Baltic Sea Philharmonic
Mikhail Simonyan Violine
Kristjan Järvi Dirigent
Elbphilharmonie, 29. August 2017
»Waterworks«
Gene Pritsker Water Possessed Afresh
Georg Friedrich Händel Suite Nr. 2 D-Dur HWV 349 (9. und 14. Satz) / Water Music / Wassermusik
Carl Nielsen Kleine Suite op. 1 (Prelude)
Georg Friedrich Händel Suite Nr. 2 D-Dur HWV 349 (13. Satz) / Water Music / Wassermusik
Charles Coleman Drenched
Philip Glass Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 »The American Four Seasons«
Philip Glass Aguas da Amazonia (Arrangement: Charles Coleman)
von Julian Bäder
„Einige Überraschungen“ hatte Kristjan Järvi dem Publikum vor seinem Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie versprochen. Dass der Dirigent höchstpersönlich durch die unteren Ränge des Großen Saals rennen würde, um das Publikum zum Mitklatschen zu animieren, damit hatte niemand gerechnet. Und überraschende Elemente bot auch der Fahrplan des Orchesters allemal.
Ein musikalisches Programm rund um das Thema Wasser, das barocke Kompositionen mit zeitgenössischen verbinden wollte und außerdem zum 80. Geburtstag von Philip Glass zwei seiner großen Werke parat hatte. Überraschend war aber auch der erste Blick in den Großen Saal der Elbphilharmonie an diesem Abend. Die Bühne und große Teile der weißen Haut waren mit Visuals illuminiert, die passend zum Thema „Waterworks“ Wellen an die Wände projizierte. Außerdem lieferten atmosphärische Soundflächen aus Wasserrauschen und Regentropfen eine tolle Atmosphäre. Und auch der Auftritt des Orchesters, gekleidet in speziell angefertigten Konzertoutfits, überraschte in seiner durchchoreographierten Art und war so interessant gestaltet, dass nach einem kurzen Anklatschen des Publikums erstmal gebannte Stille herrschte, in der sich dann auch Kristjan Järvi still, heimlich und überraschend auf die Bühne schlich.
Unter diesen Voraussetzungen kann also schon vor dem Konzert einmal gelobt werden. Denn genau für solche Konzertevents bietet sich die Elbphilharmonie als ultramodernes Konzerthaus an. Spektakuläre Lichtshows und maßgeschneiderte Garderoben gehören hier ja fast zur Standard-Ausstattung.
Das erste Stück des Abends, „Waterworks“, ist eine Art Collage aus Georg Friedrich Händels Wassermusik und Werken der Zeitgenossen Gene Pritsker und Charles Coleman. Bezogen auf den generellen Anspruch des Orchesters ist dieses Konzept konsequent, aber natürlich auch gewagt. Knappe 20 Minuten fusioniert das Orchester experimentelle Percussion, moderne Instrumente und feierlich ernste Barockmusik. Der Eindruck ist danach auch eher zwiegespalten: Händels Musik mit stumpfem Schlagzeug-Groove klingt eher nach überambitioniertem Schulorchester, Händels Musik kombiniert mit E-Bass geht dagegen schon besser auf.
Auf das Wasser-Thema versteifen will sich das Orchester nicht, was dem Konzert guttut. Das zweite große Thema seiner Konzerttournee beschäftigt sich mit Philip Glass, der dieses Jahr seinen 80. Geburtstag feiert und den das Orchester mit zwei ausladenden Stücken ins Programm genommen hat.
Direkt nach der „Waterworks“-Collage folgt ein Stück, das zeigt, wie galant man barocke Ideen mit moderner Ästhetik verbinden kann. Denn Glass‘ Violinkonzert Nr. 2 „The American Four Seasons“ basiert, wie der Name schon vermuten lässt, auf einem weiteren barocken Klassiker: Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. Als Solist hat sich das Orchester für dieses Stück den russischen Violinisten Mikhail Simonyan auserkoren, der mit seiner entspannten Art perfekt zum Auftritt der Baltic Sea Philharmonic passt. Er spielt selbstbewusst und klar und schafft es die Räume, die ihm das Orchester immer wieder einräumt, perfekt zu nutzen und trotzdem den generellen Groove des Stückes beizubehalten. Und auch die Musiker zeigen, dass sie nicht nur für frische Konzepte Interesse haben, sondern auch die Reife, ein solches Stück wahnsinnig konzentriert zu meistern.
Eine wirkliche Reifeprüfung ist dann auch das dritte Stück des Abends: Glass‘ „Aguas de Amazonia“, ursprünglich geschrieben für ein traditionelles brasilianisches Ensemble, wurde von Charles Coleman für Orchester arrangiert.
Das Stück beschreibt musikalisch in aufeinanderfolgenden Sätzen acht Nebenärme sowie den großen Hauptarm des Amazonas. Eine orchestrale Herausforderung, denn Glass charakterisiert die Flussarme sehr unterschiedlich, besonders die Übergänge sind knifflig für das Orchester. Die enorme Konzentration kann man den jungen Musikern anmerken, sie meistern die Übergänge mit Klasse, was auch an Kristjan Järvis sehr impulsiven, äußerst konzentrierten Führung liegt. Dass das Konzept von Glass‘ musikalischer Amazonas-Beschreibung an diesem Abend besondere Wirkung entfaltet, liegt vor allem an der äußerst gelungenen visuellen Gestaltung dieses Konzertteils. Die immer wieder eingestreuten Sounddesign-Elemente sorgen zwar für viele fragende Blicke im Publikum, halten aber den Spannungsbogen enorm hoch.
„Einige Überraschungen“ hatte Kristjan Järvi dem Publikum vor seinem Konzert in der Elbphilharmonie versprochen… Man hatte aber das Gefühl, dass das Publikum eigentlich schon mit dem bisher Gebotenen restlos glücklich war. Aber das Orchester hatte noch etwas in Petto. Hinter den Musikern hatte die ganze Zeit still ein Chor mit jungen Frauen gesessen. Als diese nun nach dem euphorischen Schlussapplaus aufstanden, ging ein Raunen durch das Publikum. Wie in einem spontanen Flashmob fing der Chor langsam zu singen an, es folgten die Blech- und die Holzbläser, bis das ganze Orchester sich zu einem riesigen sphärischen Klang aufbauschte und sich abrupt in einem wilden Rhythmus entlud, zu dem die Musiker aufstanden und förmlich über die Bühne tanzten, während Kristjan Järvi wild durch die unteren Ränge flitzte und die Zuschauer zum Mitklatschen animierte.
Die Baltic Sea Philharmonic will Verbindungen aufbauen und zwischen verschiedenen Ländern und Kulturen vermitteln. Das ist den Musikern an diesem Abend bereits im Konzertsaal wirklich gelungen. Dass das Orchester direkt im Anschluss mit dem Fahrstuhl zu den Gästen des Konzertkinos auf dem Vorplatz der Elbphilharmonie fuhr und den interessierten Zuschauern, die keine Karte für den Saal bekommen hatten, noch eine spontane Zugabe spielte, verdiente den größten Respekt.
Julian Bäder, 1. September 2017, für
klassik-begeistert.de
Ich war mit dabei und hellauf begeistert!
Das abschließende Highlight beim Public Viewing zeigt den Kontakt zu den Menschen, für die diese Musik gemacht ist.
Rolf