7. Symphoniekonzert HL Schluss applaus, Photo Julia Pabst
„Ich fürchtete, daß dieses Stück nur eine instrumentale Kuriosität bleiben würde“, schrieb Frank Martin 1950 über seine vier Jahre zuvor uraufgeführte „Petite Symphonie Concertante“, und arbeitete die Besetzung zeitweilig komplett um. Unnötig, wie sich herausstellen sollte, denn die Komposition schlägt die Zuhörer sofort in ihren Bann – wenn sie so dargeboten wird, wie in Lübeck. Und wer meinte, Schuberts „Große C-Dur“ schon oft genug gehört zu haben, wurde aufs Freudigste eines Besseren belehrt.
7. Symphoniekonzert
Frank Martin, „Petite Symphonie Concertante“ für Harfe, Cembalo, Klavier und zwei Streichorchester
Franz Schubert, Symphonie C-Dur D 944
Stefan Vladar, Dirigent
Johanna Jung, Harfe
Alexandra Nepomnyashchaya, Cembalo
Youngho Park, Klavier
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Musik- und Kongresshalle, Lübeck, 13. April 2025
von Dr. Andreas Ströbl
Auch beim 7. Symphoniekonzert in der Lübecker Musik- und Kongresshalle am 13. April 2025 war ein Stück des Schweizer Komponisten Frank Martin zu hören, dessen 50. Todestag im Vorjahr begangen und entsprechend gewürdigt wurde. Nach seiner „Tristan“-Bearbeitung, „Der Zaubertrank“, die am 15. März im Theater Lübeck bejubelte Premiere feierte, gab es nun eine kleine Symphonie von ihm mit absolut ungewöhnlicher Besetzung.
Instrumentale Barock-Rezeption und faszinierende Klangbilder
Martin setzt die Solo-Instrumente Cembalo, Harfe und Klavier nicht als Begleit- oder „Basso continuo“-Instrumente ein, sondern gibt ihnen genügend Raum zu eigenständiger Entfaltung und vor allem reizvollen solistischen Interaktionen. Klanglich erinnert das Stück kaum an den Barock; die Cembalo-Töne wirken eher wie eine neobarocke Anleihe, vergleichbar der Musik der 70er Jahre, in denen dies Instrument oft, wie auch die Querflöte, mit ironischem Augenzwinkern zu hören war.
Martins typisches Aufbrechen der Dodekaphonik und das Spiel mit Dur und Moll-Polaritäten prägen auch dieses Werk, das ihm internationale Anerkennung verschaffte. Die Entstehung im Kriegsjahr 1944 hört man dem ersten Teil noch an; die düster-resignative Grundstimmung erinnert ein bisschen an Bartóks „Divertimento für Streichorchester“, auch in der reduktiven Melodik besteht hier eine Verwandtschaft.

Faszinierend ist es, wie Alexandra Nepomnyashchaya am Cembalo und Johanna Jung an der Harfe goldene Lichtpunkte, ja klingende Sternchen auf den dunkelgrauen Hintergrund zeichnen; Youngho Park am Klavier bringt eine geschmeidige Eleganz hinzu. Die Erste Geige von Carlos Johnson erhebt sich in lyrisch-leichtem Steigflug und der Ton wird hoffnungsvoller, weiß aber noch vom Schmerz.

Im weiteren Verlauf obsiegt der Optimismus, die lichtvollen Elemente kämpfen sich immer klarer heraus, ein Streicher-Unisono wirkt dringlich-fordernd. Cembalo und Harfe schaffen einen spannungsreichen Dialog in geradezu archaischer Einfachheit mit mystisch-geheimnisvoller Stimmung; auch hier entführt dann das Klavier in elegisch-hoffnungsvolle Tongefilde. Tempo und Dynamik steigern sich, ebenso die innere Haltung, die straffer und aufrechter wird; Arpeggien von Harfe und Klavier zaubern wuchtige Effekte, und so erhebt sich das Ganze dann wie ein Phönix aus dem Kriegsschutt.

Die herausragenden solistischen Leistungen prägen dieses Stück, aber das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck unter GMD Stefan Vladar bietet den dreien ein absolut ausgereiftes Klangbett; das ist ja alles andere als ein leicht zu spielendes Stück. Für alle Mitwirkenden, aber vor allem die drei Solisten, gibt es schon vor der Pause die ersten Bravo-Rufe.
So hat man die „Große C-Dur“ selten gehört!
Kenner des Lübecker Orchesters und seines Dirigenten ahnten es schon vor dem Konzert: Das würde keine der üblichen Interpretationen mit Karajan-Tempo und passendem Pathos werden. Dahingehend gibt es ja mehr als genügend Einspielungen dieser Symphonie, von der Peter Härtling in seinem Schubert-Roman meinte, dass die zeitgenössischen Musiker sich vor ihrer „musikalischen Landschaft [gefürchtet hätten, vor] ihrer Weite, ihrem Himmel, ihrem Frost“.
Frostig spielen die Hanseaten das Werk überhaupt nicht, sondern frühlingshaft frisch. Das Tempo ist vom ersten Ton an mitreißend, fast rasant, und glücklicherweise spielt das tragende Blech völlig sicher und stark, freudig und markig unterstützt vom Schlagwerk. Der erste Satz ist sicher selten so forsch und zupackend gespielt worden – Vladar zeigt dementsprechend vollen, begeisterten und begeisternden Einsatz.

Das anmutige Eingangsthema des Folgesatzes gehört sicher zu Schuberts bezauberndsten Erfindungen, und ganz typisch ist das, von Vladar in der Einführung erwähnte, „Tänzchen mit Tränchen“, ein genuin wienerisches Element, in dem gerade im Marschrhythmus dieser Passagen ebensoviel Lebensfreude wie Schmerz steckt. Schubert kann eben nicht fröhlich sein, ohne dabei auch leise zu weinen. Kleine und große Form treffen hier aufeinander und verbinden sich, Tanz und Lied werden zur sich aufbäumenden Symphonik weiterentwickelt. Aber auch die sanften Aspekte würdigen die Lübecker, denn nach einer sehr deutlichen Fermate kosten die Streicher im Pizzicato die Feinheiten aus; Piano-Stellen würdigt Vladar sehr deutlich, bei aller Rasanz des Gesamtduktus.
Selbstbewusst und mit großem Auftritt, aber ohne zu protzen, kommt das Scherzo daher. Kleine Ausflüge in die Leichtfüßigkeit verraten die wienerisch-tänzerische, ja volksmusikalische Herkunft, aber gleich fasst sich die Gangart wieder zu straffer Präsenz, marschiert feierlich-aufgeräumt voran und verspricht, was der Finalsatz einlöst.
Der beginnt fanfarenartig, als hätte sich der pummelige, stämmige Komponist, den seine Freunde „Schwammerl“ nannten, ein musikalisches Gegengewicht entworfen, von majestätischer Größe und selbstsicherer Monumentalität. Das bekannte Beethoven-Zitat darf als Verneigung vor dem Idol verstanden werden, aber hier befinden sich die beiden doch auf Augenhöhe.
Nach dem Verhallen der letzten Klänge setzen gleich begeisterter Applaus und Bravo-Rufe ein. Diese „Große C-Dur“ hat wirklich Größe!
Dr. Andreas Ströbl, 13. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
6. Symphoniekonzert, Weinberg und Dvořák MUK Lübeck, 24. März 2025
4. Symphoniekonzert, Brahms und Strauss MUK, Lübeck,16. Dezember 2024