Rigoletto, Giuseppe Verdi
Hamburgische Staatsoper, 30. Oktober 2016
Dass Opernproduktionen im Laufe eines Vorführungszyklus deutlich besser werden und reifen können, davon zeugte am Sonntagabend die 102. Darbietung des Meisterwerks „Rigoletto“ von Giuseppe Verdi an der ausverkauften Hamburgischen Staatsoper. War noch die 100. Aufführung (siehe Kritik vom 22. November 2016) von zum Teil recht mittelmäßigen Gesangsleistungen und Abstimmungsproblemen mit dem Orchester geprägt gewesen, so kam es neun Tage später zu einer deutlichen Leistungssteigerung der Solisten sowie des Philharmonischen Staatsorchesters unter der Leitung von Gregor Bühl.
Die erstaunlichste Entwicklung machte der italienische Tenor Ivan Magri als Il Duce di Mantova. Er hatte bei der 100. Darbietung noch zahlreiche Stimmaussetzer und hatte zahlreiche Töne unschön versemmelt. Davon konnte am Sonntag keine Rede mehr sein. Magri begann den ersten Akt zwar wieder ein klein wenig zu verhalten, überzeugte aber fast den ganzen Abend über durch Klangschönheit und –sicherheit. Er ist zwar kein Juan Diego Flórez, der den Herzog im Januar an der Wiener Staatsoper in umwerfender Schönheit und Klarheit sang, aber er überzeugte durch ein angenehmes Timbre und eine individuelle Klangfarbe. Auch das hohe C vermochte er an diesem Abend fehlerfrei zu singen.
Wunderschön lyrisch erklang seine Arie „Ella mi fu rapita… Parmi veder le lagrime“ / „Sie wurde mir entrissen … Ich seh‘ die heißen Tränen“. In dieser Form darf der Italiener gern wieder nach Hamburg kommen. Dass er das berühmte „La donna è mobile / Oh, wie so trügerisch“ auch im Stehen, und nicht nur im Liegen fehlerfrei und ergreifend singen konnte, rundete seine sehr gute Leistung ab.
Der Italiener Franco Vassallo war wieder im Gesang und in der Darstellung ein phantastischer Rigoletto, obgleich er die 100. Vorstellung vor allem im höheren Register noch ein wenig klangschöner und voller gesungen hatte. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Vassallo bestach erneut in allen Lagen durch eine hochsensible, weiche wie dramatische Stimme. Sie ist rund und voll und sehr angenehm zu hören. So hört sich ein wahrer Verdi-Bariton an! Vassallo bekam erneut zu Recht den meisten Applaus.
Das Ensemblemitglied Hayoung Lee als Gilda bot erneut einen klaren und kraftvollen Sopran. Sie überragte alle Sänger deutlich an Sangeskraft. Was ihr weiterhin ein wenig fehlt, ist die Italianità, ist das Einfühlsam-Sinnliche. Aber Lee sang äußerst engagiert und fast alle Töne richtig an.
Die großen Entdeckungen des Abends waren zwei Nebenrollen: Ievgen Orlov als Gildas Mörder Sparafucile, der für Andrea Mastroni eingesprungen war, und Nadezhda Karyazina als Sparafuciles Schwester Maddalena.
Der junge Ukrainer Ievgen Orlov überzeugte mit einem beeindruckenden, resonanzreichen, voluminösen und schon sehr väterlichen Bass. Er begann sein Studium zunächst als Cellist am Konservatorium seiner Heimatstadt Donezk, das er 2002 abschloss. 2004 nahm er ein Gesangsstudium an der Ukrainischen Nationalen Musikakademie Pjotr I. Tschaikowsky auf. Seit 2006 gehört Ievgen Orlov dem Ensemble der Ukrainischen Nationaloper an. In dieser Saison ist er Ensemblemitglied an der Deutschen Oper Berlin und in zahlreichen Produktionen zu hören. Im November gibt er den Angelotti in Giacomo Puccinis Traumoper „Tosca“, im Dezember und im Januar Il re in Verdis „Aida“. Von diesem Bass, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, wird die Musikwelt noch größere und schwerere Partien hören. Schade, dass er an diesem Abend nur so kurz zu hören war.
Genauso umwerfend war die russische Mezzosopranistin Nadezhda Karyazina als Maddalena. Sie hat ein atemberaubend ergreifendes Timbre im tieferen Register, das einen erschauern lassen kann. Und eine genauso umwerfende Brillanz und Strahlkraft in der Höhe. Schade, dass sie an diesem Abend keine Hauptrolle hatte. Dieser wunderbaren, energiereichen und bewegenden Sängerin gehört die Zukunft – möge sie sorgsam mit ihrem Kapital umgehen. Auch auf sie warten größere Rollen. Es wäre der Hamburgischen Staatsoper zu wünschen, dass sie diese außerordentlich begabte Sopranistin noch ein paar Jahre halten kann. Sie singt ab 16. März 2017 noch zwei Mal die Maddalena und ab 23. März 2017 die Mercédès in Georges Bizets ergreifender Ohrwurm-Oper „Carmen“.
Weitere Rollen: Cherubino, „Le nozze di Figaro“, Wolfgang Amadeus Mozart (ab 10. Januar 2017); Kontschakowna, „Prinz Igor“, Alexander Porfirjewitsch Borodin (ab 24. Mai 2017) und Suzuki, „Madama Butterfly“, Giacomo Puccini (ab 10. Juni 2017).
Nadezhda Karyazina wurde 1986 in Moskau geboren und lernte an der Russischen Akademie für Theaterkunst – einer der ältesten und traditionsreichsten Schauspielschulen in Russland – sowie am Galina Vishnevskaya Opera Center. 2010 wurde sie Junge Künstlerin am Bolschoi-Theater in Moskau, dem bekanntesten und wichtigsten Schauspielhaus für Oper und Ballett in Russland.
Die Handlung: Der bucklige Hofnarr Rigoletto, nie um einen Scherz auf Kosten anderer verlegen, steht in den Diensten des Herzogs von Mantua. Sein einziges Lebensglück ist seine Tochter Gilda. Als Rigoletto miterleben muss, wie sie den berechnenden Liebesschwüren des skrupellosen Herzogs erliegt, sinnt er auf Rache: Der Auftragsmörder Sparafucile soll den Verführer töten. Doch Gilda opfert sich für ihren Geliebten. Rigoletto wird gewahr, dass er seine Tochter in den Tod getrieben und sein eigenes Leben zerstört hat.
Weitere Aufführungen in der Hamburgischen Staatsoper:
– Dienstag, 1. November 2016, 19.30 Uhr
– Donnerstag, 16. März 2017, 19.30 Uhr
– Sonntag, 19. März 2017, 15 Uhr
Andreas Schmidt, 31. Oktober 2016
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