„Eben war der warme Sopran von Enriqueta Tarrés verklungen, da rief eine Männerstimme aus dem Parkett: „Vivat Caballé!“ Das war sehr unfair und gemein. Nun war für den weiteren Verlauf des Abends die Hölle los.“
von Lothar Schweitzer
Es ging ihr ein fabelhafter Ruf voraus, seit Montserrat Caballé in der New Yorker Carnegie Hall im Jahr 1965 in Donizettis Lucrezia Borgia für Marilyn Horne eingesprungen war. Sechs Jahre mussten wir warten, bis die katalanische Sängerin endlich an der Wiener Staatsoper, an der sie auch später ein rarer Gast blieb, für zwei Abende am 15. und 20. Mai 1971 als Troubadour-Leonore angesagt war.
Die Enttäuschung war dann dementsprechend groß, als bekannt wurde, dass die Caballé ihren ersten Abend absagen musste. Die Vorstellung rettete ihre Landsfrau Enriqueta Tarrés, die an der Wiener Staatsoper in den letzten fünf Jahren sechsmal als Chrysothemis, zweimal als Donna Anna und nur einmal in einer Verdi-Oper in Don Carlo als Elisabeth von Valois eingesetzt war.
Nicht dass ich es äußerlich beschreiben könnte, aber von Anfang an war im Publikum eine schlechte Aura spürbar. In ihrem ersten Auftritt im nächtlichen Schlosspark hat Leonore zunächst in liedhafter Weise die romantische Stimmung nachzuzeichnen. „Tacea la notte placida e bella in ciel sereno la luna il viso argenteo mostrava lieto e pieno.“ Schließlich erzählt sie ihrer Vertrauten in schwärmerischer Verzückung von einem geheimnisvollen Troubadour. „Die Erde erschien dem Herzen wie ein Himmel.“
Eben war der warme Sopran von Enriqueta Tarrés verklungen, da rief eine Männerstimme aus dem Parkett: „Vivat Caballé!“ Das war sehr unfair und gemein. Nun war für den weiteren Verlauf des Abends die Hölle los. Nach jeder ihrer Arien bildeten sich im Publikum zwei Parteien. Die Ritterlichen, die der Einspringerin die Stange hielten, und die verbitterten Gegner.
Horst Stein musste häufig den Gang der Musik unterbrechen, die Streitrufe gingen von einer Logenseite zur anderen. Enriqueta Tarrés bedankte sich auf der Bühne mit einem Hofknicks bei ihren Verteidigern. Die Stimmung blieb nervös und gereizt. Der Altistin Biserka Cvejić blieb ein tiefer Ton weg. Vernehmbarer Unmut im Publikum, sie verlässt wütend die Bühne, wird sichtlich unsanft gleich wieder auf die Bühne zurückgestoßen. Ion Buzea verpatzte in der Stretta das zwar alternative aber erwartete hohe C. Wieder Buhrufe. Er sagte die Folgevorstellung ab.
Epilog: Die zweite Vorstellung sang dann Montserrat Caballé. Die Gesangspädagogin meiner Frau Sylvia meinte scherzhaft, es hätte das Baby im Bauch manchmal mitgesungen. Später trat sie in Konzerten mit ihrer Tochter „Montsita“ gemeinsam auf.
So richtig heimisch ist der berühmte Star mit seinen insgesamt viertausend Auftritten aber in Wien nie geworden. In den folgenden zwölf Jahren finden wir im Archiv der Wiener Staatsoper nur zwanzig Vorstellungen mit ihr. Sie trat dann in den Jahren 1988/89 noch als Madama Cortese in der auch im Fernsehen gezeigten Oper Il viaggio a Reims dreizehn Mal in Erscheinung. Nochmals 2007 in der Alt- bzw. größtenteils Sprechrolle der Duchesse de Crakentorp („La fille du régiment“) neben Natalie Dessay und Juan Diego Flórez.
Irgendwie spürte ich auch eine gewisse Distanz, als ich ihr nach einer Norma im Teatro San Carlo in Neapel bei der Autogrammstunde „Cordiali saluti da Vienna“ glaubte ausrichten zu müssen.
Lothar Schweitzer, 15. Juni 2021, für
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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
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