das Violinkonzert in g-Moll schrieb er 1959, also sechs Jahre nach dem Tod Stalins, der bereits seinen Schwiegervater hatte umbringen und den Komponisten selbst ins Gefängnis werfen lassen. Aus der Todeszelle hatte ihn wiederum Schostakowitsch durch einen Bittbrief befreit und nicht zuletzt auch der Tod des Diktators.

So klingt aus dem ersten Solokonzert Weinbergs zwar eine freiere Musiksprache, aber selbstverständlich ist das kein leichtgewichtiges Werk. Unter der Leitung von GMD Stefan Vladar spielte das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck, Solist an der Violine war Benjamin Schmid; alle überzeugten mit großartigen Leistungen.

Der erste Satz führt in den Spannungsbogen des Konzerts zwischen nervöser Getriebenheit und fast lyrischer In-sich-Gekehrtheit ein. Das Wechselbad aus gequälten, schmerzvollen Passagen, unterstützt durch hartes Schlagwerk, und zauberisch-sanften Abschnitten mit transluziden Celesta-Klängen bestritt der Solist bravourös. Schmid ging ganz in der Wiedergabe auf und schien die emotionale Achterbahn im Inneren mitzuerleben.

Im melancholischen zweiten Satz mischen sich Marsch- und Tanzthemen; mal stapft es im 4/4-Takt, mal zitiert der Komponist Tanzthemen im Walzer-Rhythmus. Das erinnert an Gustav Mahler, aber vor allem auch an Schostakowitsch, dessen Tonsprache ohnehin immer wieder aus der Partitur zu vernehmen ist; es wirkt ein bisschen wie eine Würdigung und klingenden Gruß an den Freund. Wie viele von dessen Werken weiß auch diese Komposition vom Schmerz und der Tiefe einer geschundenen Seele.

Im unmittelbar anschließenden Folgesatz entfaltet sich eine weite Landschaft voller Trauer und Wehmut; Schmid ließ seine Violine schluchzen, quälte das Instrument mitunter. Umso befreiender wirkt die Explosivität und Leidenschaft des Finalsatzes mit krächzenden Flageolett-Tönen der Geige und spöttisch-ironischen Brüchen. Jeglicher Humor in dieser Musik schmeckt immer auch bitter. Vladar überließ ganz bewusst dem Solisten die Bühne, das aufmerksam und sensibel geführte Orchester bildete mit ihm eine harmonische, auch bei raschen Passagen absolut stimmige Einheit.

Das enthusiasmierte Publikum belohnte Schmids vortreffliche Darbietung mit begeistertem Applaus und der Violinist bedankte sich dafür mit zwei Bach-Zugaben, nämlich der Sarabande aus der Partita in h-Moll und einer sehr eigensinnigen Interpretation des Präludiums aus der Partita in E-Dur. Das humorvolle Arrangement spielt mit swingenden Anklängen und intelligenter Ironie, ohne dem Original zu nahe zu treten.

Dvořáks „9.“ – ein alter Hut aus der Neuen Welt?

Zu den Werken, die man oft schon seit der Kindheit kennt, weil sie neben Aufnahmen von Vivaldi, Bach, Mozart, Beethoven und Schubert im elterlichen Plattenschrank standen, gehört mit Sicherheit Dvořáks „Symphonie aus der Neuen Welt“. Aber am 24. März durfte man das erleben, was bereits beim 4. Symphoniekonzert am 16. Dezember bei der 3. Symphonie von Johannes Brahms überraschte (https://klassik-begeistert.de/4-symphoniekonzert-brahms-und-strauss-muk-luebeck16-dezember-2024/): Vladar und die Lübecker spielten diesen vermeintlich alten Hut mit solcher Frische und mitreißendem Tempo, dass der Eindruck entstand, diese überpopuläre Komposition einmal vollständig restauriert erleben zu dürfen.

Wer schnell spielt, muss exakt bleiben, und genau das gelang dem Klangkörper überzeugend, sowohl als Orchester als auch in den solistischen Leistungen; hier sind vor allem Wolfgang Eickmeyer am Englischhorn und Johannes Brüggemann an der Oboe hervorzuheben. Das Blech ertönte sauber und kraftvoll; die Streicher gaben alles, um einen romantisch-schmiegsamen Ton wiederzugeben.

Was aber in erster Linie bestach, war die Herausarbeitung all der volksmusikalischen nordamerikanischen Aspekte und Themen, die der Böhme mit den Klängen seiner Heimat glücklich verheiratete. Dvořák war das Gegenteil von einem Eurozentriker; rassistische und abfällige Sichtweisen auf andere Musikstile lagen ihm nicht nur fern; er stellte das, was er andernorts vorfand, sogar auf die gleiche Stufe wie die Schöpfungen der sogenannten Hochkultur. Achtung – nur scheinbar politische Inkorrektheit und O-Ton Dvořák: „Alle großen Musiker haben Anleihen bei der Musik der einfachen Leute gemacht. Beethovens bezauberndstes Scherzo basiert… auf einer gekonnt bearbeiteten Negermelodie“. Das war ganz bewusst und provokant in Richtung derjenigen gesprochen, die europäische Kultur über alles stellten und durch krude Rassentheorien auch zur Zeit von Dvořáks Aufenthalt in den USA Lynchmorde an Afroamerikanern als Volkssport betrieben.

6. Symphoniekonzert Lübeck, Stefan Vladar und Orchester (Photo Andreas Ströbl)

Man mag sich Florence Price als Jugendliche vorstellen, die diese Symphonie hört und denkt: „Endlich versteht uns mal jemand. Und ich erzähle von hier ab weiter!“ Vielfältige Elemente haben Eingang in die „9.“ gefunden haben: der Ragtime, Spirituals und Melodien derjenigen, die sich als einzige in Amerika als Nicht-Zuwanderer verstehen dürfen, nämlich die Indianer in ihrer ethnischen Vielfalt – all dies stellten Vladar und das Orchester deutlich hörbar heraus. Die Grundidee des Werks, nämlich kulturelle Vielfalt als harmonisches Ganzes zu verstehen, war hier greifbarer denn je, und das begriffen auch alle im Publikum; da wurde nichts zerklatscht, Huster beschränkten sich fast durchweg auf die Pausen zwischen den Sätzen.

Was für ein Elan und Schwung und was für ein Verständnis dieses Werks! Ein großartiger Konzertabend, dessen beide Kompositionen in phantastischer Umsetzung nachhallen.

Dr. Andreas Ströbl, 25. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Frank Martin, Der Zaubertrank Theater Lübeck, 15. März 2025

5. Symphoniekonzert MuK, Lübeck, 10. Februar 2025

4. Symphoniekonzert, Brahms und Strauss MUK, Lübeck,16. Dezember 2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert