Rauschhafte Anthroposophenoper an der Oper Leipzig: Viktor Ullmanns „Der Sturz des Antichrist“

Viktor Ullmann, „Der Sturz des Antichrist“, Oper Leipzig,  klassik-begeistert.de

Fotos: Oper_Leipzig_DerSturzdesAntichrist_©KirstenNijhof-3.jpg

Viktor Ullmann, Der Sturz des Antichrist
Premiere, Oper Leipzig, 
25. September 2021

von Dr. Guido Müller

Üppiger und rauschhafter Schönklang eines riesigen Orchesters einschließlich Orgel, das eher an Arnold Schönbergs „Gurrelieder“ als an die Avantgarde der 1920er Jahre erinnert, herrscht musikalisch in dieser Intellektuellenoper vor. Damit stellt das mit der Spätromantik bestens vertraute Weltspitzenorchester des Gewandhauses den Hauptakteur in dieser Oper dar. Kaum eine Oper wie die in Leipzig verfügt über eine solche Luxusbesetzung im Graben und lohnt meistens schon daher den Besuch.

Unter ihrem Intendanten Ulf Schirmer hat sich die Oper Leipzig in den letzten Jahren besonders mit der Pflege der Werke von Richard Wagner, dessen Opern in dieser Spielzeit einschließlich der Frühwerke komplett aufgeführt werden, und von Richard Strauss profiliert.

Nun betritt die Oper Leipzig mit dem Werk des Schönberg-Privatschülers Viktor Ullmann aus der ersten Hälfte der dreißiger Jahre einen Seitenweg dieser Linie. Das Werk ist schwere Kost: Gedanken- und esoterische Literatur- und Science-Fiction-Oper über den richtigen Weg der Menschheit in die Zukunft. Ihm gibt der Komponist zudem noch die an Wagners letzte Oper erinnernde Bezeichnung „Bühnenweihefestspiel“. Doch selbst in dieses ideologische Musiktheater hatte Wagner mit Kundry eine weibliche dramatische Hauptrolle eingefügt, die Ullmann reiner Männeroper fehlt.

Das Werk soll Ende des 20. Jahrhunderts spielen. Der am Anfang der Oper uneingeschränkt herrschende Diktator stürzt am Ende der Oper trotz der Warnungen des Technikers bei seinem maßlosen Versuch auch noch den Orbit mit seinem Weltraumflug zu erobern ab.

Oper_Leipzig_DerSturzdesAntichrist_©KirstenNijhof-2.jpg

Wir hören nur Männerstimmen und einen gemischten Chor, denn dem Werk fehlen Liebeshändel. Und eine innere dramatische Entwicklung durch soziale, geistige und christlich-religiöse Erleuchtungen, quasi dem anthroposophischen Weg der Erkenntnis, ist nur einem Protagonisten vergönnt, dem Künstler, der vom Tenor Stephan Rügamer prägnant, packend und berührend schön gesungen wird. Für diese Rolle hatte Ullmann zunächst die Stimme eines Soprans vorgesehen, um auch diese der Oper durch die reine Besetzung von Männerstimmen fehlende hohe Stimmlage zur Geltung zu bringen. Dies hätte sicher den abstrakten Charakter der Rolle noch mehr verstärkt. Aber möglicherweise auch die jetzt schon nicht immer ganz zu vermeidenden komischen Elemente eines ideologisch überfrachteten Werks.

Üppiger und rauschhafter Schönklang eines riesigen Orchesters einschließlich Orgel, das eher an Arnold Schönbergs „Gurrelieder“ als an die Avantgarde der 1920er Jahre erinnert, herrscht musikalisch in dieser Intellektuellenoper vor. Damit stellt das mit der Spätromantik bestens vertraute Weltspitzenorchester des Gewandhauses den Hauptakteur in dieser Oper dar. Kaum eine Oper wie die in Leipzig verfügt über eine solche Luxusbesetzung im Graben und lohnt meistens schon daher den Besuch.

Durch seine herausragende und üppig leuchtende, dramatisch fesselnde Begleitung, Verstärkung und Kommentierung ragt das Gewandhausorchester hervor unter der meisterhaften Leitung von Matthias Foremny, der nie den Überblick und die Autorität verliert. Er gleicht die dem Werk fehlende dramatische Handlung und die ihm damit innewohnenden Defiziten im Orchestergraben durch eine Spitzenleistung an Dramatik etwa auch in den Höhenflügen der Orchesterzwischenspiele aus. Ähnlich gilt dies für den Schöngesang und die hohe vokale Qualität aller Sänger.

Die Oper ist überfrachtet durch den Versuch, die Anthroposophen-Ideenlehre und den „Schulungsweg“ Rudolf Steiners mit Hilfe eines Textbuchs seines Schülers und Nachfolgers Albert Steffen als Musiktheater darzustellen. Das Werk hinkt zunächst doch sehr an den theoretischen Diskussionen zwischen den Intellektuellen „Der Priester“ (Tenor Dan Karlström), „Der Techniker“ (Bariton Kay Stiefermann) und „Der Künstler“ untereinander und dann mit dem autoritären Diktator „Der Regent“ – schillernd zwischen einem kommunistischen Menscheitsbeglücker am Anfang und einem totalitärem Führer mit Zügen Adolf Hitlers zum Ende. Der Regent will die drei mit Aufträgen gefügig machen, denen sich nur der Künstler am Ende entzieht und damit sich und die Menschen einer freien und solidarischen Zukunft entgegen führt.

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Dem „Regenten“ und „Dämon des Regenten“ verleiht der durch eine Beinverletzung behinderte und daher aus dem Rollstuhl singende Heldentenor Thomas Mohr, der dem Leipziger Publikum vor allem durch seine Wagner-Rollen bekannt ist, mehr als eindrucksvoll durch seine im Heroischen wie im Leise-Dämonischen stimmliche Leistung herausragendes Profil. Er ist zudem stets textverständlich. Diese Spitzenleistung dankt am Ende das Publikum nur zu berechtigt mit Ovationen.

Stimmlich gleich hoch steht neben ihm der zutiefst berührende Bass Sebastian Pilgrim als Wärter und Greis, der stimmlich an Matti Salminen und mit seiner Rolle an Gurnemanz in „Parsifal“ erinnert. Er ist die Person in dem Werk, die den „Lehrer“ noch gekannt hat (Lehrer = Rudolf Steiner) und stellt somit die direkte personelle Verbindung zu ihm dar – auch indem er im ersten Akt seine Urne auf der Bühne herumträgt, um deren richtigen Aufstellungsort nach 1925 es tatsächlich unter den Anthroposophen Streit gegeben hatte.

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Die gut funktionierende Inszenierung ist von dem Ungarn Balázs Kovalik, der an der Oper Leipzig bereits mit Richard Strauss’ Oper „Die Frau ohne Schatten“ und Giacomo Puccinis „Turandot“ durch visuell opulente, und zugleich gedanklich vertiefte Regieleistungen aufgefallen ist.  Die besonders optisch eindrucksvolle raumfüllende und als Hebebühne häufig auch rotierende Bühneninstallation hat  Stephan Mannteuffel erstellt (der auch die Kostüme entwarf) mit Videoeinspielungen von Valerio Figuccio. Inszenierung und Bühne sind an den bekannten Stummfilmepen der 1920er Jahre und an Science-Fiction-Assoziationen angelehnt.

Durch die gelungene orchestrale, vokale, optisch überwältigende und in der Personenführung überzeugende Gesamtleistung vermag die Aufführung am Ende das aufgrund der Corona-Covid 19-Regeln ausgedünnte Premierenpublikum zu überzeugen. Großer nicht enden wollender Beifall.

Unbedingte Besuchsempfehlung für ein bei allen Handlungsdefiziten des Esoterischen im Textbuch und Handlung musikalisch durch an Spätromantik angelehntes und an Filmmusik erinnerndes, überzeugendes Musiktheater an der Oper Leipzig.

Guido Müller, 25. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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