Concerto di Capodanno
Teatro La Fenice di Venezia, 1. Januar 2018
Chor und Orchester des Teatro La Fenice
Myung-Whun Chung, Dirigent
Claudio Marino Moretti, Chorleiter
Maria Agresta, Sopran
Michael Fabiano, Tenor
Gala di Capodanno
Teatro Regio di Parma, 31. Dezember 2017
Orchestra dell’Opera Italiana
Francesco Ivan Ciampa, Dirigent
Maria Mudryak, Sopran
Stefan Pop, Tenor
Amartuvshin Enkhbat, Bariton
Giacomo Prestia, Bass
von Charles E. Ritterband
Es war wie ein ferner Gruß aus Wien, wo am folgenden Tag das legendäre Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker aus dem Goldenen Saal des Musikvereins stattfinden sollte, als am Silvesterabend in Parma das Orchestra dell’Opera Italiana die „Fledermaus“-Ouverture von Johann Strauß und „Lippen schweigen“ aus Franz Lehàrs „Lustiger Witwe“ anstimmte. Natürlich klang das auch hier, weit weg von der Donaumetropole, vorzüglich (aber doch ziemlich anders als bei den Wiener Philharmonikern) . Aber die grandiose, in Kasachstan geborene und in Mailand ausgebildete Sopranistin Maria Mudryak und der phänomenale, aus Rumänien stammende Tenor Stefan Pop legten ins Lehàr-Duett so viel Innigkeit, dass einem buchstäblich die Tränen kamen.
Und als sich Pop voll Kühnheit und zugleich augenzwinkerndem Humor an „Nessun dorma“ aus Giacomo Puccinis „Turandot “ heranwagte, diese Steilvorlage, weil Pavarotti diese Arie für alle Zeiten in Beschlag genommen hat, war das ein überwältigendes Erlebnis: Pop sang mit so viel Kraft und zugleich subtiler stimmlicher Schönheit, dass selbst der große Pavarotti für einige Minuten in Vergessenheit geriet.
Überhaupt ließ das – wunderschöne – Teatro Regio in Parma die allererste Riege an fantastischen Sängern aus aller Welt aufmarschieren: Den weltberühmten mongolischen Bariton Amartuvshin Enkhbat kann man nur als sängerische Urgewalt bezeichnen – es hob einen buchstäblich aus dem Sitz, als er mit seiner überragend kraftvollen und doch zugleich herrlich schönen Stimme das so berührende „Dio di Giuda“ aus Giuseppe Verdis „Nabucco“ und „Nemico della patria“ aus Andrea Chénier (Umberto Giordano) anstimmte. Und der vierte großartige Sänger, der in Florenz geborene Bass Giacomo Prestia, begeisterte schon in der ersten Arie – „La calunnia è un venticello“ (die Verleumdung ist ein Lüftchen) aus Gioachino Rossinis „Il barbiere di Siviglia“ – mit seiner fantastischen Stimme und seinem großartigen Humor. Dramatisch trug er dann die Arie aus „Macbeth“ vor und zusammen mit dem Bariton Enkhbat erklang in wunderschönem Zweiklang das „Suoni la tromba“ aus den „I Puritani“ von Vincenzo Bellini.
Parma ist, das durfte dieser Rezensent schon im Oktober 2017 anlässlich des hervorragenden Festivals Verdi feststellen, ein Geheimtipp für Verdi-Verehrer – denn hier werden die Partituren des unweit von Parma geborenen Komponisten so originalgetreu als möglich wiedergegeben. Deshalb gehört auch das Hausorchester des Teatro Regio di Parma, das erst vor wenigen Jahren gegründete Orchestra dell’Opera Italiana, unbestritten zu den führenden Verdi-Interpreten Italiens. Entsprechend fulminant erklangen denn auch die Nummern aus den Verdi-Opern in der „Gala di Capodanno“. Aber auch Pjotr Tschaikowskys 1812-Ouverture wurde, von diesem Orchester als „pièce de résistence“ gegen Ende des Programms dargeboten, zum Hochgenuss.
Sowohl in Parma als auch in Venedig am Teatro La Fenice wurde das Publikum am Ende der Silvestergala mit dem traditionellen Trinklied aus Verdis „La Traviata“ („Libiam ne` lieti calici“) in die turbulente Neujahrsnacht entlassen. In Parma interpretiert durch die Sopranistin Mudryak und den Tenor Pop, im La Fenice von der hervorragenden italienischen Sopranistin Maria Agresta und dem amerikanischen Tenor Michael Fabiano – beides Sänger von Weltklasse, die eine lange Liste von Auftritten an den ersten Häusern aufweisen können.
Die Dirigenten der beiden Silvestergalas hätten unterschiedlicher nicht sein können: In Parma dirigierte das Orchestra dell`Opera Italiana der international bekannte italienische Dirigent Francesco Ivan Ciampa mit viel Temperament und ausladenden Gesten – im Teatro La Fenice leitete das Hausorchester (Orchestra del Teatro la Fenice) mit fast emotionslosem Ausdruck und sparsamsten Bewegungen der südkoreanische Dirigent (und übrigens auch Pianist) Myung-Whun Chung. Seine Interpretation von Antonín Dvoráks Symphonie „Aus der Neuen Welt Op. 95“ war von atemberaubender Schönheit und Präzision, kraftvoll und doch, wo es sein musste, zurückhaltend. Chung hat das Orchester des Fenice sichtlich absolut im Griff, die unglaubliche Präzision, Disziplin und zugleich Musikalität dieses Klangkörpers ist phänomenal.
Von diesem Orchester mitten in Venedig, in diesem prachtvollsten aller Opernhäuser, aus der Asche wie ein Phönix originalgetreu wiederauferstanden, die Barcarolle aus „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach zu hören, war das ergreifendste Erlebnis dieser Neujahrsnacht. Natürlich durfte – neben temperamentvollen Glanzstücken wie der „Carmen“-Prélude und der sprühenden Ouvertüre zu Rossinis „L’Italiana in Algeri“ auch die „geheime Nationalhymne“ Italiens, das „Va pensiero“ aus „Nabucco“ nicht fehlen – und auch diese Melodie, so unvergleichlich schön dargeboten vom Fenice-Orchester, ging einem ans Gemüt.
Und wie beim Wiener Neujahrskonzert, wo die Bundesgärten schon Tage zuvor den Goldenen Saal mit herrlichen Blumenarrangements schmücken, schienen auf der Bühne des Teatro La Fenice beim Silvesterkonzert Orchester, Chor und Solisten geradezu unterzugehen in einem Meer von prachtvollen Orchideen und riesigen Rosen – als ob Venedig, diese frühere maritime Großmacht, nun ihre Größe mit einem Blumenmeer in einem der berühmtesten Opernhäuser der Welt manifestiert. Auch Foyer und Gänge waren großzügig mit üppigen Orchideen- und Rosenarrangements versehen.
Der Stil des Hauses äußerte sich nicht nur in der floralen (und natürlich musikalischen) Eleganz – als wir den Saal betraten, kam ein überaus höflicher junger Mann auf uns zu und bot uns an, unsere Mäntel in die Garderobe zu bringen, da das Konzert knapp vor dem Beginn stand. Das ist Stil. Das Fenice ist zweifellos eines der außergewöhnlichsten Häuser der Welt – in jeder Beziehung.
Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C. und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.