Beitragsfoto: © Maike Helbig
Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
Felix Klieser & Camerata Salzburg – Mozart: Hornkonzert Nr. 4, KV 495 – III. Allegro vivace
von Lorenz Kerscher
Es dürfte vor acht Jahren gewesen sein, als mir bei der Zeitungslektüre das Bild eines jungen Mannes ins Auge sprang, der in ein Horn blies und dabei die Ventile mit den Füßen betätigte. Schnell stellte sich heraus, dass das kein Jux war, sondern der Karrierestart eines sehr außergewöhnlichen, damals 22-jährigen Künstlers. Videos in YouTube bewiesen, wie makellos schön er auf dem heiklen Instrument spielt, obwohl er ohne Arme auf die Welt gekommen ist.
Selbst sehr bewegliche Passagen meistert er dank der flinken Ventilarbeit seiner Zehen, hat einen außergewöhnlich schönen Ton, den er dem Stil der Musik anpassen kann, und gestaltet ansprechende Melodiebögen. Aus eigener Erfahrung mit diesem Instrument, das in meinen laienhaften Händen einzig seinem Spitznamen „Glücksspirale“ gerecht wird, weiß ich, dass hierfür die Atmung entscheidend ist, und staune umso mehr, wie gut Felix Klieser diese trotz seiner zwangsläufig eingeengten Sitzhaltung meistert.
In seinem 2014 erschienenen Buch „Fußnoten“ schreibt der 1991 Geborene über seinen Werdegang. Es begann damit, dass seine Eltern, die selbst keine Musiker sind, ein passendes Angebot für seine musikalische Früherziehung suchten. Mit einem Glockenspiel ließ sich der Vierjährige jedoch nicht abspeisen, es musste ein Horn sein. Bis heute weiß er nicht, warum er gerade das wollte, aber er bekam solch ein Instrument, das er dann auf den Boden legte, um hineinzublasen und mit den Zehen die Ventile zu drücken. Später baute er sich dann ein Stativ, auf das er es legen konnte. Er bekam Unterricht und brachte es zu einigen Erfolgen bei „Jugend musiziert“. Bereits mit 13 Jahren wurde er an der Musikhochschule Hannover als Jungstudent aufgenommen und gehörte bald auch dem Bundesjugendorchester an.
Dem 16-Jährigen wurde in einem Interview die Frage gestellt, ob er sich eine berufliche Zukunft als Musiker vorstellen könne. Während er noch nach einer diplomatischen Antwort suchte, die ihn auf nichts festlegte, fiel ihm sein Lehrer ins Wort und bemerkte, dass unter seinen Voraussetzungen wohl nicht daran zu denken sei. Das jedoch ärgerte ihn so sehr, dass er nun sehr ernsthaft daran arbeitete, doch noch eine Chance zu bekommen. „Ein Nichts und Niemand ist man“, sagte er, „wenn man ohne Arme an eine Musikhochschule kommt.“ Er wusste genau: nur mit Leistung würde er überzeugen können. Und er setzte alles daran, diese zu erbringen.
Felix Klieser – Der Fuß-Hornist macht Weltkarriere | Galileo | ProSieben
Das Hauptproblem bestand darin, das romantische Klangideal des weichen, dunklen Horntons zu erreichen. Dieser entsteht normalerweise dadurch, dass der Spieler die Hand in den Schalltrichter hält. Dies ist noch ein Relikt aus der Zeit, als man auf den Naturtoninstrumenten die Zwischentöne nur durch Stopftechnik erzielen konnte. Bei modernen Ventilinstrumenten hilft das, Intonationsschwächen auszugleichen und eben dem Ton seine Schärfe zu nehmen. Nun sagt Felix Klieser, dass er als Schüler noch einen sehr trompetenähnlichen Ton hatte und sehr hart daran arbeiten musste, das Ideal alleine durch das Anblasen zu erzielen. Acht Stunden Üben pro Tag brachten ihn schließlich ans Ziel, und mein Eindruck ist, dass er die Klangfarbe bewusster als Stilmittel einsetzt als manche Kollegen, die keine Not hatten, sich intensiv mit ihr zu beschäftigen.
Felix Klieser & Christof Keymer – Schumann: Adagio und Allegro As-Dur, II. Allegro
Der Lohn seiner Mühen war, dass er im Wintersemester 2010/2011 ein reguläres Musikstudium an der Musikhochschule Hannover beginnen konnte. Sehr bald schon war er auch ein gefragter Konzertsolist. In diesem Metier Fuß zu fassen, ist alles andere als leicht, denn aufgrund des kleinen Repertoires für solistisches Horn hält sich auch die Nachfrage nach entsprechenden Auftritten in Grenzen. Deshalb bleibt auch erstklassigen Nachwuchskünstlern meist kein anderer Weg als die Annahme einer Orchesterstelle. Dass Felix Klieser trotz seines Handicaps allerhöchstes Niveau zu bieten vermag, fand natürlich eine besondere Medienresonanz, die sicherlich mithalf, die Kunde von seinem Können schneller als üblich zu verbreiten. Jedenfalls bekam er bald so viele Engagements, dass er den Orchesterdienst nicht antreten musste.
Hinzu kommt, dass er mit Tonträgerproduktionen sehr erfolgreich ist: Schon die erste der bislang fünf mit Berlin Classic herausgebrachten CDs mit Titel „Rêveries“ brachte ihm 2014 einen Echo Klassik als bester Nachwuchskünstler ein. Zusammen mit dem Pianisten Christof Keymer stellte er stimmungsvolle Werke der französischen, russischen und deutschen Romantik zu seiner musikalischen Visitenkarte zusammen und konnte damit die Jury überzeugen. Es folgten Aufnahmen der Hornkonzerte von Joseph und Michael Haydn, dann eine CD mit Trios für Violine, Horn und Klavier. Als nächstes kamen die Hornkonzerte von Mozart zum Zuge, die mit der Camerata Salzburg vollständig eingespielt wurden. Schließlich schien es an der Zeit, zusätzliches Repertoire zu erschließen und für das neueste Album „Beyond Words“ barocke Arien für Horn und ein stilgerechtes Ensemble einzurichten und aufzunehmen. Man staunt, mit welcher Würde diese jahrhundertealten Melodien auf dem modernen Instrument erklingen!
Felix Klieser, Horn: Johann Sebastian Bach „Erbarme dich mein Gott“ aus der Matthäuspassion KV244
Noch hat Felix Klieser nicht alle Möglichkeiten des Hornrepertoires ausgereizt und beispielsweise die sehr schönen Hornkonzerte von Richard Strauss und Reinhold Glière noch nicht eingespielt. Auch für zeitgenössische Werke, die häufig Stopftöne erfordern, hat er vorgesorgt, indem er einen mit dem Fuß bedienbaren Dämpfungsmechanismus konstruiert hat. Seinem unerschrockenen Naturell entsprechend ist zu erwarten, dass er noch manches Neuland betreten wird. Durch sein mitreißendes Spiel und seine besondere Gabe, den Zuhörern die Faszination seines Instruments mitzuteilen, erfährt die Kultur der klassischen Musik zweifellos eine außergewöhnliche Bereicherung.
Weiterführende Information:
Biografisch sortierte Playlist in Youtube
Lorenz Kerscher, 13. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.
„‘Musik ist Beziehungssache‘, so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“
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