6 aus 45 heißt es im österreichischen Lotto. Die Wiener Staatsoper bietet in dieser Saison ebenfalls zufällig 45 verschiedene Opern. Wir haben uns für ein Viertel des Opernangebots interessiert. Beim Lotto verbanden wir die vorgeschrieben sechs Zahlen mit persönlichen Lebensdaten, auch mit Mehrfachem der Lieblingszahl Neun. Nicht bedacht hatten wir, dass wir dadurch gezwungen sind lebenslang weiter zu spielen. Und was waren die Beweggründe in dieser Spielzeit gerade diese elf Opern zu wählen?
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Von unsrer eindrucksvollsten Konstanze Lisette Oropesa erhofften wir eine „Befreiung“ von Ileana Cotrubaş, dem Violetta-Idol aus den Siebzigerjahren. Aber der wunderschöne, edle Klang ihrer Stimme war für diese „vom Wege Abgekommene“ zu mädchenhaft.

Am Ende eines langen und erfahrungsreichen Studiums äußerte der Professor beim letzten Colloquium vor dem Abschlussrigorosum: „Meine Herren, Sie denken zu kompliziert.“ Mit diesem Vorwurf wollten wir die neue Così fan tutte – Inszenierung in einer Rezension abschließen. Aber es kam aus Krankheitsgründen nicht dazu.
Ganz im Gegenteil verließen wir uns bei „Le nozze di Figaro“ auf die guten Kritiken und wollten diese Oper und ihre vielversprechende Besetzung einfach genießen.
„Billy Budd“ sollte eine Wiederbegegnung mit Benjamin Britten bringen, der uns jahrzehntelang mit seinen Werken begleitet.
Die „Manon“ von Jules Massenet ziehen wir Puccinis „Manon Lescaut“ vor, weil sie dem Roman von Abbé Prévost näher kommt. In der italienischen Version vermissen wir viel Autobiografisches. Es tat uns weh, auch diesen Besuch absagen zu müssen.
Nach einem näheren Befassen mit dem Text und nach unsrer „Klassikwelt“ Niklaus ist eine interessante Figur aus Hoffmanns Erzählungen war es uns ein Bedürfnis, diese fantastische Oper wieder live zu erleben.
Den zweiteiligen Abend „Cavalleria rusticana“/„Pagliacci“ wählen wir vor allem wegen des Melodramas von Pietro Mascagni.
Wir geben zu, dass uns diesmal bei der von uns meistgesehenen Oper „Ariadne auf Naxos“ das Debüt der Netrebko besonders anzog. Aber die Skepsis eines tatsächlichen Auftritts war von Haus aus gegeben. Die norwegische Sopranistin Lise Davidsen war jedenfalls eine würdige Einspringerin, die an die Seite ihrer großen Vorgängerinnen trat. Nach der Bekanntgabe des Ausfalls der Netrebko rieten wir einer Freundin ihre Karte nicht weiterzugeben, denn diese Oper bietet viele interessante Partien, auch wenn sie teils nur Rollen mittleren Umfangs sind.

Als erklärte Massenet-Fans wollten wir die Gelegenheit nutzen mit „Werther“ eine zweite Oper dieses Komponisten zu genießen. Wir haben dieses Mal erkannt, dass diese Oper den sicher weniger populären Roman am Leben erhält.
Erst gegen Ende der Spielzeit 2024/2025 werden wir Premieren dieser Saison besuchen. Auf Verdis „Don Carlo“ verzichteten wir, die Konwitschny-Inszenierung der französischen Fassung „Don Carlos“ ist uns noch zu sehr in beeindruckender Erinnerung. György Kurtags „Fin de partie“ widerspricht unsrer positiven Weltanschauung. Bei der „Zauberflöte“ stört uns teilweise der Text: „Ein Mann muss das Herz einer Frau leiten, sonst fällt sie aus ihrem Wirkungskreis.“ Und ein vorgeblicher Naturbursche fängt Singvögel und sperrt sie in einen Käfig.
Unsere erste Premiere dieser Spielzeit war Bellinis „Norma“. Es ist erst die vierte Begegnung. Die erste war im Jahr 1973 im berühmten historischen und an dem Abend gesellschaftlich elitären Teatro San Carlo in Neapel. Vierzig Jahre später versuchte das Regiepaar Moshe Leiser und Patrice Caurier zu den Salzburger Pfingstfestspielen die Oper uns näher zu bringen. Der Ort Frankreich bleibt, aber die Geschichte spielt während der Vichy-Regierung. Der sagenhafte Wald wird zum großstädtischen Unterschlupf des Widerstands. Seit Entstehung der Oper hat sich der Instrumentenbau weiter entwickelt. Die Orchesterbegleitung wurde breiter und lauter. Mit dem Barockorchester La Scintilla und Cecilia Bartoli in der Titelrolle musste die Gottesdienerin nicht mehr zur hochdramatischen, selbst göttlichen Diva hinaufstilisiert werden.

In den Jahren dazwischen erlebten wir eine „Norma“ auch in der Wiener Volksoper, bei der wir auf unsere Freundin Silvana Dussmann in der Titelrolle fokussiert waren. Gespannt warteten wir darauf, wie Federica Lombardi die Norma gestalten wird. Wir kennen sie als Donna Elvira mit dunklen Seiten ihres Soprans. Wir wurden nicht enttäuscht. Die Inszenierung von Cyril Teste gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Valérie Grall und der Kostümbildnerin Marie la Rocca vermeiden eine Festlegung auf eine geschichtliche Zeit. Hingegen bleibt trotz oder wegen Zuhilfenahme moderner Regiemittel der sagenhafte Wald mit seiner Mystik erhalten. Man kann die Religiosität mitfühlen, wenn die Mondgöttin als Friedensbotin mit ihrem Licht aus den Wolken hervorbricht.
Seit einem Besuch im Bolschoi-Theater Moskau ist „Iolanta“ unsere liebste Oper von Tschaikowski. Wir sind, um Tschaikowskis letzte Oper wieder zu erleben, der „Iolanta“ an verschiedene Orte nachgereist. Das Metaphysische in der einaktigen Oper wird in den Inszenierungen gern verdrängt. So wurde einmal anstelle des finale lieto mit dem Gotteslob die kriegerische Auseinandersetzung der zweiten, nach der Pause folgenden Oper „Francesca da Rimini“ in den Schluss der „Iolanta“ vorgezogen. Wir sind auf die Neuinszenierung gespannt. Knapp vor Redaktionsschluss: Sonya Yoncheva war eine märchenhafte Iolanta. Wir sind nach diesem Abend interessiert, sie als Rusalka zu hören. Aber auch sie sieht gemeinsam mit dem Regisseur Evgeny Titov nicht unbedingt ein glücklich machendes Finale. Bei den zwei von uns besuchten konzertanten Aufführungen blieb die Texttreue erhalten.
Richard Wagners „Tannhäuser“ als letzte Premiere dieser Saison bringt für die Sängerinnen und Sänger herausfordernde, aber schöne Musik und ist auch problematisch zu inszenieren. Denn es ist ein deutsches Phänomen Erotik und Ethik gern auseinander zu dividieren.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 15. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Schweitzers Klassikwelt 134: Unsere jungen Ensemblemitglieder klassik-begeistert.de, 1. April 2025
Schweitzers Klassikwelt 132: Die nahezu unendliche Zahl an Opern klassik-begeistert.de, 4. März 2025