Es braucht eine lange und wiederholte Zeit des Nachdenkens, ob jemals ein Plakat oder die Aufmachung einer Schallplatte das Interesse für eine Oper geweckt hatte. Das Optische war in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts noch nicht so dominierend. Reproduktionstechniken noch viel kostspieliger. Man hätte sich damals nicht träumen lassen, dass bei Einrüstungen von bedeutenden Gebäuden die Architektur auf den schützenden, herabhängenden Planen zu sehen bleibt. Und die Entwicklung des Fernsehens hatte eben erst begonnen.
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Durchschnittlich einmal im Monat war ein Opernbesuch geplant. Die Berührung mit dem Genre und Informationen aus der Welt der Oper war durch das Blättern in Schallplattenprospekten zu gewinnen. In besonderer und dankbarer Erinnerung ist mir das Werbematerial der Deutschen Grammophon geblieben, wobei das Interesse auf die Besetzungslisten fokussiert war. So lernte man die immer wieder ausgewählten SängerInnen der Hauptrollen zumindest literarisch kennen.
Dazu kam dann ein Rollenporträt oder ein Privatfoto der verehrten Künstlerin oder des verehrten Künstlers auf der Schallplattenhülle als Pars pro Toto. Die SängerInnen warben durch ihre Persönlichkeit auch für die jeweilige Oper. Viele dieser Aufnahmen sind in unsrer schnelllebigen Zeit schon bald als historische Aufnahmen zu werten, neuere Produktionen zeigen neue Regieeinfälle oder neue Akzente der Betrachtungsweise auf dem Cover. Alte Wiedergaben neu herausgebracht werben manchmal bewusst mit stilisierten Bildern.
Für die teilweise düstere Oper „Tiefland“ von Eugen d’Albert, in der ein Feudalherr einen unbedarften Hirten aus den Bergen für sein Doppelleben missbrauchen will, wird sehr unterschiedlich auf den Covern geworben. Mit einem romantischen Landschaftsprospekt, mit städtisch beeinflusster Idylle, im Gegensatz dazu betont gespenstisch oder sehr auf die erste Szene im Vorspiel bezogen.
Einen Zug zur Abstraktion zeigt die Werbung für Janáčeks „Die Sache Makropulos“ über eine Frau, die drei Jahrhunderte überlebt hat und auf eine weitere Verlängerung durch ein Lebenselixier verzichtet.
Für Martinůs „Julietta“ fanden wir für die „Stadt ohne Gedächtnis“, in der ein Mann eine Beziehung zu einer Frau wiederfinden will, eine Interesse erweckende Umsetzung der Beschreibung des ersten Bilds.
Weniger ansprechend fanden wir eine Variante derselben Firma, die das Hafenbild auf ein Segelschiff, dem in der Handlung auch keine symbolische Bedeutung zukommt, reduziert.
Eine andere, spätere Aufnahme stellt in seinem Cover das Unwiederkömmliche dieser ersten, nicht genutzten Begegnung in den Mittelpunkt.
Unseres Erachtens ohne jede Werbewirksamkeit und eher zu falschen Vorstellungen führend ist das folgende Bild.
Perspektivisch ist ein teppichartiger Weg in roter Farbe im Mittelpunkt, an dessen Ende sich ein Paar berührt. Das könnte man höchstens als Sehnsuchtsmotiv deuten. Sollen die aufragenden schwarzen Flächen bei der zweiten Begegnung nun die unheimlich wirkende Stadt andeuten?
Kann man so für eine österreichische Erstaufführung werben? Kann dieses „Sorgenkind“ (siehe „Unsere Lieblingsoper 28“) mit einer an Emojis erinnernden Grafik Opernfreunden nahe gebracht werden?
Nicht nur der Regie, nicht nur SängerInnen mit sehr persönlichem Timbre, auch der Werbegrafik wird in Zukunft das Schicksal der Oper anvertraut sein.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 5. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
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