Der zwiespältige Eindruck dieser Produktion wird auf der nun vorliegenden DVD noch verstärkt. Warlikowskis Kopfgeburten teilen sich dem Zuschauer nicht mit, der Regisseur vermag es nicht, seine Ideen in optisch fassbare Sequenzen umzusetzen.
Richard Strauss
„Elektra“
Unitel 804308
von Peter Sommeregger
Wenn Klytämnestra, vom eigenen Sohn Orest gemordet, ihr Leben verröchelt, erscheinen auf dem Bühnenhintergrund Blutspritzer, die alsbald von Fliegen bedeckt werden. Das ist optisch vielleicht der stimmigste Moment in Krzysztof Warlikowskis verrätselter Inszenierung von Hofmannsthals und Strauss’ Version der Atriden-Tragödie.
Der polnische Regisseur, berühmt und berüchtigt für seine zumeist kryptischen, vom Sinngehalt des Originals oft allzu weit entfernten Deutungen, bleibt diesmal vergleichsweise zahm, das Stück erkennbar. Vom lauten Zikaden-Gezirpe zu Beginn, gefolgt von einem gesprochenen Text Klytämnestras abgesehen, bekommt das corona-bedingt ausgedünnte Publikum seine Elektra unbeschädigt zu sehen.
Der unnötig aufgepfropfte Prolog relativiert allerdings das wuchtige Agamemnon-Motiv, mit dem die Oper normalerweise beginnt. Überhaupt schwebt über der ganzen Produktion das Motto der Reduzierung, was wir erleben ist eine klassische Familienaufstellung, die praktisch alle Mitglieder der unseligen Familie als psychische Wracks entlarvt, ihnen dabei aber jede Größe abspricht. Elektra nestelt beständig an ihrem Umhängetäschchen, aus dem sie immer wieder Zigaretten zieht. Überhaupt wird viel geraucht in dieser Inszenierung, als doch ein wenig aus der Zeit gefallenes Symbol für neurotische Überspanntheit. Warum Chrysothemis als modebewusstes Girlie in bauchfreiem Glitzerkostum auftreten muss, bleibt unklar, auch weshalb sie sich ihres Tops mehrfach entledigt, um so ihren feuerroten BH zu präsentieren. Die Mutter Klytämnestra ist in ihren eleganten Gewandungen sehr viel stimmiger bekleidet. Unpassend bis hässlich der Norweger-Pullover des heimkehrenden Orest, der insgesamt als weinerlicher Loser dargestellt wird, der nach den vollbrachten Mordtaten weinend über den Zuschauerbereich das Geschehen verlässt. Auch er als Charakter reduziert auf klägliches Mittelmaß.
Ihre Entsprechung findet diese Sichtweise leider auch in der musikalischen Realisierung dieser Produktion. Den Wiener Philharmonikern ist Richard Strauss praktisch in die DNA eingeschrieben, immer noch scheint die jahrelange Zusammenarbeit mit dem Komponisten über die Generationen bewahrt zu sein. Franz Welser-Möst ist ein erfahrener Strauss-Dirigent und entlockt seinen Philharmonikern auch noch die subtilsten Details der Partitur.
Was seiner Interpretation allerdings fehlt ist die Wucht, die Strauss, hart am Rande der Tonalität operierend, dem Werk verliehen hat. Leidenschaft bekommt man nur in einer sehr gebremsten Form zu hören, der Dirigent hat es aber auch mit Sängern zu tun, die stimmlich einer Interpretation von der Art eines Karl Böhm oder Georg Solti nicht gewachsen wären. Am souveränsten setzt Tanja Ariane Baumgartner ihren vollen Mezzosopran ein, der auch über die für diese Rolle wichtige Höhe verfügt. Asmik Grigorians Sopran verfügt über schöne Farben, ist technisch gut gebildet, stößt in der Hitze des Gefechts aber auch schon mal an Grenzen des Volumens. Voll und wohlklingend strömt der Bass-Bariton Derek Weltons als Orest, für die ungünstige Optik seiner Erscheinung und seine Charakterisierung als Schwächling ist er nicht verantwortlich. Michael Laurenz als Aegisth läßt ein wenig die schneidende Schärfe vermissen, die man mit dieser kurzen aber prägnanten Rolle verbindet.
Mittelpunkt und dominante Figur muss die Darstellerin der Elektra sein. Aušrinė Stundytė füllt diese Rolle nicht wirklich aus. Warlikowskis Regie hat daran wesentlichen Anteil, er reduziert Elektra auf ein neurotisch Kette rauchendes kleines Mädchen, das Zoff mit der Mutter hat. Das verzwergt diese Tragödien-Figur doch zu sehr, der Aufführung fehlt so der Motor der Besessenheit der Titelfigur. Auch stimmlich bewegt sich die Litauerin mehr im lyrischen Bereich, was für eine Elektra ungewöhnlich ist. Zwar kann sie dabei mit schönem Piano punkten, in den zugespitzten dramatischen Passagen wird die Stimme allerdings eng und verkrampft, auf leuchtende Spitzentöne wartet man bei ihr vergeblich. Das ist insgesamt zwar eine vor allem schauspielerische Leistung, aber in dieser Interpretation findet man die wilde Atridentochter nicht wieder. Darunter leidet die Aufführung insgesamt, die Unbedingtheit, die Raserei und der Hass, das Feuer der Partitur bleiben zu moderat. Die Salzburger Festspiele light haben nun auch eine Elektra light.
Der zwiespältige Eindruck dieser Produktion wird auf der nun vorliegenden DVD noch verstärkt. Warlikowskis Kopfgeburten teilen sich dem Zuschauer nicht mit, der Regisseur vermag es nicht, seine Ideen in optisch fassbare Sequenzen umzusetzen.
Peter Sommeregger, 18. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at