Lohengrin, Staatsoper Berlin © Monika Rittershaus
Der Skandalregisseur Calixto Bieito leistet auch beim Berliner Lohengrin eine spektakuläre Regie- und Aufräumarbeit und legt die Schattenseiten dieser Oper auf den Tisch. Klaus Florian Vogt und Camilla Nylund krönen die Lindenoper zu einem überragenden musikalischen Erfolg.
Lohengrin
Musik und Libretto von Richard Wagner
(Premiere am 13. Dezember 2020)
Staatsoper Unter den Linden, 14. April 2024
von Johannes Karl Fischer
Eine gegen alle: In einem zutiefst patriarchalisch aufgestellten Gerichtsaal muss sich Elsa von Brabant völlig ausgegrenzt gegen die absurden Vorwürfe des Brudermords wehren. Calixto Bieito scheint verstanden zu haben, dass diese Denkweise keinesfalls ein Relikt der mittelalterlichen Vergangenheit, sondern vielmehr von brennender und besorgniserregender Aktualität ist. Herr Bieito haut mal wieder alle Schattenseiten dieser Oper auf den Tisch, die Handlung spielt hier und jetzt!
Das gewaltverherrlichende Männlichkeitsbild eines schwertschwingenden Helden wirft er ebenso Hals über Kopf über Bord wie euphemistische Märchenwelten und fantasievolle Schwan-Szenen. Stattdessen steht ein bibeltreuer Telramund stets mit dem heiligen Buch vor seinem Weib und dessen gefühlt fünfzehn Kindern, während der wahre Held der Geschichte kein Schwert zur Hand nimmt und seine Kämpfe blutlos ohne Todesfolge erledigt. Diese Regie befreit wieder mal eine Oper von rückwärtsgewandten Gesellschaftsbildern und räumt die Handlung ordentlich auf. Wunderbar, weiter so, Herr Bieito!
Ebenso wunderbar war die musikalische Darbietung des Abends, allen voran Klaus Florian Vogts Titelpartei und Camilla Nylunds Elsa. Frau Nylunds endlose Melodien schwebten wie im süßen Himmel sonnenhell durch den Saal, stimmlich hoch über dem Chor schwebend floss ihr Sopran sanft in die Ohren des Publikums. Ihre Elsa ist weit mehr als eine arme, unschuldige Schwester, stattdessen eine ruhige, doch starke Figur mit sehr innerlichen Emotionen und Gefühlen. Dieser Gesang ließ einen ganz sanft die volle Wucht von Elsas Hilflosigkeit und Liebe intensiv mitfühlen!
Auch Herr Vogt hatte einen richtig starken Abend in seiner Paraderolle, Lohengrin. Schon mit der Eröffnungsarie „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan“ gelang ihm eine souveräne Punktlandung, seine Melodien trafen alle reinen Nuancen des lyrischen Wagner-Gesangs. Tristan und Siegfried scheinen ihm regelrecht gutgetan und in die Form seines Lebens gebracht zu haben, sein heller, mühelos durch die Luft segelnder Tenor hatte heute nochmal besonders viel Stärke drauf. So spektakulär und selbstsicher habe ich ihn schon lange nicht mehr singen hören.
Unklar blieb, warum Herr Vogt trotz zwei stimmlichen Mini-Ausrutschern – die fast jeder andere Tenor mit einem Hauch mehr Vibrato kaschieren würde – viel mehr Beifall als Frau Nylund bekam. Das war nicht nur ein bisschen mehr. Trotz mindestens ebenso souveräner Leistung musste sich Frau Nylund mit dezent-höflichem Applaus zufriedengeben, während das Publikum bei Herrn Vogt in euphorische Jubelstürme ausbrach.
Viel Euphorie gab es auch für Günther Groissböcks König Heinrich, und das völlig zu Recht: Mit melodischem, doch bärenstarkem Bass beherrschte er mächtig sein Volk. Vor allem im dritten Aufzug war er sehr passioniert unterwegs, stimmlich schien für diese Rolle ziemlich zu brennen. Sein Heerrufer, Adam Kutny, war von Beginn an mit komödianter Stimme unterwegs und brachte das Publikum mehrmals an die Grenze des Lachens. Stilistisch etwas fehl am Platz, dachte ich, bis er sich plötzlich auf der Bühne eine weiße Clown-Maske schminkte. Ein bisschen Pagliacci im Lohengrin.
Nicht mithalten mit dem insgesamt haushohem Gesangs-Niveau konnte leider Wolfgang Kochs Friedrich von Telramund. Er sang zwar alle Noten korrekt und sauber, leider kam seine Stimme eher leise und etwas mutlos rüber. So ein bisschen schien sich dieser Kläger schon vor Beginn des Gerichtsverfahrens ergeben zu haben, dann braucht es auch keinen Gotteskampf. Seine Gemahlin, Ortrud (Marina Prudenskaya), ging allerdings respektvoll mit seiner Stimme um, ehe sie im Duett mit Elsa mindestens zwei Gänge rauf schaltete und gegenüber Frau Nylund souverän brillierte. In ihrem letzten Auftritt tobte sie sich nochmal stimmlich wie szenisch richtig stark aus…
Lohengrin wäre nicht Lohengrin ohne eine Reihe an spektakulär komponierten Chornummern. Der Chor der Staatsoper unter den Linden hatte vor allem zu Beginn einige falsche Einsätze auf dem Konto, war aber spätestens beim Chorschlager „In Frühn versammelt uns der Ruf“ äußerst präzise und engagiert unterwegs. An der einen oder anderen Stelle hätte sicher etwas mehr Jubel in den Triumphchören stecken können, dennoch unterm Strich eine solide Leistung. Auf jeden Fall besser als die Hamburger Konkurrenz vor zwei Jahren…
Die Fehleinsätze gingen sicherlich teilweise auch auf das Konto von Dirigent Alexander Soddy, der an der einen oder anderen Stelle durch musikalische Koordinationsprobleme auffiel. Allerdings hatte die Staatskapelle Berlin unter seiner Leitung ordentlich Drive drauf, während die lyrisch-langsamen Stellen mit viel Innigkeit und Ruhe zerflossen. Insgesamt auch eine solide Leistung des Orchesters. Es bleibt allerdings spannend, was der Wagner-Spezialist Christian Thielemann mit diesem Klangkörper machen wird…
Bei allem Gemotze an der Musik: Das war ein musikalisch wie szenisch souveräner Lohengrin! Und bitte mehr Bieito!
Johannes Karl Fischer, 15. April 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Lohengrin Opera national du Rhin Strasbourg, Premiere, 10. März 2024
Richard Wagner, Lohengrin Bayerische Staatsoper, 18. Februar 2024
Lieber Johannes,
Halleluja! Was sehe ich da auf dem Titelfoto? Hat Bieito den Lohengrin nun als Quietsche-Ente in einen Waschsalon gesperrt? Oder täuscht das Foto übers Smartphone nur?
Soddy und Wagner. Das scheint auch keine Liebe auf den ersten Blick. Sein Wiener Parsifal war ebenfalls „überschaubar“, um es freundlich auszudrücken!
Liebe Grüße
Jürgen Pathy
Bieito ist spätestens seit seiner „Entführung“ und mit allen folgenden Inszenierungen indiskutabel, wird aber fortlaufend zur Peinigung des Publikums beschäftigt.
Gerd-Uwe Dastig