Kent Nagano © Antoine Saito
Anfang 2017 hat Kent Nagano dem Herausgeber von Klassik-begeistert ein wunderbares Interview gegeben. In dem Gespräch ging es auch darum, was die Zukunft bringt. Jetzt, nach dem Ende von Maestro Naganos Hamburger Zeit, haben wir in geänderter Besetzung zurückgeblickt. Und zwar ausgehend von den seinerzeitigen Antworten. Naganos spanische Zukunft bleibt Teil 3 vorbehalten.
Jörn Schmidt im Gespräch mit Kent Nagano, Teil I
klassik-begeistert: Dunkel und gleichzeitig hell klinge das Philharmonische Staatsorchester Hamburg, haben Sie Andreas Schmidt Anfang 2017 in den Block diktiert. Dunkelblau oder Erdfarben, vielleicht auch ein ganz dunkles Braun. Hat sich daran etwas geändert?
Kent Nagano: Mein Klangideal ist existentialistisch geprägt. Der Sound eines Orchesters soll sich frei entwickeln und dabei seine Heimat reflektieren. Im Falle des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg sind das für mich die einzigartige Natur, die Elbe, das Meer, aber auch die Architektur und Kulturgeschichte der Hansestadt. Das haben wir weiter verfeinert, die Schattierungen haben ein größeres Spektrum von dunkel und hell, Schatten und Transparenz, Dichte und Textur, warm und kalt.
klassik-begeistert: Hat der Umzug von der Laeiszhalle in die Elbphilharmonie den Klang beeinflusst?

Kent Nagano: Die akustischen Eigenschaften und das Ambiente der Elbphilharmonie haben es uns ermöglicht, das Potenzial des Orchesters noch mehr zu entfalten. So wie auch hochwertige Musikinstrumente einen Unterscheid machen…
klassik-begeistert: Ist die Laeiszhalle kein erstklassiger Konzertsaal?
Kent Nagano: Ein Besser oder Schlechter verbietet sich hier. Indes war es in der Laeiszhalle eine Herausforderung, Teilen des Repertoires vollständig gerecht zu werden. Gerade mit Blick auf den künstlerischen Ausdruck. Weil sich das europäische Musikrepertoire seit dem Bau der Laeiszhalle immens weiterentwickelt hat. Während eben diese Werke in der Elbphilharmonie viel natürlicher klingen.
klassik-begeistert: Und umgekehrt, haben Sie die Elbphilharmonie ein Stück weit geprägt?
Kent Nagano: Man sagt ja, dass ein neuer Konzertsaal oder ein neues Opernhaus von den festen Künstlern, seinem Orchester, seinem Chor, seinem Ensemble und den Komponisten, die für das Haus komponieren oder geschrieben haben, geprägt werde. Man sollte aber nicht den Einfluss der vielen Gastkünstler unterschätzen. In diesem Sinne haben das Orchester, sein Chor und die Ensembles zusammen mit der Elbphilharmonie eine florierende Entwicklung erlebt.
klassik-begeistert: Klingt so, als ob Sie auch den geplanten Neubau des Hamburger Opernhauses begrüßen?
Kent Nagano: Ja, auch aus gesellschaftlichen Gründen. Ein Opernhaus ist ein Treffpunkt, der identitätsstiftend ist. Wo gemeinsame Werte geteilt werden. Im Idealfalle wird diese Atmosphäre vom Opernhaus in die Stadt getragen. Mit seiner Strahlkraft wird ein großartiges Gebäude in der Hafencity diesen Effekt verstärken.
klassik-begeistert: Qualität, Offenheit und Kompromisslosigkeit! So hatten Sie 2017 Ihr Konzept gelungener Musikvermittlung an junge Menschen definiert. Braucht die Formel ein Update?
Kent Nagano: NEIN, weil Anthropologie und Humanismus universell sind, von allem die Grundlage sein sollten. Würde man das zugunsten von Trends und Moden aufgeben, sind die Erfolge allenfalls von kurzfristiger Dauer. So wie die Mode kurze Zyklen hat. Die Meisterwerke indes, die wir jeden Abend immer wieder neu entstehen lassen, die kennen keine Endlichkeit. JA, meine symphonischen Programme setze ich so auf, dass sie alle Generationen erreichen. Das erfordert hier und da Anpassungen, nur so können wir die Konzertsäle weiterhin beständig füllen.
klassik-begeistert: Sie kamen über Ihre Mutter zum Klavier. Wer kein Glück hat, ein musikalisches Elternhaus zu haben – müsste da nicht die Schule verstärkt eingreifen? Momentan gehen die Lehrpläne in eine andere Richtung…

Kent Nagano: Viel wichtiger als das Klavier war vielleicht, dass meine Mutter den Wert einer umfassenden, nicht ausschließlich musikalischen Bildung erkannte… Wir sprechen ja gerade über Humanismus… und mich einem außergewöhnlichen Professor vorstellte, der meine musikalische Entwicklung, aber auch meinen Bildungsweg die nächsten sechs Jahrzehnte tief inspiriert hat.
klassik-begeistert: Hat dieser Ansatz auch MUSIQUE AUX ENFANTS in Montreal und das erst kürzlich eröffnete HAMBURGER KONSERVATORIUM beeinflusst?

Kent Nagano: Ohne Zweifel. Zumal Neurologen wissenschaftlich nachgewiesen haben, dass Bildung essentiell für die Persönlichkeitsentwicklung ist. Wie auch die Gesamtheit unseres technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt ohne Bildung kaum vorstellbar ist… Beide Zentren bieten Musikunterricht der breiten Öffentlichkeit, Musikunterricht für Kinder ab vier Jahren an.
klassik-begeistert: Ihre Tochter hat sich mit vier Jahren Hals über Kopf in Parsifal verliebt, es reichte ein Probenbesuch bei Ihnen. Was ist aktuell Karins Lieblingsoper?

Kent Nagano: Parsifal ist immer noch ein Favorit… aber Karin Kei ist jetzt in einem Alter, da hat man dann noch andere Favoriten.
klassik-begeistert: Welche Uraufführungen, die Sie in Hamburg verantwortet haben, haben den Sprung ins Repertoire an anderen Häusern geschafft?
Kent Nagano: Toshio Hosokawa, Stilles Meer. George Benjamin, Lessons in Love and Violence. Peter Eötvös, Senza sangue. Peter Ruzicka, BENJAMIN. Salvatore Sciarrino, Venere e Adone. Zur Eröffnung der Elbphilharmonie Jörg Widmann, Arche. Ebenfalls von Widmann: Cantata in tempore belli. Außerdem Helen Grime, River. Vladimir Tarnopolski, Im Dunkel vor der Dämmerung. Alex Nantes, Anāhata. Vielleicht auch Camille Pépin, Ce que raconte le vent. Sicher auch Unsuk Chin, Die dunkle Seite des Mondes. Auch wenn es das noch abzuwarten gilt.
klassik-begeistert: Die Uraufführung von Unsuk Chins Oper Die dunkle Seite des Mondes wurde von den Hamburger Kritikern nicht nur positiv aufgenommen. Es wurden gar Kürzungen angeraten. Bei Bruckner hat das funktioniert, nach journalistischen Verrissen hat der Komponist seine Partituren zuweilen überarbeitet. Unsuk Chin bleibt hoffentlich standfest?
Kent Nagano: Das weiß nur Unsuk…Wenn Sie mich fragen, für Änderungen wäre es viel zu früh. Mir fallen aus dem Stand unzählige Beispiele unserer Musikgeschichte ein, wo Kompositionen aufgrund ihrer Progressivität erst mit der Zeit als Meisterwerke erkannt wurden. Beethoven, Schubert, Berlioz, Bruckner, Wagner, Bizet, Messiaen. Um nur einige zu nennen…
klassik-begeistert: Wie lange wird dieser Prozess bei Unsuk Chin dauern?
Kent Nagano: Unsuk ist bereits jetzt eine anerkannte, führende Komponistin mit vielen erfolgreichen Premieren. Trotz ihrer progressiven Werke.
klassik-begeistert: Worin fußt dieser Erfolg?
Kent Nagano: Wichtig ist, standhaft zu bleiben. Nicht auf den schnellen Erfolg zu schielen, sondern seine künstlerischen Ideen weiterentwickeln. Bereits jetzt wird Unsuk bei Syntax und Semantik eine ganz eigene musikalischen Sprache attestiert. So schafft sie Momente einzigartiger Lyrik und dramatischer Klangfülle, die viele Menschen bewegen.
klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Jörn Schmidt, 8. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Teil 2/3 unseres Interviews mit Kent Nagano lesen Sie Dienstag, 9. September 2025 hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at.
Auf den Punkt 63: Kent Naganos Abschied Hamburgische Staatsoper, 10. Juni 2025