Ein Debütalbum mit heilsamer Wirkung:
Ani Ter-Martirosyan spielt Ravel und Chopin

Ein Debütalbum mit heilsamer Wirkung, Ani Ter-Martirosyan,  CD-Besprechung

Foto: Ani Ter-Martirosyan (c)

„Sich von äußeren Umständen nicht unterkriegen zu lassen und trotzdem Gehör zu suchen, zeigt, mit welchem Selbstbewusstsein und welcher Zielstrebigkeit diese junge Künstlerin an ihrer Leidenschaft festhält.“

CD-Besprechung: „Ravel & Chopin“

Ani Ter-Martirosyan, Klavier

Maurice Ravel
Le Tombeau de Couperin (1917)

Frédéric Chopin
Klaviersonate Nr. 3 in b-moll, op. 58 (1844)

von Daniel Janz

Wir alle erleiden durch Corona eine regelrechte kulturelle Verarmung. Sowohl Liebhaber als auch Musiker finden beschränkt durch Lockdowns, Sicherheitsmaßnahmen und „physical distancing“ kaum zueinander. Versuche, dies über die Sozialen Medien zu realisieren, trösten zwar, können das restlos wegfallende Konzertleben aber nur schwach ausgleichen.

In solchen Zeiten hilft es, sich daran zu erinnern, dass die Kunst nicht untätig ist, dass es trotzdem Produktionen gibt und es immer Nachwuchs geben wird. Eine, die sich dieser neuen Generation Musikern zuordnen lässt, ist die Pianistin Ani Ter-Martirosyan.

Ist es Pech oder ein Wink des Schicksals, dass die junge Armenierin ausgerechnet in dieser Zeit unsere CD-Sammlungen ergänzen möchte? Die Veröffentlichung ihres Debütalbums musste in eine Zeit fallen, in der Corona gerade auf dem Vormarsch war und nicht jedem danach ist, im Geschäften oder im Internet nach Newcomern zu stöbern. Sich von solchen Umständen nicht unterkriegen zu lassen und trotzdem Gehör zu suchen, zeigt, mit welchem Selbstbewusstsein und welcher Zielstrebigkeit diese junge Künstlerin trotzdem an ihrer Leidenschaft festhält.

Foto: Ani Ter-Martirosyan (c)

Und dabei ist es die Sache doch so sehr wert! Die Künstlerin vereint bereits durch ihre Ausbildung u.a. bei Pavel Gililov, Jacob Leuschner, Jacques Rouver und Claudio Martinez Mehner große Kompetenzen aus der Deutschen Schule, die sie aufgrund ihrer Erfahrung nahtlos mit der russischen Tradition verknüpft. Zahlreiche, teilweise noch während ihrer Studienzeit erworbene Auszeichnungen und Engagements ergänzen ihre inzwischen beeindruckende Vita.

Musikalisch wäre dieses Debütalbum ein Traumstart in eine aufsehenerregende Profikarriere und verdient auch deshalb Beachtung – unter aktuellen Umständen sogar umso mehr. Denn Musik, die sich wie ein Klangteppich ausbreitet und den Zuhörer mitreißen will, tut der Seele nicht nur in Pandemiezeiten wohl, sondern ist auch über Corona hinaus heilsam. Wer möchte denn nicht mal abtauchen von dieser Welt, von einem angespannten Arbeitstag oder von belastenden Ereignissen und Personen? Die Musik von Ravel und Chopin bietet sich da ideal an.

Foto: Ani Ter-Martirosyan (c)

Dabei zeigt Ter-Martirosyan bereits im ersten Stück einen sehr persönlichen Umgang mit der Musik. In Ravels „Le Tombeau de Couperin“ gehen lebhafte Elemente mit lyrischen Passagen Hand in Hand. Während sie das Lyrische geradezu aus dem Instrument streichelt, wählt sie bei den lebhaften Episoden oft einen bewusst harten Anschlag. Andere Pianisten hätten hier womöglich weichere Klänge produziert, Ter-Martirosyan begründet dies aber mit einer Nähe zum Tanz sowie historisch – Ravel verarbeitete in seiner Musik auch Kriegserfahrungen, gerade auch dieses Werk fällt genau in die Zeit des Ersten Weltkriegs.

Insofern ist dieser fast expressionistische Ansatz nicht nur Zeichen des erfrischenden Temperaments der jungen Frau. Sondern wir haben es hier mit einer bewussten und in ihrem Sinne „dramatischen“ Interpretation zu tun, die nicht nur musikalisch für ihren Mut und ihre gewissenhafte Auseinandersetzung mit dem Material höchste Anerkennung verdient.

Dass Ter-Martirosyan auch weich spielen kann, beweist sie ferner bei Chopin. Gerade hier liegt die Schwierigkeit darin, diese Musik in einem natürlichen Fluss zu entfalten. Und wie ihr in dieser Klaviersonate Nr. 3 eine formvollendete Symbiose aus Fluss und Virtuosität gelingt, ist wahrer Hörgenuss – und das, obwohl sie sich im Gespräch mit klassik-begeistert.de selbstkritisch gibt und bestärkt, dass ihr der Klang noch zu hart wäre.

Dieser Eindruck bestätigt sich aber beim Hören der CD nicht. Besonders im Allegro Maestoso und dem Scherzo kann sie durch die Wärme ihres Klanges glänzen. Spätestens hier ist es eine Aufnahme zum Hinsetzen und Genießen – die Demonstration einer Künstlerin, vor der noch Großes liegt.

Mit ihrer Debüt-CD liefert sie jedenfalls einen beachtenswerten Einblick in ihre Welt. Der Beweis, dass eine kunstvolle Interpretation nicht allein durch Spielfertigkeit erreichbar ist, sondern auch der Ausdruck dabei eine entscheidende Rolle einnimmt, gelingt ihr. Gerne möchte man mehr von dieser Virtuosin hören, deren Fokus nach eigenen Worten vor allem auf Schumann und der Hochromantik liegt. Eine zukünftige Aufnahme beispielsweise mit Liedmaterial ließe einen ähnlichen Hörgenuss erwarten. Da ist mit Sicherheit für Künstler und Zuhörer noch vieles zu entdecken.

Machen Sie gerne so weiter, werte Frau Ter-Martirosyan. Wir freuen uns!

Daniel Janz, 29. August 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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