Schmissig! Fetzig! Coronabedingter Abbruch! Die bittersüße Jazz-Operette "Viktoria und ihr Husar" von Paul Abraham an der Oper Halle endet tragisch.

Paul Abraham, „Viktoria und ihr Husar“,  Oper Halle, 21. November 2021

© Bühnen Halle, Foto: Federico Pedrotti

Oper Halle, 20. November 2021
(PREMIERE)

Staatskapelle Halle
Chor der Oper Halle

von Dr. Guido Müller

Es beginnt alles so schön und mitreißend. Nach langer Zeit steht wieder eine von Vielen heiß ersehnte Operette an der Oper Halle auf dem Spielplan. Und was für eine: Paul Abrahams Meisterwerk von 1930 gibt der musikalischen Unterhaltung in einem bunten Reigen Schlag auf Schlag mit fetzigen Jazz-Rhythmen, ungarischem Czardas und anderer Volksmusik, russischen Liedern, amerikanischer Populärmusik, Foxtrott, Walzer und bis heute hängen gebliebenen Schlager-Ohrwürmern von 1930 deftig Zucker.

Das Publikum wippt schnell mit. Es lässt sich anstecken von dem Reichtum melodischer Einfälle und Hits aus dem Graben und von der Bühne, mitreißender Tanzmusik – hinreißend choreographiert von Sofia Pinzou, dem Tempo und Witz der Inszenierung. Im düsteren Trauer-Monat November und im Angesicht der neu drohenden erheblichen Einschränkungen des öffentlichen kulturellen Lebens, wie dem bereits für das Nachbarland Sachsen geltenden Lockdown, noch einmal sich sorglos amüsieren und mit Schlagern und Tanzmusik verwöhnen lassen. Welche Operette passt da besser wie die 1930 uraufgeführte von Paul Abraham aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise, der ersten großen Erfolge der Nazis und in Anbetracht des „Tanzes auf dem Vulkan“?

Die Handlung ist vom Regisseur Patric Seibert (Chefdramaturg u.a. in Meiningen 2015-2018, stellvertretender Operndirektor in Karlsruhe 2018-2020, seit 2020 Musikdramaturg in Cottbus und 2013-2018 Mitarbeiter Frank Castorfs beim „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth) zu Beginn im Prolog 1949 nach Sibirien in einen Gulag und dann im Ersten Akt nach Tokio in die amerikanische Gesandtschaft verlegt worden.

© Bühnen Halle, Foto: Federico Pedrotti

Viktoria – hinreißend gesungen und gefühlvoll großartig gespielt von Franziska Krötenheerdt – ist eine Jüdin, die ihr Geliebter und ungarischer Nazi-Wehrmachtsoffizier Stefan Koltay (schmetternd der Tenor Chulhyun Kim) aus Karrieregründen im Krieg nicht heiraten will. Dies erfährt der Zuschauer aber erst durch eine Video-Einspielung zum Ende des Ersten Aktes, der das Komödiantisch-Unterhaltsame bricht. Daher ist Viktoria zu Kriegsbeginn mit dem Amerikaner und späteren Gesandten seines Landes John Cunlight (das bewährte Ensemble-Mitglied Gerd Vogel packt im Gesang und Darstellung in seriösen und komischen Momenten) in die USA geflohen, um ihr Leben zu retten. Und dann geht sie mit ihm als Gattin nach dem Krieg nach Tokio in die US-Gesandtschaft.

Dort trifft Viktoria dann wieder auf ihren Geliebten, der im Kriegsgefangenlager vom KGB gezwungen worden war, mit seinem ungarischen Adjutanten Janczi (der Gast und südafrikanische Tenor Musa Nikuna singt und spielt perfekt komisch) als Spione in die US-Gesandtschaft nach Japan zu gehen. Der US-Gesandte nimmt die beiden Ungarn zum zweiten Akt mit in seine neue Stellung nach Leningrad.

© Bühnen Halle, Foto: Federico Pedrotti

In der Gesandtschaft in Rußland lebt auch noch Viktorias Bruder Graf Ferry Hegedüs (der Tenor Robert Sellier spielt auch sein komisches und tänzerisches Talent aus) mit einer japanischen Hauptfrau (Vanessa Waldhart perfekt im perlend schönen Gesang, im mitreißenden tänzerischen und spielerischem Charme als O Lia San) und deren drei japanischen Freundinnen, die er aus Tokio mitgenommen hatte, sowie das Dienstmädchen Riquette. Diese gibt sich als Pariserin aus und wird von Yulia Sokolik wunderbar keck gesungen und gespielt. Sie verliebt sich in den dunkelhäutigen ungarischen Adjutanten Janczi des Offiziers Stefan Koltay. Das erlaubt mit Augenzwinkern allerlei politisch nicht immer so ganz korrekte Anspielungen auf dessen braune Hautfarbe.

Im spannungsgeladenen Zweiten Akt, der in der US-Gesandtschaft in Leningrad spielt, wird die Identität von Stefan Koltay und seines Adjutanten aufgedeckt und auch die alte Liebe zwischen Koltay und Viktoria ist wieder entfacht. Viktoria bittet ihren Mann allen die Ausreise nach Ungarn zu ermöglichen. Doch der von Viktoria enttäuschte Koltay will sich dem KGB ausliefern. Der zweite Akt endet mit einer wilden Schießerei und einen ironischen Lied der KGB-Führungs-Offizierin über das Glück: im perfektem Brecht-Song-Stil dargeboten von Barbara Dussler, die bereits im Gulag am Anfang Brechts Lobeshymne auf den Kommunismus mit bitterer und wenig süßer Schärfe dargeboten hatte.

Es gibt ein ernstes Paar und gleich zwei Buffopaare. Und somit viele Gelegenheiten zu durch Tänze und Choreinlagen angereicherten Duetten. Und soweit die Handlung in den ersten beiden durch eine Pause getrennten Akten.

Und dann passiert das Unfassliche. Der Intendant Walter Sutcliffe und der bekannte Regisseur der Operette Patric Seibert treten vor den roten Vorhang. Das bedeutet meistens nichts Gutes. Und der Intendant gibt mit gebrochener Stimme bekannt, dass wegen eines Corona-Falls im Ensemble die Vorstellung abgebrochen werden muss.

Darauf geht der Vorhang auf mit dem Solisten-Ensemble, dem Chor und der Technik, die auf der Bühne stehen. Das Orchester stimmt das letzte große Ensemble an. Tränen in den Augen einiger Sängerinnen.

Das Publikum erhebt sich und spendet den Künstlern und weiteren Mitarbeitern großen Beifall. Zu den Sängern gesellen sich jetzt auch der Regisseur sowie die Bühnenbildnerin Dorota Karolczak, die ein detailreiches, stimmungsvolles Bühnenbild auf die Drehbühne gezaubert hat, an dem man sich nicht stattsehen kann, und der Kostümbildner Jon Bausor, der farbenfrohe und stimmige Kostüme gestaltet hat.

Der Beifall steigert sich zu Ovationen und das Publikum stimmt dann mit Klatschen und Mitsummen mit den Sängern und der Staatskapelle Halle ein. Ohne Aufhören zu wollen. Ein sehr starker und bewegender Moment der Solidaritätsbekundung, der Dankbarkeit des Publikums mit den Musikern und Sängern und des emotionalen Ausbruchs.

Es bleibt die Hoffnung am 26. November zur zweiten Vorstellung das ganze Werk mit dem Dritten Akt (über den bereits Sensationelles gemunkelt wird) sehen, hören, mitleben – und hier darüber berichten zu können.

Auf jeden Fall sollte sich niemand eine Aufführung auf sehr hohem Niveau der Jazz-Operette in Halle entgehen lassen, die durchaus mit Wien, Berlin oder Dresden konkurrieren kann. Und das ist ganz wesentlich last-but-not-least vor allem das Verdienst der musikalischen Leitung durch den Operetten- und Musicalerfahrenen Dirigenten Peter Christian Feigel von der Staatsoperette Dresden – der aber auch am Friedrichstadt-Palast, an der Komischen Oper Berlin und mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg arbeitet und zahlreiche CDs eingespielt hat. Feigel beherrscht perfekt alle Stile dieses musikalischen Meisterwerks nicht zuletzt durch seine instrumentale Einrichtung. Chapeau – Hut ab – oder wie es zum Ende des Zweiten Aktes heißt „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände. Good night!“

Dr. Guido Müller, 21. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ballett Halle Peer Gynt, Premiere der Uraufführung des Balletts in zwei Akte von Michal Sedláček Oper Halle, 30. Oktober 2021

Händelfestspielorchester Halle, Ulrichskirche, 17. November 2021

 

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