Fotos im Beitrag: © Khrystyna Jalowa
Internationale Gluck-Festspiele
Historischer Reitstadel, Neumarkt i.d. Oberpfalz, 17. September 2021
Sopran: Samuel Mariño
Händelfestspielorchester Halle
Leitung: Michael Hofstetter
von Leon Battran
Samuel Mariño ist ein Sänger, der durch viele Dinge glänzt: durchschneidend helle Spitzentöne, schrille Outfits, eine Spiel- und Lebensfreude, die ansteckend ist. In der Welt von Samuel Mariño gibt es kein Nullachtfünfzehn. Er liebt die Extreme, das sieht man, hört man, spürt man. Im Rahmen der Internationalen Gluck-Festspiele führte der Sopranist im Historischen Reitstadel in Neumarkt in der Oberpfalz Ausschnitte aus dem Opernschaffen von Gluck und Händel vor und zog sein Publikum mit hinein in diese seine quietschbunte Welt der virtuosen Gesangsakrobatik.
Manche Sänger verpflichten sich ganz ihrer Kunst, treten als Person hinter dem Gesang zurück. Samuel Mariño steht als extravertierte leuchtende Persönlichkeit auf der Bühne. Er liebt die barocken Koloratur-Arien und das virtuose Zurschaustellen dieser Kunst. Oper ist im besten Sinne Unterhaltungskunst und Samuel Mariño liefert eine Show, die dem sensationellen Charakter seines Repertoires Rechnung trägt.
Auf der Bühne ist Samuel Mariño in seinem Naturell. Vergnügt-fidel wie ein Fisch im Wasser und voller Energie präsentiert sich der fashionaffine Sopranist im matt glänzenden Silberanzug. Scheinbar ohne Anstrengung flutet er mit seinem hellen Sopran den Saal, schwingt dazu die Hüften und wirft die Arme hoch, flirtet nebenbei mit der Konzertmeisterin. „Ich komme aus Venezuela. Wir haben den Rhythmus im Blut“, hat mir der 27-Jährige vorab im Interview erklärt. Er findet: „Nichts ist langweiliger als Barockmusik, die nicht lebt!“
Wie sein Fachkollege Bruno de Sá, der am Vorabend im Stadttheater Fürth die Titelrolle in Glucks „Orfeo ed Euridice“ verkörperte, ist auch Samuel Mariño natürlicherweise dazu in der Lage, Sopran zu singen, weil er als Jugendlicher keinen Stimmbruch durchgemacht hat. Klar, dass das Interesse an dem quirligen Sopran groß ist – Stichwort historisch informierte Aufführungspraxis – ist er doch dazu in der Lage, die für Kastraten komponierten, schwindelerregend hohen Partien zu bewältigen, ohne – und das unterscheidet ihn von einem Countertenor – im Falsett singen zu müssen.
Händels „M’allontano, sdegnose pupille“ aus Atalanta bringt Samuel Mariño ebenso kokett wie brillant über die Bühne, begleitet mit leidenschaftlichem Feingefühl vom Händelfestspielorchester Halle unter Michael Hofstetter. In „Quella fiamma“ aus Arminio liefert er sich einen Wettstreit mit dem exzellenten Solo-Oboisten Thomas Ernert, der ihm hier sogar ein wenig die Schau stiehlt. Spannend gelingt auch die Gluck-Szene „Berenice, che fai“ aus Antigono mit ihren vielen dramatischen Wendepunkten.
Diese Stücke bieten Samuel Mariño reichlich Raum, um alle Facetten seines Soprans vorzuführen, vom leisen Hauchen bis zu den strahlenden ausdauernden Hochtönen. Die sensible Akustik im Konzertsaal des Reitstadels ist dabei seine größte Verbündete und trägt seine Stimme munter bis in die hinteren Winkel des Saals. Diese tragfähige Akustik macht den Reitstadel auch zu einer beliebten Location für Kammermusikaufnahmen.
Mit der Sopranistin und Gesangspädagogin Barbara Bonney hat Samuel Mariño viel daran gefeilt, seine Höhen strahlen zu lassen. Diese Spitzentöne sind allesamt da, mit durchdringender Präzision. Die mittlere bis tiefe Lage fällt dagegen deutlich ab, das ist Samuel Mariño bewusst: „Man kann nicht von Anfang an alles haben. Ich arbeite an den hohen Tönen, weil die Leute diese von einem Sopran hören wollen, wenn sie ins Konzert gehen.“
Leon Battran, 19. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
C. W. Gluck: Orfeo ed Euridice (konzertant), Stadttheater Fürth, 16. September 2021