Foto: © Alexander Shapunov
Konzerthaus Wien, Großer Saal, 13. Dezember 2021
Mariinski Orchester St. Petersburg
Valery Gergiev Dirigent
Gautier Capuçon Violoncello
Dmitri Schostakowitsch:
Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 Es-Dur op. 107
Symphonie Nr. 7 in C-Dur op. 60 „Leningrader”
von Herbert Hiess
Es ist etwas über drei Monate her, dass Valery Gergiev mit dem Supercellisten Gautier Capuçon genau dieses Konzert zelebrierte https://klassik-begeistert.de/muenchner-philharmoniker-valery-gergiev-grafenegg-festival-2021-konzert-am-3-september-2021-im-wolkenturm-grafenegg/
Damals spielten die Münchner Philharmoniker open air im Wolkenturm von Grafenegg, während an diesem Abend das mittlerweile unschlagbare Mariinski-Orchester St. Petersburg im Konzerthaus spielte. Lustigerweise war die Zugabe jetzt in Wien die gleiche wie in Grafenegg und zwar die Bearbeitung des Prélude I aus den fünf Stücken für Klavier und zwei Violinen für Celli. Bezeichnend für den Solisten war, dass er sich niemals hervortat, sondern als „Primus inter Pares“ (Anm.: der Erste unter Gleichen) mit den vier Cellisten des Orchesters ein musikalisches Universum beschrieb. Und wie immer stand Maestro Gergiev ganz bescheiden beim seitlichen Ausgang und lauschte der Zugabe. Andere Dirigenten lassen sich bei einer Zugabe höchst selten blicken.
Über das Cellokonzert von Dmitri Schostakowitsch und Gautier Capuçon braucht man nicht viele Worte verlieren. Dieses Mal war im Gegensatz zum Wolkenturm die Akustik im Konzerthaus noch bestechender und das Mariinski Orchester St. Petersburg stand mit seinem Spiel doch über den Münchner Philharmonikern – die das hoffentlich verzeihen werden.
Eine ganz andere Kategorie war dann die „Leningrader“ Symphonie. Mit 80 Minuten Dauer ein Monsterwerk, dass sowohl die Musiker als auch die Zuhörer sehr beansprucht. Auch hier lässt Schostakowitsch die „klassischen Formen“ völlig fallen, was natürlich die Wahrnehmung noch mehr fordert.
Schon der erste Satz, der in der Kriegszeit entstand, ist ein fatales Spiegelbild der Situation. Beginnt es noch mit (für Schostakowitsch) sanften Klängen, leitet es ganz abrupt in einen fürchterlichen Kriegsmarsch über. Das Marschthema, das direkt fröhlich beginnt, wird in Variationen gespielt. Es wird von Variation zu Variation lauter und vor allem dissonanter, bis man an einer Karikatur eines Marsches anlangt. Unglaublich hier die Leistungen des Orchesters; allen voran der Mann an der kleinen Trommel, der mit einer geradezu beängstigenden Präzision sein Instrument hören ließ. Mehr als beeindruckend auch das fast unhörbare Pizzicato der ersten Geigen bei der Vorstellung des Themas.
Sätze zwei und drei sind wie so oft bei dem russischen Komponisten eine Aneinanderreihung seiner musikalischen Erlebnisse und Eindrücke. Marsch für Marsch, Walzer für Walzer – immer wieder lässt er etwas Neues hören. Bis es im Finale wieder das Marschthema zu hören gibt und die Symphonie im pathetischen Fortissimo ausklingt – ganz ähnlich übrigens wie der Schluss der Symphonie Nr. 5 in d-Moll.
Der triumphale Applaus bewegte die Musiker trotz des anstrengenden Konzertes zu einer Zugabe. Und zwar das Vorspiel zu Mussorgskis „Chowanschtschina“ (auch genannt „Morgendämmerung an der Moskwa“) in einer Bearbeitung von Schostakowitsch.
Unglaublich, was die Mariinski-Musiker hier für Klänge zauberten. Da hörte man die Vögel zwitschern und die Glocken der Kathedralen läuten.
Dieses musikalische Erlebnis bereitet eine noch größere Vorfreude auf Abend Nummer drei!
Herbert Hiess, 13. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gastspiel Mariinski Orchester St. Petersburg, Valery Gergiev, Konzerthaus Wien, 12. Dezember 2021