Romeo und Julia: Eine Orgie aus Schönheit, Tragik und totaler Überwältigung

Mariinsky Ballett, Sergei Prokofjew, Romeo und Julia,  Festspielhaus Baden-Baden

Foto © Natasha Razina
Mariinsky Ballett in Baden-Baden: Sie tränken den Raum mit Gefühl

Festspielhaus Baden-Baden, 22. Dezember 2017
Sergei Prokofjew, Romeo und Julia
Leonid Lavrovsky
, Choreographie
Alexei Repnikov, Dirigent
Pyotr Williams, Bühnenbild und Kostüme
Mariinsky Ballett
Mariinsky Orchester
Renata Shakirova, Julia
Kimin Kim, Romeo
Alexander Romanchikov, Tybalt
Roman Belyakov, Paris
Alexei Timofeyev, Mercutio
Yaroslav Baibordin, Narr

von Sebastian Koik

Selbst wer kein Ballett mögen sollte, dürfte diesen Abend lieben … lieben, lieben, lieben!

Alleine schon die Musik ist vom Feinsten. “Das ist große Oper, aber doch keine Ballettmusik”, sagten Zeitgenossen über Sergei Prokofjews Komposition. Tänzer wollten es nicht tanzen und lange Zeit wollte es kein russisches Haus auf die Bühne bringen.

Heute gilt Prokofjews Romeo und Julia als eine der besten und berührendsten Ballettmusiken aller Zeiten. Kaum jemand, der dieses Ballett gesehen hat, wird das bezweifeln. Manche weinen schon im ersten Akt. Doch spätestens im Finale im dritten Akt ist es fast unmöglich, nicht tief von der Musik ergriffen zu werden, während Romeo und Julia den doppelten Liebestod sterben.

Es ist aber nicht nur die Komposition Prokofjews allein, sondern die Art, wie sie gespielt wird, die den Abend musikalisch so unfassbar stark macht und zur Unvergesslichkeit beiträgt. Wohl selten wurde diese Musik so sensibel, so mitreißend und so brilliant gespielt wie vom Mariinsky Orchester unter der Leitung von Alexei Repnikov in dieser Aufführung im Festpielhaus Baden-Baden.

Was die Musiker hier abliefern, ist von den ersten Klängen in der Ouvertüre den ganzen Abend lang extrem stark, voller Leidenschaft und Spielfreude, mit hervorragendem Timing. Sie spielen mit Dramatik und tränken den Raum mit Gefühl.

Was dann aber im Schlussbild des letzten Aktes passiert, ist fast nicht von dieser Welt! Die Streicher berühren zutiefst, musizieren voller Schönheit und mit so viel Wachheit, Präsenz und Inbrunst, dass man denken könnte, sie spielten um ihr Leben.

Das Blech röhrt herrlich, klingt edel und schlichtweg perfekt. Eine bessere Blechbläser-Leistung wird kaum zu finden sein. Das ist kein Zufall. Der Dirigent Alexei Repnikov studierte Posaune und spielte dieses Instrument viele Jahre im Orchester des Mariinsky Theaters.

Das Mariinsky Ballett, seit der sowjetischen Zeit auch als Kirov Ballett bekannt, gilt schon seit sehr, sehr langer Zeit als eine der berühmtesten und besten Ballettkompanien der Welt. Bekannt ist es vor allem für vollendete Aufführungen von klassischen Balletten, von denen viele der beliebtesten Stücke auch bei daheim in St. Petersburg unter der künstlerischen Leitung von Marius Petipa entstanden. Petipa gilt als Vater des klassischen Balletts und schuf für das Mariinsky Theater unter anderem die Piotr Tschaikowski-Ballette “Dornröschen”, “Der Nussknacker” und die bearbeitete Version von “Schwanensee” sowie Ludwig Minkus’ “La Bayadère”.

Außerdem kreierte Leonid Lavrovsky im Mariinsky die wichtigste und für viele Choreographen inspirierende und wegweisende Romeo-und-Julia-Fassung – die an diesem Abend in Baden-Baden in ihrer Originalversion gespielt wird.

Das Mariinsky Ballett gilt für viele als das beste klassische Ballett der Welt. Überhaupt gilt es als eine der besten Kompanien.

Und dieses renommierte und geschichtsreiche Tänzerkollektiv begründete noch eine weitere Tradition: Seit genau zwanzig Jahren kommt es jedes Jahr rund um die Weihnachtstage für mehrere Tage und Aufführungen ins Festspielhaus Baden-Baden, im aktuellen Jahr mit drei Stücken in sieben Aufführungen. Welch‘ ein Glück für das Haus, die Stadt, die Ballettfreunde der Region und darüber hinaus! Welch‘ Ehre! Welch‘ Freude!

Zum Mariinsky gehört die Vaganova-Akademie, eine der renommiertesten und einflussreichsten Ballettschulen, aus der es seit Jahrhunderten ihre begnadeten Tänzer bezieht. Diese Ballettschule nimmt nur etwa zwei Prozent der Bewerber als Kinder auf, um sie in vielen Jahren zu perfekten Tänzern auszubilden. Nur die Besten der Besten bestehen die Absolventenprüfung und erhalten einen Vertrag beim Mariinsky-Theater.

Und so vollführen die Tänzer an diesem Abend ihre Kunst auf höchstem technischen und künstlerischem Niveau. Wie auch schon die Musiker in Orchestergraben, verüben die vielen Tänzer der Kompanie ihre Arbeit voller Leidenschaft und mit offensichtlicher Freude.

Der Südkoreaner Kimin Kim hat international unzählige Preise gewonnen und zeigt bei seinem Romeo-Debüt in Baden-Baden, warum das so ist. Es scheint manchmal so als würde er die Gesetze der Schwerkraft nicht anerkennen. Scheinbar mühelos hebt er vom Bühnenboden ab, mit hohen Sprüngen und perfekten Hochgeschwindigkeits-Drehungen. Das Publikum liebt ihn.

Renata Shakirova spielt, ja verkörpert eine wundervolle Julia. Ihre Bewegungen sind in jeder Nuance grenzenlos graziös. Es sind winzige Details wie die Positionierung ihrer Beine, Arme, Hände im Raum, ihre Körperspannung und Ausstrahlung, die ihren Baden-Badener Auftritt unvergesslich machen.

Pyotr Williams erschuf für dieses Ballett herrlich schöne Kostüme. Das letzte Bühnenbild des Abends gehört sicher zu den schönsten und beeindruckendsten der Bühnengeschichte.

Im Schlussbild des Stückes kulminieren die Einzelkünste in einer Orgie aus Schönheit, Tragik und totaler Überwältigung. Mehr Emotion, mehr Ballett, ja mehr “Oper” geht nicht. Dieser St. Petersburger Romeo und Julia ist getanztes großes Musikdrama. Musik, Tanz, Bühnenbild und Kostüme: Vom Allerfeinsten. Diese Aufführung des Mariinsky Balletts ist ein Gesamtkunstwerk!

Danke St. Petersburg! Danke Baden-Baden! Dies sind die wohl schönsten deutsch-russischen Beziehungen der Welt.

Sebastian Koik, 23. Dezember 2017, für
klassik-begeistert.de

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