Fotos: © Theater L.E.O.
Wiens lustigstes Opernhaus
Letztes Erfreuliches Operntheater LEO, Ungargasse 18, 1030 Wien,
8. Oktober 2019,
Franz Léhar, Die Lustigste Witwe,
von Charles E. Ritterband
Wien hat, was kaum eine andere Stadt zu bieten hat: vier Opernhäuser – die berühmte Staatsoper, das herausragende Theater and der Wien mit der Kammeroper und die traditonsreiche Volksoper. Falsch. Wien hat fünf Opernhäuser, was allerdings die wenigsten Besucher wissen. Das LEO, das „Letzte Erfreuliche Operntheater“ – dessen Bezeichnung ebenso skurril ist wie überhaupt alles, was sich in diesen paar Quadratmetern in einer Mischung aus kuscheliger Wohnzimmer-Atmosphäre und stimmungsvollem Brockenhaus abspielt.
Weshalb dieses charmante Kleinsttheater mit seinen kaum 50 Sitzplätzen und kleinen Kaffeehaus-Tischchen die letzte wirklich erfreuliche Opern-Spielstätte weltweit sein soll, konnte mir bisher noch niemand wirklich plausibel machen. Vielleicht nicht das letzte erfreuliche, aber zweifellos ein höchst erfreuliches Opernhäuschen ist es, was da unter der idealistischen, unermüdlichen Ägide des Hausherrn, Tenors und berümten Kunstpfeifers Stefan Fleischhacker jeden Abend ein vielfältiges und ambitiöses Repertoire bietet, das manch großes Opernhaus vor Neid erblassen ließe – wüsste es auch nur von diesem kleinen Juwel an der Wiener Ungargasse.
Denn hier wird täglich gespielt, und das Repertoire steht jenem der „echten“ Opernhäuser in nichts nach – von „Hoffmanns Erzählungen“ zur „La Traviata“ von „Rusalka“, „Carmen“, alle drei Da-Ponte-Opern Mozarts bis, ja bis hin zu Wagner’s „Ring“ – und zwar alle vier Teile an einem Abend, in hochkonzentrierter Form. Ein ambitiöses Programm, man schreckt vor nichts zurück im „Leo“ – und immer gelingt’s.
Eine Spezialität des „Leo“ sind die humor- und temperamentvollen Revuen, oft mit Songs aus der Zwischenkriegszeit: „Im Gulaschrausch der Sinne“ ist das aktuelle Programm überschrieben, und man wagt kaum, sich vorzustellen, was unter diesem Titel geboten wird.
Das „Leo“ pflegt nicht nur den Stil des „Café-Théatre“, in dem man während der Vorstellung sein Glas Wein genießen kann – man ist auch angehalten, mitzusingen, wenn auf der Bühne gerade Ohrwürmer wie das Trinklied aus der „Traviata“ zum Besten gegeben werden. Das „Orchester“ besteht lediglich aus einem großen Konzertflügel, der fast die ganze Bühne füllt. Die Kulisse besteht aus bunten Tüchern, der nostalgische, muschelförmige, goldene Souffleurkasten ist natürlich eine Attrappe. Echt sind allerdings die legendären Schmalzbrote in der Pause, angerichtet auf köstlichem, dunklen Kümmelbrot. Sie haben Kultcharakter und als ich einmal für einen ORF-Fernsehbeitrag die Gäste im LEO interviewte und sie fragte, weshalb sie hierherkämen, sagte doch einer tatsächlich: „Wegen der Schmalzbrote in der Pause.“ Ich bin sicher, dass er das so nicht gemeint haben kann.
Denn vor und nach der Pause spielt sich auf der winzigen Bühne erstaunliches ab: An diesem Abend wird Léhars „Lustige Witwe“ gegeben – die hier natürlich zur „Lustigsten Witwe“ wird. Doch bei aller Turbulenz und augenzwinkernden Selbstironie steckt hinter diesen miniaturisierten Opern und Operetten harte, seriöse Arbeit. Die virtuose Pianistin Kaori Asahara hat ja ein ganzes Orchester zu ersetzen, und die Sopranistin Annette Fischer in der Rolle der steinreichen Witwe Hanna Glavari glänzt mit einer Stimme von bemerkenswerter Strahlkraft.
Der junge Schweizer Tenor Paul Müller gibt einen überzeugenden Grafen Danilo mit beachtlichem Schmelz, Elena Schreiber verkörpert die Tänzerin Valencienne mit komödiantischer Verve. Und natürlich Stefan Fleischhacker, die Seele des Ganzen – er gibt jeder hier aufgeführten Oper, Operette oder musikalischen Revue den letzten Schliff; in der „Lustigsten Witwe“ übernahm er die Rolle des Rosillon. Wie Fleischhacker sein kleines Opernhaus über die Runde bringt, ist schon fast ein kleines Wunder – und dass er mit seinem „Leo“ letztes Jahr das 25-Jahr-Jubiläum feiern konnte, verdient Applaus. Das „Leo“ – ein echter Wiener Geheimtipp – hat seit einem Vierteljahrhundert ein loyales Stammpublikum, das Abend für Abend an die Ungargasse pilgert. Und dort in erfreuliche Hochstimmung versetzt, aber nie enttäuscht wird.
Dr. Charles E. Ritterband, 10. Oktober 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at