Kaufmanns Otello: Eine erstklassige Einspielung – Irrsinn kann nicht verlangt werden!

CD-Rezension: Otello, Jonas Kaufmann  klassik-begeistert.de
Ulrich Poser rezensiert die Neueinspielung von Verdis vorletztem Geniestreich Otello mit den Protagonisten Jonas Kaufmann, Federica Lombardi und Carlos Álvarez

Foto: Jonas Kaufmann, Sony Classical (c)

Die reale Welt ist derzeit auch coronabedingt aus den Fugen geraten. Die Opernhäuser spüren dies in besonderem Maße. Keine Zuschauer bedeuten keine Eintrittseinnahmen. Das ist zum Weinen traurig. Wer weint,  braucht ein Taschentuch. Das Taschentuch (italienisch: fazzoletto) ist der zentrale Gegenstand im Otello: Das Mittel Jagos, seine böse List in die Tat umzusetzen.

Auch dem Rezensenten kommen öfters die Tränen. Nicht nur wegen des coronabedingten Totalausfalls der geliebten Opernvorstellungen, sondern auch, wenn offensichtliche Meisterwerke wie die zu rezensierende Otello-Neueinspielung von griesgrämigen Motzern mehr oder weniger grundlos schlecht rezensiert werden.

Denn die Neueinspielung des Otello (von Sony Classical) ist mehr als meisterlich.


Fangen wir mit Federica Lombardi als Desdemona an. Wie fantastisch besingt sie die Weide im 4. Akt. Ihre Piani betören; auch das sich anschließende Ave Maria ist derzeit wohl kaum zu überbieten. Auch hat sie die Fähigkeit, Trauer, Anmut und Angst stimmlich auszudrücken. Welch ein Segen. Hier vereinen sich Stimmkraft, caballésche Piano- und Legatokultur zu etwas Neuem und zwar zu etwas ganz Wunderbarem. Man darf sich uneingeschränkt darauf freuen, Meastra Lombardi in dieser Rolle live erleben zu dürfen. Eine Weltklasse-Desdemona.

Carlos Álvarez ist ein stimmgewaltiger Parade-Jago wie aus dem Bilderbuch: Höchst textverständlich, stimmlich abgrundtief schwarz, böse und durchtrieben. Man nimmt ihm sein fieses Spiel durchgehend ab. Wenn er live genau so überzeugt, wie auf vorliegender CD-Einspielung, gehört er zu den ganz großen Jagos a la Tito Gobbi.

Die Welt ist derzeit aus den Fugen geraten. Anders ist es nicht zu erklären, dass einige Wenige die Leistung von dem wunderbaren Tenor Jonas Kaufmann schlecht rezensiert haben. Kaufmann singt hier einen Otello, der u.a. an Facettenreichtum schwer zu überbieten sein dürfte. Die nörgeligen Spitzenton-Beharrer sollen einfach Ruhe geben und sich Juan Diego Flórez anhören. Geschmäcker sind verschieden. Wer Otello liebt und kennt, der weiß, dass es für eine sängerische Bestleistung nicht auf unbedeutende Spitzentöne ankommt (obwohl Kaufmann auch diese auf der Aufnahme durchaus meistert).

Beim Weltstar Domingo hat man das über Jahrzehnte akzeptiert. Was zählt ist die Fähigkeit, einen raubeinigen leichtgläubigen Feldherrn, dem im Rahmen einer Intrige übelst mitgespielt wird, stimmlich zu charakterisieren und dabei Verdis geniales Werk mit den einzigartig wunderbaren Melodien stimmlich überzeugend umzusetzen. Und genau dies gelingt Jonas Kaufmann vom ersten Moment an durchwegs. Sicherlich ist sein „Grazie, madonna“ zu Beginn des 3. Akts nicht ganz so teuflisch, wie das von Jon Vickers. Aber zum einen ist Jonas Kaufmann nicht Jon Vickers und zum anderen fürchtet sich Frau Lombardi auch nicht vor ihm, wie das bei den Bühnenpartnerinnen von Vickers tatsächlich der Fall war. Irrsinn ist keine Pflicht und kann nicht verlangt werden.

Kaufmann singt seine Partie wunderschön: Stark, dynamisch und vor allem einfühlsam. Das „Eppur qui annida il demone…“ macht ihm derzeit keiner nach. Kaufmann hat genau die baritonale Grundfärbung in der Stimme, die man für den verzweifelten Feldherrn benötigt.

Foto: Jonas Kaufmann, Instagram (c)
Wie einzigartig betörend und unglaublich wunderschön ist auch sein „e rassegnato al volere del ciel“ im 3. Akt? Dem ist nichts hinzuzufügen? Danke Jonas Kaufmann!
Orchestra e Coro dell‘ Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter der Leitung von Antonio Pappano bieten für die hervorragende Einspielung eine einzigartige Grundlage: Maestro Pappano liefert eine Orchesterleistung ohne jeden Makel ab: Sängerfreundlich, dynamisch, mit der notwenigen Italiana. Besser geht das nicht. Und alles in bester Soundqualität.

Fazit: Aufnahme anschaffen, zuhören, wegdriften, glücklich sein!

Ulrich Poser, 2. Juli 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-beigeistert.at

klassik-begeistert.de ist ein pluralistischer Blog. Hier ein zwei weitere Meinungen zur Kaufmann-CD. Herzlich, AS, Herausgeber.
https://klassik-begeistert.de/jonas-kaufmann-spaltet-die-gemueter-der-tenor-als-verdis-otello-klassik-begeistert-de/
https://klassik-begeistert.de/giuseppe-verdi-otello-jonas-kaufmann-federica-lombardi-carlos-alvarez-antonio-pappano-cd-besprechung/

7 Gedanken zu „CD-Rezension: Otello, Jonas Kaufmann
klassik-begeistert.de“

  1. Der Mann kann wohl nicht hören. Zu wenig Verdi bei Kaufmann, zu wenig Emphase, zu wenig squillo, zu wenig leuchtend Lyrisches, dagegen gutturales Singen, baritonal vergewaltigte Stimme, Knödeln gar, manirierte Höhen, etc.
    Lombardi ist ok aber mehr nicht, da fänden sich zehn andere, die dieser unterschätzten Figur gerechter werden könnten. Auch ist Lombardis Stimme nicht ausgereift. Einzig das Gebet ist gelungen. Alvarez ist nur teilweise gut. Seine Dämonie reicht nicht, elegante Feinheit für die verächtliche Stimmung ist nicht vorhanden. Die Aufnahme lohnt einzig wegen Pappano, aber das reicht nicht. Autor Poser posiert hier unqualifiziert für den überschätzten Kaufmann.
    Vinay, Vickers, Domingo, Mac Cracken, Cossuta, Cecchele, Kunde, Atlantov, Monsalve und weitere sind allemal besser als Kaufmann. Vor allem waren (zwei sind es noch) sie alle live der viel bessere Otello. Diese Einspielung hätte niemand gebraucht. Und zusammenschnipseln ist nie die Prüfung, die die Bühne verlangt. Nein, Herr Kaufmann, das ist nicht Ihr Ding. Und Herr Poser, Ihre Sache ist das hier auch nicht.
    Robert Forst

  2. Der Mann kann wohl nicht Partitur lesen.
    Alle der oben als gut Aufgezählten haben irgendwas dahergesungen – nur das nicht, was Verdi in den Noten geschrieben und den Briefen gefordert hat.
    Nein, Herr F-or/rost – Ihre Sache ist das auch nicht.

    Emil Katz

  3. Meisterlich? Ich glaube es nicht. Jonas Kaufmann hat den wahren Größen in dieser Rolle nichts hinzuzufügen. Sein Singen ist von künstlich erzeugter Virilität gekennzeichnet, er drückt die Stimme bewusst ins Baritonale, oft klingt er guttural, fast knödelnd gelegentlich, seine Piani sind von falsettähnlichen Unarten und Manierismen begleitet. Ihm fehlt verdischer Applomb, Durchschlagskraft, wahre Verzweiflung, die leuchtenden, durchscheinenden Höhen etwa auf starker lyrischer Linie fehlen ganz.
    Jon Vickers, Carlo Cossuta, Giovanni Martinelli und allen voran RAMON VINAY
    bezeugen einen echten Verdi-Otello. Es ist die Musik selbst, die ein solches Singen verlangt.
    Del Monaco und Domingo sind nur eingeschränkt von Überzeugungskraft. Atlantow ebenso. Diese Aufnahme mit Kaufmann war völlig unnötig. Nur Kaufmann-Fans, die sogar sein Husten bewundern würden, dürfen sich glücklich schätzen. Ein völlig überschätzter Tenor. Ein überzeugender Otello war übrigens auch der Schwede Torsten Ralf.
    Sony labert mal wieder poetischen Unsinn über seinen Star. Nein, Herr Kaufmann, der Otello ist für Sie mehrere Nummern zu groß.
    Jan de Turovski

    1. Ob Sie es glauben oder auch nicht ist ziemlich wurscht.
      Kaufmann ist der einzige der von Ihnen Genannten, der die Töne so (Höhe, Lautstärke) singt, wie sie Verdi in der Partitur niedergeschrieben hat – und nur darauf kommt es an; nicht aber, was ein unwissendes Publikum erwartet.
      Was „verdischer Applomb“ (sic!) sein soll, das versteh ich nicht, auch nicht, „was leuchtende, durchscheinenden Höhen etwa auf starker lyrischer Linie“ bedeuten soll – unwichtiges, belangloses Geschreibe.
      Emil Katz

  4. Hanjo Kesting schrieb in der FAZ mit Verweis auf Peter Ustinovs Ausspruch: Es gibt so etwas, wie die ideale Fehlbesetzung. Sehr richtig. Das ist Kaufmann als Otello.
    Hätten alle Beteiligten die Fähigkeiten und die Darbietungskraft eines Pappano, dann hätte es eine Sternstunde werden können. So aber ist die Aufnahme gänzlich überflüssig.

    Robert Forst

  5. Hörte gerade Aida in Napoli. Das Beste war die Amneris von Anita Ratschwelischwili und das Dirigat von Mariotti. Wenn Kaufmann kein Otello ist und das ist er nicht, allenfalls die ideale Fehlbesetzung, so ist er auch kein Radamès, was man schon in der Einspielung mit Harteros hören kann. Voce durissima ingolata quella di Kaufmann, wie wir sagen, ständig verschluckte Stimme. Immer fragt man sich auch, ist er nun Bariton oder Tenor. Uneben der Wechsel von mezzoforte zum piano, das oft nur kopfstimmig gehaucht ist. Gelegentlich röhrt Kaufmann auch und knödelt. Das Argument, es gibt doch viel schlechtere, lasse ich nicht gelten.
    Und das Publikum in Italien wusste es richtig. Den größten Applaus bekamen die Ratschwelischwili und Mariotti. Zu Recht.
    Franco Bastiano
    Paris V.

  6. Wunderliche Behauptungen von jemandem, der sich mit Noten nicht auskennen dürfte und mit einer Partitur schon gar nicht.
    Es ist eine Rarität, wenn ein Sänger notengerecht – nach Tonhöhe und Lautstärke (an-und abschwellend) – eine Rolle darstellt, die normalerweise durchgebrüllt wird.
    Und besonders eigenwillig ist es, wenn sowas als Messlatte verlangt wird – wie hier vielfach dargestellt!
    Die italienischen Kritiker wussten die Leistung zu würdigen.

    Emil Katz

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