BPhil, Herbert Blomstedt, Leif Ove Andsnes © Monika Rittershaus
Nach dem letzten Ton hält Blomstedt seine rechte Hand noch einige Minuten erhoben. Keiner wagt es zu klatschen, ein langes kollektives Ausatmen nach all den Achterbahnfahrten zwischen Himmel und Hölle geht durch den Saal. Fulminantes Ende eines philharmonischen Bruckner-Zyklus’, der ebenso vielversprechend mit der Studiensinfonie und der Nullten unter Christian Thielemann im Frühjahr begonnen hatte. Schade, dass das Bruckner-Jahr nun schon fast vorbei ist. Ich hätte nichts dagegen, wenn der Zyklus gleich noch einmal beginnen würde.
Wolfgang Amadeus Mozart, Konzert für Klavier und Orchester KV 466
Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 9
Berliner Philharmoniker
Leif Ove Andsnes, Klavier
Herbert Blomstedt, musikalische Leitung
Philharmonie Berlin, 19. Dezember 2024
von Kirsten Liese
Es fällt schwer, die unfassbare Energie dieses Künstlers in Worte zu fassen. 97 Jahre (!), also fast ein Jahrhundert alt, ist Herbert Blomstedt und konzertiert nach einer krankheitsbedingten Pause wieder rege.
Das Publikum weiß das zu ermessen, empfängt den Dirigenten in der Berliner Philharmonie schon bei seinem Auftreten mit emphatischem Beifall.
Das Gehen ist dem alten Herrn seit einem Sturz freilich sehr beschwerlich geworden. Leif Ove Andsnes, der Solist, führt ihn herein, nach der Pause hakt sich Blomstedt beim ersten Konzertmeister ein, der ist an diesem Abend Anton Barakhovksy vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.
Der norwegische Pianist spielt Mozarts Klavierkonzert KV 466, das sich schon aufgrund derselben Tonart, d-moll, gut mit Bruckners Neunter verbindet.
Blomstedt gibt der Dramatik in der Einleitung dieses Konzerts Gewicht, ein bisschen mehr Schwere hätte sie für mein Empfinden allerdings durchaus haben dürfen.
Großartiger Solist
Den Klavierpart habe ich indes selten so überwältigend gut gehört wie an diesem Abend, kommt doch bei Leif Ove Andsnes alles zusammen, was es für Mozart bedarf: spielerische Leichtigkeit, Kantabilität, ein sparsamer Einsatz des Pedals und Virtuosität, die nicht zum Selbstzweck wird. Zudem gefällt das sensible Dialogisieren von Andsnes und den Holzbläsern der Berliner Philharmoniker, besonders mit Albrecht Mayer (Oboe) und Matic Kuder (Klarinette). Jeder hört auf jeden, reagiert auf den Kollegen in Klang und Farbe. Und das kein noch so kleines, fein ausziseliertes Motiv untergeht, verdankt sich moderaten Tempi. So geht Mozart!!
Mozarts Konzert erstrahlt in Schlichtheit
Und während zahlreiche andere namhafte Interpreten Mozart oftmals viel zu kraftvoll angehen, tönte Mozart hier endlich einmal nach Mozart, erstrahlte die Musik in all ihrer Schlichtheit, was nicht bedeutet, dass die Dramatik zu kurz gekommen wäre. Aber Andsnes versteht sich eben auch auf das Filigrane und ein entsprechend druckloses Spiel an den Tasten.
Nur eines hätte den grandiosen Gesamteindruck noch toppen können: wenn die Nebenstimmen, allen voran die Bratschen im zweiten Satz, ihre Begleitfiguren leiser gespielt hätten, so dass das Klavier noch stärker hervortreten hätte können.
Ohne Zugabe kam der treffliche Solist freilich nicht davon, mit einem Prélude op. 28/17 von Chopin begab er sich nun ebenso überzeugend in gänzlich andere verträumtere Gefilde.
Minutiöse Feinarbeit an Bruckners Neunter
Mit Bruckners Neunte begann dann die große Stunde von Orchester und Dirigent. Da wirkte bis in kleinste Motive und Übergänge hinein alles minutiös elaboriert.
Schon die ersten Takte im „Feierlich, misterioso“ mit ihrer geringen melodischen Bewegung in den Hörnern, die vom Grundton aus den Dreiklang ausschreiten und wieder zurückkehren, wirken bestens austariert. Und so kleine Details wie die auf das Horn-Solo folgende Achtel und Viertelnote auf einem Ton in der Pauke, oftmals nur schwach oder kaum hörbar, kommt hier sehr bedeutsam und präzise.
Sparsame Zeichen
Blomstedts Zeichen wirken in ihrer Reduktion sehr bestimmt. Sie bleiben auch sparsam, wenn wenige Takte später die erste große Steigerung Fahrt aufnimmt. Seine Unterarme und Hände dienen ihm als Taktstock, auf den er seit langer Zeit verzichtet, mit eng zusammengedrückten Fingern zeigt er an, wie welche Stimmen ineinandergreifen. Und auch die gewünschte tonliche Qualität lässt sich aus kleinsten Bewegungen ableiten, allen voran zu Beginn des Adagios, wenn seine Finger zu der schmerzreichen None in den ersten Violinen leicht beben, was soviel bedeutet wie intensives Vibrato.
Wie intensiv Blomstedt mit den Berlinern an seiner Klangvorstellung gearbeitet hat, zeigt sich in allen drei Sätzen an vielen Details. An den himmlischen, ariosen Seitenthemen vor allem, die in dieser Wiedergabe wunderbar empfindsam und arios tönen. Oder an den Bläserchören, die bei aller majestätischen Brillanz sehr erhaben etwas Weihevolles, Ehrwürdiges ausstrahlen.
Kurze Momente der Stille
Überhaupt prägt diese berührende Wiedergabe die unerschütterliche innere Ruhe, die Blomstedt ausstrahlt, der auf einer Klavierbank Platz genommen hat, nicht auf einem Hochstuhl wie Mehta oder Barenboim.
So lässt er sich etwa auch Zeit zwischen den einzelnen Blöcken, wenn ein dramatischer Gipfelgang oder eine Linie abrupt abbricht. In solchen kurzen Generalpausen gibt Blomstedt der Stille eindrücklich Raum, lässt sich Zeit für den nächsten Einsatz, exponiert damit zugleich das Verstörende, Irritierende eines solchen Moments.
Gut gewählt erscheinen auch die Tempi. Das Scherzo mit seinen prägnanten Fortissimo- Eruptionen nimmt er nicht ganz so langsam wie Celibidache, der mich mit seinem Ideal am meisten überzeugt, aber keineswegs so maschinenhaft überhetzt wie zahlreiche heutige Interpreten, bei denen die Musik so schnell herunter rattert, dass dem Ohr vieles an Feinheiten entgeht.
Wie es der alte Mann schafft, an den Fortissimo-Stellen mit seinen puren Händen eine solche Wucht zu entfalten, ist bemerkenswert, spürbar durchlebt er die Musik mit dieser Kraft. Und da, wo sie sich wieder in sanftere, trostreichere Regionen begibt, wird es unwillkürlich leiser im Saal.
Magisches Adagio
Vor allem zum Ende hin im Adagio, wenn die Violinen magisch wie vom Himmel herabschweben, als öffneten sich nach tiefster Resignation die Himmelspforten.
Zu den grandiosen Holzbläsern haben sich an diesem Abend noch einige Musiker aus anderen Orchestern gesellt. Am meisten beschäftigt ist Yubeen Kim, Soloflötist beim San Francisco Symphony, der mehrfach mit Linien von lyrischer Schönheit aufhorchen lässt.
Nach dem letzten Ton hält Blomstedt seine rechte Hand noch einige Minuten erhoben. Keiner wagt es zu klatschen, ein langes kollektives Ausatmen nach all den Achterbahnfahrten zwischen Himmel und Hölle geht durch den Saal. Fulminantes Ende eines philharmonischen Bruckner-Zyklus’, der ebenso vielversprechend mit der Studiensinfonie und der Nullten unter Christian Thielemann im Frühjahr begonnen hatte. Schade, dass das Bruckner-Jahr nun schon fast vorbei ist. Ich hätte nichts dagegen, wenn der Zyklus gleich noch einmal beginnen würde.
Kirsten Liese, 21. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at