Mahlerfestival 2025 © mahler-steinbach.at
„Das Licht leuchtet in der Finsternis“ – Das 9. Gustav Mahler Festival 2025 beglückt in Steinbach am Attersee
von Irene Heidemann
Mit dem Titel „Zwischen Verzweiflung und Hoffnung“ diskutierten am 20. Juni unter der Leitung von Dr. Christine Haiden, Journalistin und Autorin, die Bestatterin Julia Dobretsberger, Morten Solvik und MMMag. Hubert Nitsch, Theologe und Kunstwissenschaftler.
Die Frage „Was macht der Tod mit denen, die zurückbleiben und wie kann der Verlust verkraftet werden?“ stand dabei im Mittelpunkt. Frei nach Mascha Kaleko, „den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der anderen muß man leben“, berichteten die Beteiligten aus ihrer Erfahrung vom Umgang mit Trauernden, die hilfreichen Segnungen der Kunst und Mahlers eigene Bewältigung seiner Schicksalsschläge.
Bei aller Individualität der betreffenden Personen kam doch immer wieder die Bedeutung von vielfach, teilweise seit Jahrhunderten genutzten Ritualen zur Sprache. Mehrfach eingeforderte Neuerung und Abkehr vom Herkömmlichen fanden jedoch nur bedingt Zustimmung, wie die Beiträge des Publikums zeigten. Letztlich muss doch jeder seinen eigenen Weg finden. Die Möglichkeiten, gerade im Bereich der Bestattungen, sind heutzutage vielfältig und lassen Raum für persönliche Wünsche, die bei der Überwindung von Trauer und Verlust ebenso helfen wie Kunst und vor allem Musik.

Der Abend brachte wieder ein ganz besonderes Konzert, diesmal mit dem Orchestra for the Earth, ein Kammerorchester unter der Leitung von John Warner. Es begann mit dem ruhigen, eher mystischen Stück „Shadows of Stillness“ von Nina Senk. Robert Schumanns „Sechs Gedichte und Requiem“ folgten, gesungen von der Mezzosopranistin Gloria Mojica. Sie gestaltete die Stücke mit leuchtender Stimme und den Inhalten der Lieder angemessenem Ausdruck, höchst sensibel vom Orchester begleitet. Für die kurzfristig eingesprungene Sängerin war hierbei der Notenständer samt Noten ein wichtiger Begleiter und ihre zurückhaltende Zuwendung zum Publikum entschuldbar.

Nach der Pause erklang die 4. Symphonie von Gustav Mahler in der Bearbeitung von John Warner. Mit der 9. ist sie wohl das einzige symphonische Werk Mahlers, das sich für diese Besetzung eignet, abgesehen vom „Lied von der Erde“. Mahler selbst hatte seine Partitur mehrfach geändert, immer wieder die Besetzung zugunsten der Transparenz und Durchhörbarkeit reduziert. Vordergründig spielt die Symphonie mit Naivität und Kindlichkeit, verschweigt aber nicht die ständige unterschwellige Ahnung der nahenden Katastrophe, wenn im 2. Satz Freund Hein mit seiner höhergestimmten Geige zum Totentanz bittet. Dann aber tut sich im 3. Satz der Himmel auf, und im 4. Satz leuchtet das himmlische, eigentlich sehr irdische Leben, „Daß alles für Freuden erwacht“. Hierfür verwandte Mahler das Gedicht „Der Himmel hängt voller Geigen“ aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“, deren Texte er so sehr liebte und mehrfach vertonte.

Dem geschmeidig-eleganten Dirigat von John Warner folgten die 12 Musiker durchweg in hoher solistischer Qualität und mit sichtbarer Spielfreude. Die Dynamik war bestens abgestimmt, jedes Instrument hörbar. Warner gelang es dabei, viele Feinheiten hervorzuheben, ein großes Orchester wurde absolut nicht vermisst. Dem ein oder anderen Puristen mochte es dennoch bei der Öffnung der Himmelstüre im 3. Satz an orchestraler Opulenz fehlen, aber die Pauke gab alles und stieß kraftvoll das Tor zu den himmlischen Freuden auf. Und dann kam noch einmal Gloria Mojica. Der vierte Satz schien für ihre Stimme geschrieben zu sein; sie sang so jubelnd und strahlend, dass man die Engelein beim Tanzen, Singen und Brotbacken fast sehen konnte. Ein prachtvoller Abschluss eines glücklich machenden Konzerts mit einem Ensemble, das zurecht, inklusive Dirigenten und Solistin, mit begeistertem Beifall gefeiert wurde.
Gustav Mahler liebte die Natur und beklagte jede Form ihrer Misshandlung und Ausbeutung, das Wissen darum quälte ihn. Ein Spaziergang in seiner geliebten Landschaft am Attersee unter dem Titel „Die Natur und der Tod“ eröffnete daher den Festival-Samstag. Das abendliche Konzert trug den trefflichen Titel „Das unschuldige Opfer“. Am Flügel begleitet von Deirdre Brenner sangen Idunnu Münch, Mezzosopran, und der ganz kurzfristig eingesprungene Jeeyoung Lim, Bariton, Lieder von Schubert und Mahler.
Den ersten Teil eröffnete Schuberts „Tod und das Mädchen“, das die beiden Solisten im Duett sangen. Die Kindertotenlieder, vorgetragen von Idunnu Münch, folgten. Aus den vertonten Gedichten Friedrich Rückerts schreit nicht die Klage über das Sterben der Kinder, sondern der verzweifelt-trotzige Versuch, mit dem Unfassbaren umzugehen, den furchtbaren Verlust zu verkraften und in der Hoffnung auf ein Wiedersehen in einer anderen Welt weiterzuleben. Wie oft werden diese fünf Lieder weinerlich, klagend interpretiert. Nicht so von Idunnu Münch. Sie begegnete dem furchtbaren Schicksalsschlag mit Mut, Widerstand und einer festen Hoffnung, die Kraft für diese Zeit gibt. Die leicht dunkle, ein wenig herbe Farbe ihrer weichen und runden Stimme ist für diese Interpretation ideal, leicht gelingen die Höhen, satt die Tiefen. Beeindruckend war dabei auch ihr Mienenspiel, sie durchlebte den Text, ließ sich aber von der Erschütterung nicht brechen, blieb aufrecht und voller Zuversicht – wie außerordentlich klug ist das.

Nach der Pause gestalten die beiden Solisten zunächst gemeinsam das kurze Schubert-Lied „Der Jüngling und der Tod“, dann widmete sich Jeeyoung Lim den fünf Soldatenliedern aus „Des Knaben Wunderhorn“. Er tat das mit einer kraftvoll-geschmeidigen Stimme, die sich voll viriler Jungendlichkeit und Trotz dem Schicksal entgegenstellte. Hier ist kein Platz für Heldentum und Kriegsherrlichkeit, hier steht ein junger Mann, lebenshungrig, liebeshungrig, hoffnungsvoll das Leben erwartend, mit dem man mitleidet und den man erschüttert in die Schlacht ziehen sieht. Er wird nicht lebend zurückkommen und weit vor der Zeit vom Tod geholt werden. Was für eine starke Interpretation auch von Jeeyoung Lim, voller Verzweiflung, genau sein Schicksal kennend und sich doch bis zum letzten Moment wehrend.
Herausragend war bei beiden Sängern die Textverständlichkeit, die Modulation der Worte und das absolute Verständnis des Wortsinns. Ihr jugendlicher Elan ermöglichte einen anderen, neuen Blick auf beide Liedzyklen. Überragend genannt werden muss auch die Begleitung von Deirdre Brenner. Kraftvoll zupackend bei den harten Rhythmen, sensibel und fein unterstützend die hochemotionalen Ausbrüche, durchlebte sie alle Gefühlszustände mit. Dabei war sie immer eine gleichwertige Partnerin, spielte sich nie in den Vordergrund, überdeckte die Stimmen nicht. Mit großer Begeisterung feierte das Auditorium die sympathischen Künstler.
Zum Abschluss des Mahler-Festivals 2025 fand sich das Publikum dann am Sonntagvormittag zum Matineekonzert mit dem Titel „Der Tod, des muass a Weaner sein“, zu dem das Ensemble Divinerinnen geladen hatte, ein. Die sieben jungen Frauen, allesamt hochqualifizierte Musikerinnen aus Wien, spielen nebenbei auch noch in den unterschiedlichsten Ensembles.

Gemeinsam haben sie mit ihrer CD „Divinerisch!“ gerade zu Recht den Preis der Deutschen Schallplattenkritik bekommen. Ihre Spezialität in dieser Formation ist die Schrammelmusik, alte Wiener Lieder, Fritz Kreisler, aber auch der Transfer dieser Musikform ins 21. Jahrhundert. Den ersten Teil spielten die Musikerinnen komplett auswendig, die Stücke wurden jeweils angekündigt und sehr persönlich kommentiert von Theresa Aranya Aigner (Violine und Gesang) sowie Erna Ströbitzer (Kontragitarre und Gesang). Wunderbar gute Laune machten z.B. die „Linzer Tänze“, „Hausball bei Březina“, „Heute is ausg’steckt für Soda mit ohne“ oder auch Fritz Kreislers „Kleiner Wiener Marsch“. Es wurde einem fast schwindelig bei der Virtuosität aller Künstlerinnen – was für ein unglaublich hohes Niveau und mit welch unfassbarer Leichtigkeit vorgetragen!
Nach der Pause wurde es dann etwas „mahlerischer“. Die Welturaufführung des für Ensemble und Festival geschriebenen Stückes „Plattgewalzt. Eine Mahlerei“ von Tscho Theissing zauberte vielen Zuhörern beim Erkennen einzelner Motive ein Lächeln ins Gesicht, man wiegte sich im Walzertakt und bejubelte anschließend Komponist und Musikerinnen. Großartig, dem Gustav hätte es sehr gefallen! Zu Tränen rührte dann Christian Heitlers Arrangement von „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, zart und hingebungsvoll gespielt. Der Beifall wollte kein Ende nehmen und ganz zum Motto des Festivals passend schlossen Konzert und Mahlerfest 2025 mit „Wenn i amal stirb!“ mit der letzten Zeile „Der Geist war, meiner Seel, allweil fidel!“
Fidel, beseelt und beglückt verabschiedete sich die Steinbacher Mahlerfestivalfamilie voneinander bis zum nächsten Jahr. Dann feiert das Festival seinen 10. Geburtstag und das Brucknerorchester Linz führt die vor 130 Jahren am Attersee komponierte 3. Symphonie auf. Das steht schon fest; viele andere Konzerte, Vorträge und Veranstaltungen werden die Besucher wieder, diesmal für eine Woche geplant, begeistern. Was für ein wunderbares Fest – hinfahren, genießen, unbedingt!!!

Ach, eins noch: Nach so vielen zerklatschten Symphonien und durch Herumlaufen, Handyklingeln und sonstigen Geräuschen gestörten Konzerten war es nicht nur Balsam für die Seele; es war als Teil des Festivalerlebnisses allerhöchster Genuss, während der Musik und zwischen den Liedern bzw. Sätzen nicht einen Mucks zu hören, nicht einmal die berühmte Stecknadel. Absolute Stille, höchste Konzentration zeichnete das Publikum in jedem Konzert aus. Das war für alle, Hörer und Künstler einfach nur großartig, Chapeau!
Irene Heidemann, 4. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
P.S. Herzlichen Dank an Viktoria Hofauer für die Freigabe der wunderbaren Bilder!
9. Gustav Mahler Festival 2025 Steinbach am Attersee, 18. bis 22. Juni 2025