Padova Stagione Lirica,
Teatro Comunale Giuseppe Verdi, 29. Dezember 2017
Franz Lehàr, Die Lustige Witwe – La Vedova Allegra
von Charles E. Ritterband
Eines – und nicht nur eines – muss man den Italienern auf jeden Fall lassen: Sie sind hochmusikalisch. Ob Verdi, Puccini, Donizetti, Bellini oder Rossini – es klingt immer hervorragend, temperamentvoll oder zutiefst emotional, je nachdem. Und so war denn auch der Transfer der „Lustigen Witwe“ von Wien, wo die Operette 1905 im Theater an der Wien uraufgeführt wurde, nach Padua musikalisch überaus erfolgreich.
Diese hervorragende Operette von Franz Lehàr war Adolf Hitlers Lieblingsoperette, wobei die jüdischen Librettisten dem deutschen Publikum unterschlagen wurden und in den Todeslagern Nazideutschlands verschwanden. Diese düsteren Aspekte mochten in Padua allerdings die Vor-Festfreude nicht zu trüben: Die „Witwe“, hier in italienischer Sprache gesungen und in Padua auf Plakaten als „La Vedova Allegra“ angekündigt, wurde als Silvesterpremiere auf den Spielplan des fantastischen Teatro Comunale Giuseppe Verdi gesetzt.
Und Lehàrs Meisterwerk, seine bekannteste und erfolgreichste Operette, überlebte die Reise aus dem k.u.k.-Ambiente der Donaumetropole Wien in die altehrwürdige Universitätsstadt Padua unbeschadet – zumindest teilweise, denn die Texte, vor allem die gesprochenen, tönen auf Italienisch nicht wirklich witzig und die Gesangsnummern sind in italienischer Sprache zumindest so gewöhnungsbedürftig wie Verdi und Rossini auf Deutsch. Doch, wie gesagt, die italienischen Orchestermusiker sind hochmusikalisch – egal welche Noten vor ihnen auf dem Notenständer liegen. Und so bot auch das Orchester des Teatro Verdi in Padua (Orchestra di Padova e del Veneto) unter der temperamentvollen Leitung von Maestro Jordi Bernàcer eine musikalische Höchstleistung, wie man sie an der Wiener Volksoper besser nicht hören könnte.
Nicht ganz so glücklich ist der Rezensent allerdings mit den Sängerinnen und Sängern: Brillant jedenfalls die Darstellerin der Titelrolle Hanna Glawari, die südkoreanische Sopranistin Sumi Jo, die als erste aus Asien stammende Opernsängerin eine internationale Bühnenkarriere machte. Jo hat schon vieles gesungen – sie ist in Puccini-Opern (beispielsweise „Gianni Schicchi“) aufgetreten und hat sich mit Barockopern befasst, ihr Ave Maria ist hörenswert, auch an die legendäre „Casta Diva“ (aus Vincenzo Bellinis „Norma“) hat sie sich herangewagt. Sie hat eine starke, manchmal etwas ins Schrille hinübergleitende, aber zumeist doch sehr schöne Stimme und ihre Bühnenpräsenz in der Rolle der selbstbewussten „Witwe“, die alle Fäden zieht und dann die Männer serienweise um den Finger wickelt, ist tadellos.
Wunderschön der maßgebliche Tenor dieser Operette in der Figur des Camille de Rossillon: Leonardo Cortellazzi, geboren in Mantua, dem Schauplatz von Verdis „Rigoletto“. Er singt seine Partien mit herrlichem Schmelz und wirkt auch als Verführer unwiderstehlich, obwohl er am Ende leer ausgeht und eigentlich durchaus „die Witwe“ Hanna verdient hätte. Schade. Schade vor allem, dass der Mann, der die reich gewordene Hanna am Ende doch noch kriegt, Graf Danilo Danilowitch, verkörpert durch den in Siena geborenen Tenor Alessandro Safino, weder sängerisch noch darstellerisch überzeugt.
Neben dem Aufführungort Padua und den Wiener Ursprüngen dominiert in dieser Operette der Schauplatz Paris in all seiner Frivolität – hier wurde die Wiener Frivolität des Fin de Siècle eindeutig in die Seinestadt projiziert. In der Inszenierung von Hugo de Ana werden in den ersten beiden Akten dominant äußerst attraktive Art-Déco-Elemente eingesetzt, vor allem ein gigantischer Leuchter, der die Bühne füllt. Aber zugleich soll das Paris von heute den Hintergrund für die Handlung bilden, verkörpert durch sinnlos-störende Glaswände, die den Darstellern keinen Raum bieten und somit die Inszenierung, zumindest in den ersten beiden Akten, regelrecht ersticken.
Die ersten beiden Akte sind, gelinde gesagt, misslungen – teilweise grauenhaft, wenn ich an die komödiantischen Elemente, die beiden degenerierten Herren in Smoking und Frack mit ihren müden Witzen denke. Und es gab Regieeinfälle, die derart läppisch waren, dass man sich selbst als Zuschauer geradezu schämen musste: Die Chordamen, uniform gekleidet, alle mit dummen blonden Perücken und der ganze Chor, der zu den flotten Melodien Lehàrs im Takt mit Picnic-Kartontellern zu wedeln hatte – unsäglich peinlich.
Während das Publikum im Großen und Ganzen durchaus glücklich schien mit der Inszenierung und den Gesangsleistungen verließ meine Partnerin das Theater fluchtartig in der zweiten Pause – eindeutig schade, denn gerade jetzt, im dritten Akt, wurde die Sache wirklich silverstermäßig spritzig und musikalisch fulminant. Genau wie die Witwe Hanna und ihr Verehrer Danilo in den ersten beiden Akten schwere Krisen durchliefen, ebenso wie die Inszenierung selbst, fand im dritten Akt die Versöhnung des Paares statt – und auch der standhaft im Zuschauerraum gebliebene Rezensent versöhnte sich nun doch noch mit dieser „Vedova Allegra“.
Die Inszenierung zeigte jetzt im dritten Akt endlich, was sie wirklich konnte: die Glaswände verkörperten das zeitgenössische Paris, jenseits von Art Déco und Fin de Siècle – hinter den Glaswänden wurden bunte Neon-Inschriften sichtbar, die an die touristisch heruntergekommene Place Pigalle erinnerten. Die Inszenierung nahm an Tempo zu, Höhepunkte waren natürlich die berühmten Cancan-Nummern, und man hätte gern auf die ersten beiden Akte verzichtet, um diesen amüsanten und überaus unterhaltsamen dritten Akt in voller Frische zu genießen – und dann in bester, animiertester Stimmung champagnerselig ins Neue Jahr hinüberzugleiten!
Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C. und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.