Foto:
Peter I. Tschaikowsky, Dornröschen
Saarländisches Staatstheater, Saarbrücken, 26. November 2017
Stijn Celis Choreographie
Stefan Neubert Musikalische Leitung
Jann Messerli Bühnenbild
Catherine Voeffray Kostüme
Saúl Vega-Mendoza Carabosse/Prinz der Dunkelheit/Mutter
Pascal Schut König und Prinz Florismund
Alexandra Christian Königin
Mahomi Endoh Aurora
Saarländisches Staatsorchester
von Alina Fischer
Ein Prinz küsst Dornröschen, sie wird vom bösen Bann befreit und sie leben glücklich bis an ihr Lebensende. Wer sich auf so eine Handlung im Ballett von Stijn Celis eingestellt hat, merkt schon in der ersten Sekunde, dass das Stück keineswegs von Optimismus und Leichtigkeit geprägt ist. Statt mit Klängen von Tschaikowsky beginnt der Abend mit Stille, nur unterbrochen von mysteriösen Klanggeräuschen aus Lautsprechern. Die böse Fee Carabosse, gespielt von Saúl Vega-Mendoza, erscheint, und es ist klar, dass dieses Ballett am Saarländischen Staatstheater mehr als bloße Unterhaltung vermitteln will.
Dies ist nicht die einzige Stelle des Abends, an der die Musik, die Celis auf 90 Minuten fragmentiert hat, unterbrochen wird. Was der Choreograph damit erreichen will ist klar: eine vollkommene Konzentration auf die Handlung und das Geschehen auf der Bühne. Während diese Szenen ihren Zweck erfüllen, ist die Kombination der Originalmusik mit neumodischen akustischen Elementen sehr gewagt. So lässt Stijn Celis die Tänzer marschieren und Sätze wie „Du gehst den falschen Weg!“ auf Englisch sprechen. Dabei wird die Musik fortgesetzt und zusätzlich eine Videoprojektion abgespielt, die Flugzeuge zeigt. Auch wenn an dieser Stelle aufgrund der zahlreichen Geschehnisse die Musik untergeht, ist dies eine der wenigen Szenen, in denen der Subtext perfekt in den Märchenstoff passt. Die Aussagen der Tänzer kann man einerseits auf Carabosse beziehen, die dabei ist zu überlegen, wie sie weiterhandelt, andererseits sind sie eine kriegerische Anspielung.
Die freie Erzählung Stijn Celis, der sich aller drei Versionen von Dornröschen bedient hat, ist geprägt von verschiedenen Handlungssträngen. Der Zuschauer muss sich darauf einstellen, dass er sich mit allen drei Versionen des Märchens auskennen und immer sehr konzentriert bleiben muss. „Ich empfinde das Märchen als Allegorie. Die einzelnen Figuren repräsentieren verschiedene moralische und politische Konzepte, und letztlich kann die Geschichte ganz unterschiedlich interpretiert werden“, sagt der Choreograph.
Die Figuren sind sehr vielschichtig und durchleben während des Stückes eine persönliche Entwicklung, wodurch diese Version des Märchens den Tänzern nicht nur technische, sondern auch schauspielerische Perfektion abverlangt. Die Inszenierung lebt vor allem durch modernen Tanz, bedient sich aber auch vieler Merkmale des klassischen Balletts. So zeigt die Königin, getanzt von Alexandra Christian, auch ihr Können auf Spitze und schlägt damit auch auf der tänzerischen Ebene den Bogen zwischen Tradition und Moderne.
Auf der schauspielerischen Ebene sticht neben Alexandra Christian auch Pascal Schut, der den König tanzt, heraus. Beide stellen ihre Liebe zueinander und zu ihrer Tochter Aurora vorsichtig und subtil, gleichzeitig aber sehr innig dar. Vor allem die Szene, in der die Königin ihren Schmerz über den Verlust ihrer Tochter darstellt, berührt den Zuschauer.
„Mein Ballett lässt sich durchaus als phantastische Geschichte auffassen, auch wenn ich in ihr eine große Zeitspanne abdecke. Die wesentlichen Figuren des Märchens gibt es in meinem Ballett, doch porträtiere ich sie menschlicher, verletzlicher als sich entwickelnde Personen.“ Diese Aussage Celis trifft vor allem auf die Prinzessin Aurora zu. Denn in dieser Version ist die Figur an die Realität näher angelehnt als in anderen Versionen. So verfällt die Prinzessin nicht durch einen Stich mit einer Spindel in den Schlaf, sondern durch den Sohn von Carabosse. Er verzaubert sie. Selbst die Liebe des Prinzen Florimund zu ihr lässt sie zwar aufwachen, befreit sie aber nicht komplett vom bösen Zauber.
Selbst nachdem der Fluch endlich gebrochen wird und die Zuschauer denken, sie könnten sich endlich für das Paar freuen, finden Aurora und Florimund nicht zueinander. Nun kommen andere äußere Umstände in die Quere: der Prinz wird in den Krieg einberufen und Aurora wird ins Krankenhaus gebracht. Der Prinz eilt zu seiner Geliebten, jedoch bleibt unklar, ob das Märchen ein gutes Ende nimmt.
Die Inszenierung lebt vor allem durch das schlichte, düstere Bühnenbild – es überzeugt wie auch die musikalische und tänzerische Leistung. Dem Bühnenbildner Jann Messerli gelingt es aus den einfachsten Dingen ein tolles Ambiente zu erschaffen und dabei den Fokus auf die Tänzer zu lenken. So entstehen durch rauschende Vorhänge optimale Übergänge zwischen den einzelnen Passagen. Die stärkste Szene des Stückes, die Geburt Auroras, ist zum großen Teil auch dem Bühnenbildner zu verdanken: Aus einem weißen Tuch wird ein Bett der Königin, mit dem sie die Bühne verlässt – im nächsten Moment erscheint mit dem gleichen Stoff die kleine Aurora, nun ist es eine Kinderwiege.
Insgesamt ist „Dornröschen“ ein mutiges Stück, das viele zentrale menschliche Themen wie Neid, Trauer und Vertrauensbruch aufgreift. Einige Passagen erfordern eine sehr große Konzentration – nicht alle Ideen des Choreographen sind einfach zu verstehen. Da auf der Bühne vieles parallel läuft, geht die Musik teilweise unter. Das ist besonders schade, da das Orchester einwandfrei spielt und eine sehr genaue und stilgerechte Interpretation liefert.
Alina Fischer, 27. November 2017, für
für klassik-begeistert.de